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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

weiß, ehelos alt gewordenen Personen des anderen Geschlechtes sonst nicht eben zu Theil zu werden pflegt? Der Grund für jenen Umstand lag einmal in dem Treiben der „guten Lene“, und dann in ihrer Lebensgeschichte. Beide aber hingen innig zusammen, wie ich Euch sogleich erzählen werde.

So lange man nämlich im Dorfe zurückdenken konnte, war Lene stets als Bote und Engel des Friedens erschienen. In jüngeren Jahren schon, wo ihre Wangen noch rosig glühten, die Augen feurig glänzten und Lenchen noch immer ohne Widerrede für das schönste Mädchen des Dorfes gelten mochte, hatte sie, wo nur ein Zwist zwischen zwei Herzen ausgebrochen, mit ungewöhnlichem Ernste immer zum Guten zu reden gewußt, und so manchen Bruch verhütet, manches Unglück im Keime erstickt. Später, als das volle schwarze Haar zu bleichen begonnen und reifere Jahre ihr auch bei älteren Leuten ein eindringlich ernstes Wort gestatteten, hatte sie dieses freundliche Geschäft des Friedensstiftens gar oft auch in lange wohlbegründeten Haushaltungen geltend zu machen verstanden, ihre kluge, vermittelnde Rede manchen Unfrieden gebannt und in Segen verkehrt, was in böse Wege einzulenken drohte. Schmollen und Zank zwischen Denen, die in treuer Anhänglichkeit die Freuden und Leiden des Daseins mit einander zu genießen und zu ertragen bestimmt, war ihr vor Allem in den Tod zuwider; und wo sie solches traf, da mahnte sie kopfschüttelnd gar dringend mit den Worten: „Ein böses Wort findet oft schnell einen bösen Ort“, und selten, daß diese ihre Warnung nicht auf empfänglichen Boden fiel.

Im Dorfe kennt man sich gegenseitig genau genug, so daß Jeder im Allgemeinen des Andern Lebensschicksale weiß – wenn irgendwo sind auf dem Dorfe die Häuser von Glas und der Kreis ist zu enge, als daß in ihm irgend ein wichtiges Ereigniß sich nicht mit der täglichen Umgebung lange Zeit fortpflanze. So kannte man denn auch der „guten Lene“ Geschichte. Gerne erzählte sie selbst diese nicht; nur zuweilen unter gar Befreundeten, oder wenn sie glaubte, daß ihr eignes Geschick warnend ein fremdes Unglück abwenden könne, ließ sie sich darauf ein; es war diese aber für sie sicher immer noch ein Augenblick der Buße und der reuigen Erinnerung, und man mochte dabei dann wohl wieder einen Strahl wehmüthigen Gedächtnisses in ihren stillen Augen aufblitzen und ein mattes Lächeln über die gefalteten Wangen zittern sehen.

Ich will es versuchen, mit Lenen’s Worten die einfache Geschichte wiederzugeben.

„Ich war nicht immer so gut, wie mich die Kinder nennen, auch nicht so klug, wie Eure Aeltern mir schmeicheln“ – pflegte Lene zu beginnen – „aber auch so alt und gebückt, wie Ihr mich hier seht, bin ich nicht stets gewesen. Es gab eine Zeit, da wollten die jungen Burschen im Dorfe, die jetzt Eure Väter und Großväter sind, des Hofbauern Lenchen Euren Müttern und Großmüttern allenthalben beim Tanze oder sonstigen Festlichkeiten vorziehen. Bös war ich gerade nicht, das weiß der allwissende Gott, aber doch hatten süße Reden mein unerfahrenes Herz berückt, daß ich Böses beging an einer treuen Seele. Freilich wußte ich das damals, nicht so zu beachten, wie ich es heute weiß. Ihr kennt draußen am Anger den stattlichen Hof, meinem Vater gehörte er und es stand weit und breit kein besserer. Mag sein, daß auch dies meinen Sinn hochmüthiger stimmte, als recht ist – denn so eine schöne Sache wohl zusammengehaltenes Gut von den Vätern ist, Treue und bescheidener Sinn sind doch noch edlere Gaben des Himmels – genug, ich habe eine flüchtige Eitelkeit schwer büßen sollen. In dem Dorfe war damals – fragt Eure Väter – keine fleißigere Hand, kein schlankerer Wuchs, kein aufmerksameres Kind, als der alten Clausen-Marie einziger Sohn Georg. Groß war freilich das Häuschen nicht, das sie bewohnte, und keine weite Flur von Aeckern und Wiesen umschloß es, aber so wie es war, nährte es gerade einen sorgsamen Arbeiter und Muster für alle Bauern in sorgfältiger Bearbeitung und schönem Ansehen waren die wenigen Morgen unter Georg’s Händen geworden. Ich und Georg waren Schulgenossen; als Kinder hatten wir mit einander gespielt, und daß ich ihn auch später noch so recht von Herzen lieb gehabt, ach, das habe ich erst so gemerkt, als es zu spät gewesen! Auch mein Vater mochte den fleißigen Burschen gut leiden und so munkelte man wohl im Dorfe davon, daß es bald ein tüchtiges, hübsches Paar mehr geben werde, was Keinem zu Schaden gereichen würde, am wenigsten dem Hofbauern. Nur ich mochte nicht gerne davon hören, und rümpfte die Nase dazu, als könnte ich wohl andere Freier bekommen, als der armen Clausen-Marie Sohn. Und kamen andere – denn daran fehlte es nicht – so mochte ich doch keinen, und war gegen sie noch stolzer. Der arme Georg aber konnte gar nicht klug aus mir werden, denn war ich heute freundlich gegen ihn, so schmollte ich andern Tages schnippisch, und doch wieder war mir nicht wohl, wenn er sich dies zu Gemüthe gezogen und den Vater einen Tag nicht besucht hatte. Dies konnte nicht in alle Ewigkeit so fortdauern, denn die Mutter wünschte sich eine tüchtige Schwiegertochter in’s Hauswesen, und mein Vater wollte sich auch keine alte Jungfer erzogen haben.

