Seite:Die Gartenlaube (1854) 394.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Ganz recht, Herr Flaireau“, erwiederte Alfred mit Hohn, und der Börsenspieler entfernte sich, um Adelen von seiner Sendung und deren Ergebniß Rechenschaft abzulegen.

Alfred dachte einen Augenblick daran, seine Frau von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, besann sich aber eines Bessern und beschloß, die Sache für sich allein abzumachen, um Delphinen und wäre es auch nur einen Schatten von Unruhe zu ersparen.

Gerüstet mit seinem Stolze und seiner Verachtung, trat er zur festgesetzten Stunde in den bekannten Salon seiner ehemaligen Meisterin. Adele empfing ihn mit Würde und Höflichkeit. Sie war sichtlich ergriffen und begann nach einer kleinen Pause, während welcher sie sich zu fassen suchte, mit gedämpfter, zitternder Stimme: „Ich muß mich bei Ihnen dafür bedanken, Herr Duberville, daß Sie gekommen sind.“

„Nichts als Komödie und Verstellung“, dachte Alfred bei sich und er versetzte mit gezwungener Schärfe: „Ich bin begierig zu erfahren, was es zwischen uns noch zu besprechen geben kann.“

„Kommt es Ihnen denn wirklich gar nicht in den Sinn“, sagte Adele vorwurfsvoll, „daß Sie ungerecht sein können?“

„Was sollen diese unnützen Erörterungen, mein Fräulein?

Ich bitte, lassen wir das Todte ruhen. Wenn Sie nichts Anderes mit mir als über diese Dinge zu sprechen haben, dann erlauben Sie mir, daß ich mich zurückziehe.“

„Was ich Ihnen zu sagen habe“, versetzte Adele mit großer Anstrengung, „wird Ihnen wenig Zeit rauben. Ich würde ganz schweigen, doch frei gestanden, es schmerzt mich und ich kann es nicht ertragen, daß Sie Uebles von mir zu denken sich berechtigt glauben. Hören Sie“, fuhr sie heftiger und hastiger fort, als fürchtete sie, Zeit zu verlieren, „hören Sie in Kürze, was vorgefallen ist: Ihr Freund, Herr Granier, hat am Tage vor meinem Geburtstag meinem Bruder einen Schmuck übergeben und ihn durch Ueberredung und Bestechung veranlaßt, denselben mir als eine Sendung des Grafen Worsakof zu überbringen, der aus Zartheit nicht als Geber erscheinen wolle. Da sich mir der Graf stets als warmer, gänzlich uneigennütziger Freund erwiesen, nahm ich das Geschenk ohne Anstand an, das für mich, die gänzlich Unerfahrene, keinen andern Werth, als den seines Ursprungs hatte, und das mir so verderblich werden sollte.“

„Wie sagen Sie?“ rief Alfred, jedenfalls berührt von dieser Mittheilung, „von Arnold rührte das Halsband her, mit welchem Sie sich an Ihrem Geburtstag geschmückt?“

„Von Ihrem Freunde Arnold Granier“, wiederholte Adele.

„Gut ausgesonnen, mein Fräulein“, sagte lächelnd Alfred.

„Nur Schade, daß man eben auf all diese Schachzüge vorbereitet ist.“

Adele mußte, als sie diese Worte vernahm, eine heftige Gemüthsbewegung zu bemeistern suchen.

„Ihr Freund that dies“, wiederholte sie mit Nachdruck.

„Unmöglich!“ rief Alfred.

„Und dennoch wahr“, gab Adele zurück. „Mein unglückseliger Bruder hat die Geschichte, da er sich den Schmuck, nach welchem seine Habgier Verlangen trug, zueignen wollte, vor ungefähr vierzehn Tagen bekannt.“

„Unmöglich, unmöglich!“ gab Alfred wiederholt zurück.

„Gehen Sie sogleich, um Ihren Freund zu befragen“, befahl Adele heftig mit einer raschen Bewegung der Hand und zornsprühenden Blicken. Und Alfred gehorchte. Ohne ein Wort zu sagen verließ er den Salon.

Er wollte, er konnte es nicht glauben, daß Arnold mit ihm dieses Spiel gespielt, und eilte daher in dessen Wohnung, um sich zu überzeugen, daß Adele dieses Märchen in der Hoffnung, sich seines leichtgläubigen Herzens wieder zu bemächtigen, erfunden. Er fand den Freund nicht zu Hause, und nachdem er eine volle Stunde auf ihn gewartet, nahm er einen Wagen und fuhr nach Hause, in der Voraussetzung, daß Arnold bei Delphine zu treffen sein würde. Bruder und Schwester saßen in der That in einem der Gemächer plaudernd und guter Dinge beisammen. Als Alfred eintrat, kamen ihm Beide mit freundlichen Grüßen entgegen, die er nicht ohne einigen Zwang in gleicher Weise erwiederte. Auf den ersten Blick erkannte Delphine mit der Späherkraft einer liebenden Frau die innere Bewegung ihres Gatten, wie sehr dieser sie zu verbergen sich bemühte. Allein dergleichen Anfälle bei ihm gewohnt, vermied sie jede Frage und jede Bemerkung, die leicht unsanft berühren konnten. Arnold setzte sich in einen Lehnstuhl und wartete mit Ungeduld auf die Gelegenheit, Arnold allein sprechen zu können. Durch das ausdrückliche Verlangen einer geheimen Unterredung mit Arnold fürchtete er, Delphine zu erschrecken, an der sich ohnehin Zeichen von Unruhe bemerkbar machten. Als Arnold zu gehen sich anschickte, wahrscheinlich um seiner Schwester die Herstellung der guten Laune ihres Mannes zu überlassen, stand auch Delphine auf, um sich zu entfernen, als ahnte sie, daß es zwischen den Freunden eine ernste Angelegenheit zu besprechen gebe. Nun war es an Alfred, seinen Schwager zum Bleiben aufzufordern, was er denn auch that. Kaum sah sich Alfred ohne Zeugen mit dem Freund, als er sogleich begann:

