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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die von ihm für rein verkaufte Leinwand für baumwollenhaltige erklärt hatte, und das Mikroskop ihn wieder in Freiheit setzte, weit es die Leinwand vollkommen rein fand.

Vielleicht wendest Du mir hier ein, ob man denn dafür stehen könne, daß in diesem Falle das Recht oder vielmehr die Wahrheit auch wirklich auf Seite des Mikroskopes und nicht doch vielleicht auf Seite der Chemie sei? Ich antworte darauf mit der zuversichtlichsten Bestimmtheit Nein, denn Du sollst Dich selbst überzeugen, dafern Du anders die Treue meiner Zeichnungen nicht in Zweifel ziehst, daß Leinenverfälschungen durch Baumwolle vom Mikroskop ganz unzweifelhaft dargethan werden, eben so wie Baumwollbeimischungen in wollenen oder seidenen Stoffen.

Die Chemie kann hier deshalb nicht entscheiden, weil die Flachsfaser und die Baumwollenfaser chemisch gleich gebildet sind; beide bestehen aus dem Zellstoff, der Cellulose, wie man den Stoff nennt, der im ganzen Pflanzenreiche die Zellen, wenigstens ihrem wesentlichen Bestande nach, bildet.

Es ist also die Form, nicht die chemische Beschaffenheit, wodurch sich diese zwei wichtigen Arten der Pflanzenzelle unterscheiden, welche milliardenfach zusammentreten, um das ganze menschliche Geschlecht mit Kleidern zu versorgen.

Du mußt Dich daran erinnern, daß beide am Pflanzenkörper ganz verschiedene Stellen einnehmen und unter ganz verschiedenen Verhältnissen sich entwickeln. Die Flachsfaser ist eine echte Bastzelle und liegt in der innern Zellenschicht der Rinde des Leinstengels, während die Baumwollenfaser dem Samenkorn der Baumwollenstaude, Gossypium herbasceum, innerhalb der Samenkapsel als Hülle dient. Das hat die nächste Folge für die Gewinnung beider, daß die Baumwolle fertig aus der aufspringenden Frucht der Baumwollenstaude hervorquillt und nur noch von den Samenkernen, an denen sie fest sitzt, gesondert zu werden braucht; während es bekanntlich viel Arbeit und Mühe kostet, die Flachsfaser aus der Rinde des Flachsstengels rein darzustellen.

So wenig Baumwolle und Flachs, ich meine beide in dem Zustande, in welchen, sie versponnen werden, zu verwechseln und zu verkennen sind – denke nur an die aus krausen feinen Fäserchen bestehende Watte und an den glänzenden Schopf am Rocken, so schwer sind beide in einem Gewebe zu unterscheiden, wenn es namentlich dabei auf eine Täuschung abgesehen ist. Auch ein Faden weißen Leinenzwirnes und feinen baumwollenen Strickgarnes sind kaum zu unterscheiden.

Laß uns nun beide unter dem Mikroskope betrachten, wobei wir Folgendes zu beobachten haben.

Ein Zwirn- oder Garnfaden ist, je nachdem er stark oder fein ist, seiner Dicke nach wohl aus hundert neben einander liegender langen Zellen zusammengesetzt und wenn wir einen ganzen Faden unter das Mikroskop bringen würden, so würden wir ihn zwar so stark wie ein Schiffstau sehen, nimmermehr aber die Beschaffenheit der einzelnen Zellenfasern aus denen er besteht. Wir nehmen also ein Falzbein oder den Rücken eines Messers und zerfasern ihn auf dem glatten Tische, daß er sich an der Spitze in einen langen, zarten Faserpinsel auflöst. Das sind eben die einzelnen, mehr als haarfeinen langen Zellen. Wir bringen nun beide, von einem flächsenen und einem baumwollenen Faden unter das Mikroskop und zwar zwischen zwei Glasplättchen in etwas Wasser, in welchem die Zellen sich klar und schön ausbreiten. Sollten uns dabei zwischen den Fasern Luftbläschen im Wasser stören, so vertreiben wir sie durch Hitze, indem wir mit einem Zängelchen, man nennt es in der Gelehrtensprache eine Pincette, beide Plättchen, zwischen denen sich die Fäden befinden, über eine kleine Spiritusflamme halten, bis das Wasser zwischen den Glasplättchen siedet und die Luft ausstößt.

