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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Ich glaube.“

„Viel Glück!“ antwortete Fritz gleichgültig.

Das arme Mädchen schwieg traurig einen Augenblick still; dann faßte sie Muth, und fragte: „Sind Sie nicht neugierig zu wissen, von wem er kommt?“

„Nun?“

„Von einem großen Herrn.“

„Das ist romantisch!“ rief Fritz aufsehend. „Wer ist dieser große Herr?“

„Nun, mein lieber Fritz, Ihnen habe ich nichts zu verbergen – ich glaube, der Briefschreiber ist der alte Junker von Below.“

„Den kenne ich! Doris, nehmen Sie sich in Acht! Der Junker ist ein zweiter Don Juan, ein wahrer Lovelace, wie der herrliche Paul de Kock sagt. Bei dem Rauschen eines Frauenkleides bebt er zusammen, und ein hübsches Mädchengesicht läßt ihn zu Mitteln seine Zuflucht nehmen, die elegant, aber fürchterlich sind. Hüten Sie sich, Doris, der Junker ist das Unglück aller hübschen Mädchen.“

„Fritz, ich versichere Sie, daß ich den Mann nicht leiden mag, obgleich er stets mit mir freundlich ist. Ich empfinde ein Grauen“ –

„Gut gesagt, ein Grauen empfinden! Der Ausdruck ist schön! Doris, es giebt Erscheinungen im menschlichen Leben, die – –“

Der Redner ward durch das Oeffnen der Glasthür unterbrochen. Eine Gestalt erschien, die völlig geeignet war, die Empfindung zu erwecken, von der Fritz soeben mit Enthusiasmus sprach. Ein langer, trockner Mensch trat herein, dessen überglastes Gesicht einen tiefen, eisigen Gedanken aussprach. Der Blick seines großen braunen Auges unter schwarzen buschigen Brauen war voll kalter Ironie und grenzenloser Anmaßung. Sein langes, von unzähligen Runzeln durchzogenes Gesicht war bleifarbig, und als er den Hut abnahm, zeigte sich ein haarloser, viereckiger Schädel. Einige flache graue Haarbüschel fielen von beiden Schläfen herab auf den Kragen seines einfachen blauen, bis an den Hals zugeknöpften Rocks, in dessen Knopfloche ein Ordensband von so ungewissen Farben sich befand, daß es selbst der feinste Kenner nicht unterschieden haben würde. Hätte das Gesicht nicht das wunderbare Gepräge von kalter Verachtung und tiefer Philosophie getragen, man würde den herrlichsten Don Ouixote-Kopf vor sich gehabt haben. Sein Körperbau war schlank und knochig, und ließ auf eine für sein Aussehen ungewöhnliche Kraft schließen. Der Hut, den er in der feinen weißen Hand hielt, war ziemlich neu, wie sein schlichter Rock.

Doris war erschreckt hinter Fritz zurückgetreten, der sich erhoben hatte, und den seltsamen Fremden mit fragenden Blicken ansah.

„Wo ist der Herr dieses Magazins?“ fragte eine schöne, volltönende Baßstimme.

In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür des Comptoirs, und Herr Thaddäus erschien.

„Er steht vor Ihnen,“ sagte Fritz, auf seinen Prinzipal deutend.

„Mein Herr,“ sagte der Fremde, „Sie sind beauftragt, die alten Möbel des verstorbenen Barons von Below in Empfang zu nehmen, und dafür neue zu liefern?“

„Ja, mein Herr,“ antwortete der Tapezierer. „So eben hat mich der Bruder des Verstorbenen verlassen, nachdem er mit mir das Geschäft geordnet.“

„Ich weiß es. Sie werden natürlich, da Sie Geschäftsmann sind, die Sachen wieder verkaufen?“

„Allerdings, aber, mein Herr, der Handel sollte noch ein Geheimniß bleiben, und Sie wissen schon jetzt davon?“ fragte Herr Thaddäus verwundert.

Der Fremde blieb kalt und ruhig wie zuvor.

„Fürchten Sie nicht, daß man Ihnen eine Indiskretion zur Last legt,“ antwortete er. „Ich erfuhr das Geheimniß – da Sie es einmal so nennen – früher als Sie. Pietät für den Todten veranlaßt mich, seine Geräthe anzukaufen, und damit mir ein anderer Käufer nicht vorgreift, entbiete ich mich jetzt, Ihnen den Preis zu zahlen, den Sie fordern werden. Die einzige Bedingung dabei ist, daß die Sachen bleiben, wie sie sind. Jede Neuerung, auch die kleinste, würde ihren Werth für mich beeinträchtigen. Es liegt in Ihrem Geschäftsinteresse, daß unser Handel dem Junker verschwiegen bleibe. Sind Sie geneigt?“

„Ich sehe keinen Grund, der mich abhielte. Da ich aber noch nicht im Besitze der Sachen bin –“

„Ganz recht; ich fordere nichts als die Zusage, daß ich die Vorhand bei dem Verkaufe habe.“

„Diese sichere ich Ihnen zu.“

„So nehmen Sie hundert Thaler als Angeld!“

Der Fremde holte ein Portefeuille hervor, und legte die genannte Summe in Banknoten auf einen Tisch.