Da faßte sich denn Georg eines Tages ein Herz und drang in mich, ihm endlich reinen Wein einzuschenken, wie ich es meine mit ihm, auf daß er nicht länger der Mutter zu heimlichem Grame, den Andern aber zum Spotte diene. Hatte der Himmel mich an jenem Tage verlassen, oder wie es gekommen, – ich verschloß mein Herz und gab dem armen Burschen keine Antwort, und als er immer dringender wurde, und endlich gar in die Drohung ausbrach: er könne es nicht länger aushalten, und werde trotz der Mutter auf und davon gehen über’s weite Meer – da wandte ich mich zum ersten Male gegen ihn, und es mußte etwas recht Höllisches in der Miene gelegen haben, mit der ich ihm die Worte erwiederte: „Ei, so geh’ – in Gottes Namen“, denn ich habe Georg seitdem nicht mehr gesehen.“

Nach einer kurzen Pause fuhr Lene weiter fort: „Des andern Tages kam auch in unser Haus die Kunde, der Clausen-Marie Sohn sei fortgegangen, wie es heiße, weit über’s Meer auf Nimmerwiedersehen. Und die alte Marie selbst kam auf den Hof gelaufen, die mageren Hände ringend und die Augen roth von Thränen und verlangte den Sohn von mir, da ich ihn fortgetrieben hätte in’s Elend, in die kalte Ferne, so daß sie ihn nie mehr wiedersehen würde. Da brach es wie ein Donnerschlag über mich herein, aber zugleich auch wie ein Blitzstrahl, der mein sündhaftes Herz erleuchtete und es zur Erkenntniß führen sollte, daß Georg allein es erfüllt und daß ich in frevelhaftem Leichtsinn zwei Herzen zumal gebrochen. Ich war die Elendeste von Allen, weil die Schuldige. Gott aber verließ mich doch nicht. Mutter Marie’n hatte ein zurückgelassener Zettel Georg’s dem Vater empfohlen; ich suchte in treuer Pflege meine Schuld zu sühnen. Als sie die Augen zudrückte, hatte sie mir längst verziehen, da ich ihr Tochter zu sein versucht für den verlorenen Sohn. Mutter Marie schied, der Vater schied, ehe noch die Noth der Zeit über uns hereingebrochen. Denn es waren damals schwere Tage gekommen, Krieg und Einquartierung, schlechtes Wachsthum und Theuerung. Ich schaffte, so viel ich konnte und so lange es ging; manche kräftige Hand hätte sich gern mir für immer gereicht, und für das irdische Gut hätte dies gut sein mögen. Ich aber hatte mit der Freude des Lebens und der Liebe für immer abgerechnet. – Die weibliche Kraft war zu schwach für die schwere Zeit, und so folgte ich denn dem Rathe Wohlmeinender, ehe es zu spät geworden, verkaufte den Hof und sicherte mir für den Rest meines Lebens das kleine Haus, das ich bewohne, und mein bescheidenes Auskommen. Dies ist lange, lange her; – von Georg hat man nie wieder etwas gehört, und jetzt denkt seiner wohl auch Niemand mehr, als – ein einziges Herz.“

So die „gute Lene.“ Man wird nun auch verstehen, was sie meinte mit ihren warnenden Worten: „Ein böses Wort, findet schnell einen bösen Ort.“ Und so hätte ich Dir nun, lieber Leser, nichts erzählt, als was ähnlich vielleicht schon hundertmal begegnet, wäre damit unsere Geschichte schon zu Ende. Gerade daß sie es nicht ist, hat auch das vorstehende Bild einer frühen Jugend lebendig erhalten, daß ich es Dir in schlichter Weise mittheilen gekonnt. So höre denn, was weiter geschehen. Einst von der hohen Schule in die Ferien nach Hause gekommen, war die erste Neuigkeit, die man mir erzählte, der „guten Lene“ seit einem halben Jahrhundert verschollener Georg sei unerwartet zu Aller Ueberraschung zurückgekehrt.

Eines schönen Sommerabendes nämlich fuhr ein leichtes Wägelchen in’s Dorf hinein, gelenkt von einem alten, aber sichtlich noch rüstigen Manne mit schneeigem Haupthaar und Barte, kräftigen, sonnverbrannten Zügen in der Tracht der Gegend, aber offenbar fremden Schnittes. Die wenigen Dorfbewohner, die dem Gespanne begegneten, schauten es mit der gewöhnlichen Neugierde für ungewöhnliche Erscheinungen an, ohne daß der Inhaber des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_408.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)