Die beigegebene kleine Zeichnung soll Dir das Mikroskop ersetzen. Ich habe sie genau nach dem, was mir das Instrument zeigte, gemacht und zwar in zweihundertmaliger Vergrößerung. Du mußt Dir also die auf meinem gezeichneten mikroskopischen Sehfelde erscheinenden Parthien von Baumwollen- und Flachsfasern zweihundert Mal kürzer und schmäler denken, so hast Du ihre natürliche Größe. Ich brauche Dir nicht erst zu sagen, daß Du nicht die ganze Länge von den Zellen siehst, sondern etwa den vierzigsten Theil derselben. Du siehst auch nur einige wenige der unmittelbar nebeneinanderliegenden Zellen der beiden aufgefaserten Fäden, links 8 von dem Zwirnfaden und rechts 6 von dem Garnfaden. Alle erscheinen übereinstimmend glashell und vollkommen durchsichtig und man könnte leicht versucht sein, die Flachsfasern für feine gesponnene Glasfäden zu halten. In der Gestalt finden wir nun aber zwischen beiden erhebliche Unterschiede. Die Zellen des Flachses (F) sind immer straff und gerade, entweder ganz einfach einem feinen Glasfaden gleichend oder innen der Länge nach mit zwei ziemlich dicht nebeneinander verlaufenden Linien bezeichnet.

Was diese zu bedeuten haben, sage Dir die mit dem Sternchen bezeichnete quer durchschnittene Zelle oder Faser – denn die letztere Bezeichnung wird wohl praktischer sein. Du siehst auf dem Querschnitt den inneren Hohlraum der Faser als kleinen Kreis bezeichnet, von dem aus jene zwei Linien durch die ganze Faser verlaufen. Diese Linien sind also die durchscheinenden Grenzen des feinen Kanals, welcher die Faser durchläuft. Dieselbe Faser zeigt Dir auch, daß der durchsichtige glashelle Zellstoff fast die ganze Flachsfaser bildet und nur einen geringen Hohlraum inwendig übrig läßt. Auf diesem Umstande beruht die Festigkeit und Haltbarkeit und auch die Schwere, welche reines Leinen vor baumwollenem Zeuge voraus hat. An vielen Leinenfasern bemerkt man feine Querlinien, welche meist ein wenig schief und in ziemlich regelmäßigen Abständen von einander stehen. Die Bastzellen, als welche ich Dir bereits die Flachsfaser bezeichnete, entstanden im Rindenzellgewebe aus einer Reihe übereinanderstehender kurzer Zellen und jene Querlinien rühren von diesem Ursprunge der Bastzellen her. Fast immer sind auch äußerlich kleine Höcker zu bemerken, welche jenen Querlinien entsprechen. Diese Eigenschaften der Flachsfaser findest Du stets, mögest Du sie nun aus einem neuen Faden Heftzwirns oder aus einem Tischtuch Deiner Urgroßmutter nehmen, was schon tausendmal gebrühet, gewaschen, gebleicht, getrocknet und gemandelt worden ist. Sie ist eben zu fein und fast unzerstörbar, um von den genannten wirtschaftlichen Mißhandlungen verändert werden zu können. Du kannst mit dem Mikroskop heute noch ganz bestimmt entscheiden, daß in frühern Zeiten Leinen eben reines Leinen war. An den Enden laufen die Flachsfasern sehr fein aus und die eine verbindet sich mit der andern zu einem langen feinen Fädchen so, daß sich beider lange feine Enden an einander legen, was Dir die neben dem Buchstaben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_385.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)