„Wenn werde ich wieder anfragen können?“

„Morgen!“ antwortete der Geschäftsmann.

„Also morgen!“

„Und mit wem habe ich die Ehre –?“

„Mein Name thut nichts zur Sache, da ich bei Empfang der Möbel baar bezahle.“

Der Käufer grüßte und verließ das Magazin. Herr Thaddäus, ein mehr als sparsamer Mann, prüfte hastig die Banknoten, und eilte in sein Comptoir, um sie in einem eisernen, feuerfesten Geldschranke zu verschließen. Die arme Doris, die gern noch mit Fritz geplaudert hätte, mußte ihn begleiten. Fritz wollte seinen Platz wieder einnehmen, als er ein Papier am Boden erblickte.

Er hob es auf – es war ein offener Brief mit der Adresse: „Herrn Julian, durch Frau Hammerschmidt in der Z…straße.“

„Diesen Brief hat der romantische Fremde verloren,“ dachte Fritz. „Aber da fällt mir ein, daß Frau Hammerschmidt in der Z…straße meine Lieferantin ist, die mir die eleganten Kleider gegen einen guten Miethzins verleiht – die Alte treibt mancherlei Geschäfte, sie steht auch mit diesem Manne in Verbindung. Müßte ich jetzt nicht in dem Magazine bleiben, ich würde sogleich zu ihr gehen, und den Brief zurückgeben.“

Fritz war ein zu eifriger Leser, als daß er es sich hätte versagen können, den Inhalt des Briefes zu erfahren. Er sah noch einmal in die Straße hinaus, ob der Fremde nicht zurückkehrte, dann las er folgende Zeilen:

„Erwarten Sie mich diesen Abend nicht, Großmutter ist nicht davon abzubringen, den Ball bei dem Kommerzienrathe zu besuchen, und ich muß sie begleiten, wenn ich sie nicht empfindlich kränken will. Sie wissen ja, daß mir eine Stunde bei Ihnen lieber ist, als eine ganze Nacht in der glänzendsten Gesellschaft. Morgen Abend halb acht Uhr sehen Sie mich wieder. Für heute muß ich der Großmutter folgen, damit unser Geheimniß nicht verrathen werde.                Ihre Klementine.“

„Klementine – Großmutter?“ fragte sich Fritz bestürzt, indem er die Hand an die Stirn legte. „Und dann diese Handschrift, die mir so bekannt vorkommt?“

Hastig zog er eine kleine Schreibtafel aus der Tasche seiner Weste, holte ein sorgfältig zusammengelegtes Papier hervor, und verglich die Zeilen desselben mit denen des Briefes.

„Ich bin verloren!“ rief er pathetisch aus. „Dieselbe Klementine hat diesen Brief geschrieben! Morgen Abend halb acht Uhr bin ich bei Mutter Hammerschmidt, und treffe ich meinen Nebenbuhler, so jage ich ihm eine Kugel durch den Kopf! Die reizende Klementine kann nur mich lieben, und ich habe ein Recht, ihre Liebe zu fordern.“

Fritz warf sich auf einen Stuhl, und begann zu lesen, um auf andere Gedanken zu kommen.

IV.

Es schlug neun Uhr, als der Junker mit seinem Neffen Ernst in den Saal des Kommerzienraths trat. Der Onkel trug seine Civilkleider, der Neffe die Uniform seines Regiments. Beide wurden von dem Hausherrn freundlich empfangen. Dann trennten sie sich, um in der glänzenden Menge bekannte Personen zu begrüßen. Eine rauschende Ballmusik begann bei Hunderten von Wachskerzen, die den glänzenden Saal taghell beleuchteten. Die Paare ordneten sich, und traten zur Eröffnungspolonaise an, die von einem leichtfüßigen Tanzmeister, der damals in der Mode war, geführt ward. Die Töne des Orchesters leiteten eine jener übermüthigen Banquiers-Fêten ein, die keinen andern Zweck haben, als den bürgerlichen Reichthum vor dem Adel glänzen zu lassen, und den Vorurtheilen Hohn zu sprechen, denen sich der Geldmann bei dem Junkerthume ausgesetzt wähnt. Nur wenig Jahre waren seit der letzten verhängnißvollen Revolution verflossen und schon tanzten Liberalismus und frommer Conservatismus nach den Rhythmen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_430.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)