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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Leipzig in diesen Tagen verlassen, um seine Wohnung in dem reizenden Rosenau bei Coburg zu nehmen. Manche Leute wollen wissen, der verehrte Herzog von Gotha, der sich für den Vielgewanderten interessirt, werde noch einen Hofmann aus ihm machen, aber ich glaube es nicht, denn – und das ist noch eine Eigenthümlichkeit Gerstäcker’s – er haßt fast so sehr wie jede Unredlichkeit – den Frack, und ist stolz darauf, dies häßliche Kleidungsstück nie getragen zu haben.



Die Halbinsel Krimm.


Nachdem die Welt Sebastopol in- und auswendig kennen gelernt hat, ist es nicht mehr als billig, uns einmal die ganze Halbinsel anzusehen, als deren äußerster russischer Halt im schwarzen Meere es oft beschrieben ward. Die Halbinsel Krimm ist auch ohne Krieg, ohne Engländer, Franzosen und Russen in Soldatenuniform interessant genug. Sie war einst der Hauptsitz des großen tartarischen Mongolenreichs, das unter Temudschin oder Dschingis Khan zu Anfange des 13. und besonders unter Timur Tamerlan im Anfange des 15. Jahrhunderts Europa in Schrecken setzte, nachdem es ganz Asien unterworfen und die erobernden Fanatiker der Lehren Muhamed’s zurück- und niedergeworfen hatte. Spuren dieses alten Reiches und Volkes finden sich noch in ganzen Ländern und Stämmen Asiens, ganz besonders in der Krimm. Diese Halbinsel ist in ihrer eigenthümlichen geographischen Lage südlich von der ungeheuern Steppe, die von Ungarn bis China reicht, ganz besonders geeignet zur Entwickelung nomadischer Kraft. Von dem schwarzen und asow’schen Meere rings umgeben, hängt sie mit dem asiatischen Festlande blos durch die schmale Landzunge von Perekop zusammen, Und der Weg daher war noch eine bessere Festung gegen äußerliche Angriffe, als die beiden Meere, er war und ist zum Theil noch unwirthliche Steppe. Beinahe zwei Drittel der Insel vom Lande her sind Senkung von den Gebirgen der Südküste am schwarzen Meere und nur ein Fünftel davon durch künstliche Colonisation Deutscher, Griechen und Bulgaren der wilden Steppe für den Ackerbau und die Cultur gewonnen. Es war besonders die aus Deutschland auf den russischen Kaiserthron gestiegene Katharina II., welche durch Aufmunterung und Belohnung deutscher Auswanderung nach der Krimm die dortige Kornkammer der Natur zu verwerthen suchte. Die Krimm war ihr Liebling. Sie wollte das herrliche Stück Land zu einem russischen Italien erheben und suchte sich selbst durch persönliche Inspection von dem Fortgange ihrer Krimm-Cultur-Pläne zu überzeugen.