„Ich habe Dich etwas zu fragen, und bitte Dich um eine kurze, aufrichtige Antwort, denn ich werde ihr glauben.“

„Frage!“ gab Arnold zurück.

„Hast Du dem Thomas Flaireau, dem Bruder Adelen’s, am 18. März einen Schmuck zugestellt?“

„Ja“, antwortete Arnold ruhig und mit Nachdruck.

„Ja?“ schrie Alfred schmerzlich auf, als hätte ihn ein Pfeil getroffen. „Auch hast Du“, fuhr er mit Zittern zu fragen fort, „den elenden Menschen bewogen, diesen Schmuck seiner Schwester im Namen des Grafen Worsakof als Geschenk zu überreichen?“

„So that ich“, bejahte Arnold wieder.

„Du schriebst mir wohl auch mit verstellter Handschrift einen Brief, in welchem Du die Sache zum Nachtheil, nein, zur Schande Adelen’s darstelltest?“

„So ist es.“

„Alles wahr denn! So hast Du mich und mein Glück verrathen. Du bist nicht mein Freund und warst es nie gewesen“, zürnte Alfred.

„Weil ich Dein Freund bin und es immer gewesen“ erwiederte ruhig Arnold, „verfuhr ich auf diese Weise, darum nehme ich auch Deinen Vorwurf ohne Erbitterung hin.“

„Habe ich Dich zum Lenker meines Schicksals gemacht?“ ließ Alfred den Freund an. „Und wenn ich es hätte, durftest Du List und Trug anwenden, um mich selig werden zu lassen?“

„Ich wollte Dich nicht in einen Abgrund stürzen sehen, der Dich anzog; ich hielt es für meine Pflicht, Dich, selbst gegen Deinen Willen zu retten, und ich bereue es wahrlich nicht.“

„Solcher Liebesdienst ist Tyrannei und ich weise ihn mit Verachtung und Widerwillen zurück. Einem die Augen öffnen, damit er den rechten Weg suche, ist freundschaftlich. Einem die Augen verbinden, damit er sich leiten lasse, ist ein Uebergriff, ein frecher Betrug und durch nichts zu rechtfertigen. Verhaßt sind mir jede Lüge und Unredlichkeit, gleichviel an welches Ziel sie auch führen. Du hast mich hintergangen und beschimpft zugleich, Du hast es gewagt, mir Dein Urtheil aufzudrängen und selbst Dein Zweck wird mir verdächtig. Welche Früchte wird Deine edle Handlung nun, da sie an’s Licht tritt, tragen? Glaubst Du, daß ich dieses Wesen, das Du so geschickt verläumdet und dem ich, durch Deinen Kunstgriff irre geführt, so schreiend Unrecht gethan, ohne Genugthuung lassen werde? Du hast mein Leben in die gräulichste Verwirrung gebracht. Du hast mein Gewissen in ein Labyrinth gezogen, aus dem kein Faden leitet. Du, kluger Mann hast in Deiner Eigenschaft als Vorsehung herzlich schlecht gerechnet. Alle, Alle haben wir verloren. Mir fehlt Deine kühle Ueberlegenheit, um ein Herz, das auf all meine Rücksicht ein Recht hat, das ich bis in’s Innerste verwundet, verbluten zu lassen; das magst Du wissen und Du magst verantworten, was geschieht.“

„Hüte Dich vor Uebereilung, Alfred“, ermähnte Arnold; „es gilt ein Wesen zu schonen, das Dir theuer geworden sein muß.“

„Du fängst mich in dieser Schlinge nicht, Diplomat!“ rief Alfred, und seinem Gedankengange folgend, setzte er hinzu: „Hat etwa Deine Schwester mit zu dieser menschenfreundlichen Maßregel beigetragen?“

„Laß Delphine aus dem Spiel. Sie ist wie ein schlafendes Kind, so unwissend, so sorglos.“

„Dann beklage ich, daß sie durch Deine Schuld in eine Zerrüttung gerathen ist, aus der sie kaum ohne Verlust zu retten sein wird. Hier hast Du das Werk Deiner tiefen Einsicht und Du magst Dich dessen rühmen. Hier hast Du das erfreuliche Ergebniß Deiner anmaßenden Freundschaft.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_394.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)