Die eigentliche Herrlichkeit der Krimm drängt sich nach der gebirgigen Südküste hin, zwischen Sebastopol und Kaffa oder Theudosia, welche durch eine 40 Meilen lange Dampfschiffverkehrslinie in Verbindung stehen und von Sebastopol landeinwärts nach Simferopol, in deren Mitte sich die alte Mongolenhauptstadt Baktschi Seria in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit erhalten hat. Die ungeheuere Fruchtbarkeit des Bodens hier unter einem italienischen Klima drückte dem Leben und den Sitten der alten tartarisch-mongolischen Bewohner eine merkwürdige Ländlichkeit und Natur-Aesthetik auf. Noch heute nisten die Tartaren wie Schwalben an den Felsmauern, aber umgrünt und umblüht von einer Naturfülle, welche durch künstliche Unterstützung zur Schönheit wird. In ihrer Nationalität, die einst ganz Asien beherrschte, haben sie sich vollkommen unabhängig gegen die russischen Eroberer und die deutschen, griechischen und bulgarischen Kolonisten erhalten. So gering auch der Rest dieser einst herrschenden Raçe erscheint, sie können doch bei einer etwaigen politischen Veränderung der Krimm sehr bedeutend werden. Sie haben ihre alte blutige Geschichte nicht vergessen, sind freisinnige Muhamedaner (ohne den kirchlichen und gesellschaftlichen Zwang bei den Türken) und im Uebrigen derb, muthig, brav, von natürlichem Edelmuth, gastfrei und offen in Haus und Herz. Die Tartarendörfer kleben in großen Mengen zwischen den Bergen an der Küste des schwarzen Meeres zwischen den Städten Balaklava, Baidar und weiter herum von Sebastopol nach Kaffa herum: Alupka, Yalta, Aluchta, Kurusen, Uskute, Sudak und Koze und auf der Landseite nach den Thälern herunter um Baktschi Seria, Simferopol und Karasu Bazar. Deutsche Bauern findet man besonders nördlich von Sebastopol an vier Flüssen, Alma, Bulganak u. s. w. bis nach den Städten Sarabus (am Salghirfluss) und Eupatoria oder Koslov an der Kalamita Bay den Donaumündungen gegenüber. Weiter landeinwärts in nördlicher Richtung hört Cultur- und Menschenleben oft auf 6 bis 20 Meilen ganz auf. Nur die Landstraße von Eupatoria bis Jukur, wo sie mit der Hauptlandstraße, welche die ganze Insel von Perekop und dem armenischen Bazar in der Landenge über Simferopol und Baktschi Seria bis Sebastopol durchschneidet, ist mit einigen Städten und vielen kleinen schmutzigen Dörfern und Kneipen von Russen bevölkert, noch mehr natürlich die Hauptlandstraße deren Hauptstationen zwischen Jukur und Simderopol ziemlich gedeihliche Städte sein sollen. Es sind besonders drei: Trek Album. Aibar und Diurman. Auf der Ostseite am asow’schen Meere stellt sich jenseits gähnender Steppen zuerst wieder etwas Kultur und Stadtleben nach den Mündungen der Flüsse Salghir und Karasu ein. An deren Zusammenflüsse liegt Tokur, weiterhin Schakut, dann die Festung Arabat am Eingange zu der ungeheuern, schmalen Landzunge von Arabat, welche den „faulen See“ fast ganz vom asow’schen Meere trennt. Der sich weithin nach dem Kaukasus hinstreckende Zipfel der Insel, der zwischen dem asow’schen und schwarzen Meere, der Krimm und Cirkassien die Meerenge von Kertsch bildet, ist ganz eben und wird als ein immerwährender Garten geschildert, zwischen denen sich sechs bis sieben Städte und eine Menge Dörfer eines wahren paradiesischen Lebens erfreuen sollen. Gewiß weiß es wohl kein „Europäer,“ da die Krimm erst durch den Krieg wieder Interesse bekam und unseres Wissens keiner der vielen deutschen, englischen und französischen Reisenden, die Bücher von ihren Fahrten machen, dieses russische Paradies, diesen Mittelpunkt der seebadenden russischen Aristokratie, zum Gegenstande seiner Studien gemacht. Das Werk des Engländers Oliphant, die einzige Originalquelle neuen Styls, beschränkt sich blos auf Sebastopol und die Umgegend.

In geschichtlicher Beziehung bemerken wir nur noch, daß die Krimm nach Verfall des großen Mongolenreiches zu Anfang des funfzehnten Jahrhunderts dem türkischen Reiche bis 1474 tributpflichtig war. Die Krimm-Tartaren machten sich mehreremals frei. so daß sich Rußland öfter einmischte, um sie zu ihrer Unterthanenpflicht gegen den Sultan zurückzubringen. So nahm es dieselbe im Jahre 1783 ein, übergab sie 1784 der Türkei und bekam sie ohne Vorbehalt im Jahre 1791 mit Zustimmung aller europäischen Großmächte, von denen Einige behaupten, daß sie, trotz der englisch-französischen Expedition, dieselbe dem Eigenthümer auch jetzt nicht wieder nehmen wollen.

Das Leben und die Dörfer der Tartaren würden für Buch-Reisende sehr interessanten Stoff liefern. Am Häufigsten findet man solche Dörfer an die obersten Terrassen von Bergen angeklebt. Die Moscheen erheben sich aus dichtem Baumwerk, meist Wallnußbäumen. Die Häuser legen sich unmittelbar an Felsenwände an, deren höchster Rücken mit den flachen Dächern eine Linie bildet. Diese Dächer sind die eigentliche Wohnung. Unten in der fensterlosen Höhle schläft man blos. Oben auf dem Dache zwischen den Kronen von Maulbeer-, Feigen- und Wallnußbäumen, welche die Hütte umgeben, empfängt der Tartar seine Gäste, hier trocknet er seine Wäsche, sein Getreide, seine Früchte. Fremde bekommen den besten Platz und werden ungemein höflich und herzlich behandelt und in den bessern Häusern (d. h. auf den Dächern) so zudringlich mit Thee tractirt, daß es sehr übel genommen wird, wenn man nicht wenigstens 15-20 Tassen leert. Ein Engländer, der sehr lange in Kasan dieser Tartarengastfreundschaft ausgesetzt war, mußte förmliche Medizin brauchen, um den Wirkungen starken, heißen Thees in Portionen von 20 Tassen täglich drei, vier bis fünf Mal bei 28 bis 30 Grad Reaumur entgegenzuarbeiten,

Einige der alten Adelsfamilien, deren Vorfahren unter Dschingis-Khan schlagen halfen, besitzen noch ungemein große Ländereien, von deren Einkünften sie füglich leben und sich mit allem möglichen europäischen und orientalischen Luxus zugleich umgeben haben. Ihre Gastfreundschaft gegen Fremde wird als wahrhaft

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_436.jpg&oldid=- (Version vom 27.3.2019)