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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

– ich glaube, daß dort mein Wunsch nach einem raschen Avancement erfüllt wird.“

„Vetter, der Einfall ist gut!“ rief der Junker. „Ein junger tüchtiger Mann findet überall eine gute Aufnahme. Zähle auf mich bei der Ausrüstung zur Reise. Wann gedenkst Du sie anzutreten?“

„Vielleicht in acht Tagen.“

„Dann, Vetter, kannst Du noch ein Gast bei meinem Verlobungsfeste sein, das in fünf Tagen mit großem Pompe gefeiert werden soll. Außer Dir weiß Niemand um meine Absicht – nun denke Dir die Ueberraschung, wenn ich derselben großen und glänzenden Gesellschaft, die Du bei dem Kommerzienrathe gesehen, meine junge, reizende Braut vorführe! Heute schon fliegen die Einladungen durch die Stadt. Also den zwanzigsten, Vetter, ist unwiederruflich meine Verlobung.“

Der Neffe trat dem Onkel, der in froher Aufregung das Zimmer durchschritt, ernst entgegen.

„Haben Sie auch reiflich überlegt, Onkel?“ fragte er mit bewegter Stimme. „Sie beabsichtigen einen bedeutungsschweren Schritt zu thun, einen Schritt, der verhängnißvoll für das ganze Leben werden kann.“

„Wie meinst Du das?“ fragte erstaunt der lange Junker.

„Ich habe Grund, offen mit Ihnen zu reden, auch wenn ich nicht Ihr Verwandter wäre. Klementine von Falk ist ein junges Mädchen von zwanzig Jahren, sie hat noch die ganze Zukunft ihres Lebens vor sich – glauben Sie, daß bei dem Abstande der Jahre zwischen Ihnen und ihr sich eine glückliche Ehe gestalten könne?“

Der Junker, der beiläufig gesagt, ein eben nicht scharfes Fassungsvermögen besaß, deutete Ernst’s Worte als eine Besorgniß um seine Person.

„Vetter,“ rief er mit einem trinmphirenden Lächeln, „so rasch sich mein Entschluß auch gestaltet hat, so reiflich ist er überlegt. Deine Besorgniß um meine Zukunft freut mich, und ich danke Dir dafür. Du bist der Ansicht – und diese Ansicht werden vielleicht noch viele theilen – daß Klementine, die allerdings etwas jünger ist, als ich, auf die vorgeschlagene Heirath nicht aus Neigung eingeht, sondern deshalb, um die Frau eines reichen Mannes zu werden, der für sie sorgt und sie später zu seiner Erbin einsetzt –?“

„Ja, Onkel, diese Ansicht ist selbst Ueberzeugung bei mir!“

„Dann kennst Du meine Braut nicht, die ein gutes, feinfühlendes und argloses Geschöpf ist! Sie besitzt alle Eigenschaften, die in ihrem Manne Hochachtung und Liebe erwecken müssen.“

„O gewiß, gewiß!“ rief Ernst, und der Ausdruck seiner Stimme verrieth deutlich, daß er seine innige Ueberzeugung aussprach. „Ich theile Ihre Meinung, und verhehle Ihnen die Verehrung nicht, die ich von Klementine hege; aber sie hängt von ihrer Großmutter ab, und jeder Wunsch dieser hochfahrenden Frau ist dem jungen Mädchen ein Befehl. Klementine ist fähig, sich aus kindlichem Gehorsam zu opfern!“ fügte er in einer schmerzlichen Aufregung hinzu.

Der Onkel sah den Neffen mit forschenden Blicken an.

„Opfern?“ fragte er. „Unsere Heirath, mein Freund, ist keine Conventionsheirath, sie gründet sich auf eine gegenseitige Zuneigung und Hochachtung. Klementine liebt mich, obgleich ich kein Jüngling mehr bin. Ueberzeuge Dich!“

Der Junker zog den Brief hervor, von dem wir wissen, daß ihn Klementine auf Veranlassung der Großmutter geschrieben hatte.

„Lies!“ sagte er. „Du wirst dann nicht mehr an meiner glücklichen Zukunft zweifeln.“

Ernst las: „Sie wenden sich an mein Herz, Herr Baron, und fordern die Antwort desselben auf Ihren Antrag um meine Hand – ich nehme keinen Anstand, Ihnen zu bekennen, daß ich seit unserm ersten Begegnen eine aufrichtige Hochachtung vor Ihnen empfinde. Hochachtung ist die Basis der Liebe, und erblicken Sie, wie ich, in dieser Ansicht eine Bürgschaft für unser gegenseitiges Glück, so werden Sie in mir die Gattin finden, die Sie erwarten.“

Der junge Mann gab erschüttert den Brief zurück, er hatte genug gelesen, um die nun folgenden Höflichkeitsphrasen übergehen zu können. Der Junker, der keine Ahnung von Ernst’s Gemüthszustande hatte, entfernte sich, um die Arbeiten in seinem Hause zu besichtigen. Daß die alte Frau von Falk ihm Klementine’s Neigung verschwiegen, bedarf wohl kaum einer Erwähnung. Ernst, im tiefsten Herzen verletzt, gab Klementine auf, er beschloß, am Tage ihrer Verlobung abzureisen, und in dem Strudel des Lebens die verlorene Ruhe wieder zu gewinnen. Während der Onkel die Vorbereitungen zu dem Feste traf, beschäftigte sich der Neffe mit den Ausrüstungen zu der Reise, bei denen Fritz, der den geschenkten Mantel nicht vergessen konnte, sich sehr eifrig zeigte.

So kam der verhängnißvolle Tag heran. Alle Räume des großen Hauses waren prachtvoll decorirt, Herr Thaddäus hatte ein wahres Meisterstück geliefert. Nur das kleine Zimmer des verabschiedeten Offiziers hatte die Hand des Künstlers verschont, es war das alte geblieben, und befand sich in völliger Unordnung. Ein großer Reisekoffer stand in der Mitte desselben, und wartete auf die Träger, die ihn heimlich und still zur Eisenbahn schaffen sollten. Gegen zehn Uhr hatte Fritz den Fiacre zur Fahrt nach dem Bahnhof bestellt. Als Ernst in der Dämmerung von einem Freunde zurückkam, dem er Lebewohl gesagt, fuhren bereits die Equipagen mit den schön geschmückten Gästen vor. Eine Schaar von Livreebedienten empfing sie auf der Hausflur, an der Schwelle des Saales stand der vor Wonne glühende Junker. Ernst und Fritz saßen in dem dunkeln Zimmer, den Fiacre erwartend. Da ward plötzlich leise an die Thüre geklopft. Ernst bebte zusammen, mit schwankender Stimme forderte er zum Eintreten auf. Die Thür ward geöffnet und die Gestalt eines Mädchens erschien.

„Herr Ernst von Below?“ fragte eine zitternde Stimme.

„Doris!“ rief Fritz, indem er von dem Koffer aufsprang, den er sich zum Sitze gewählt hatte. „Was wollen Sie hier?“

Aber Doris beantwortete diese Frage nicht, sie trat rasch zu dem Sopha, wo sie Ernst erblickte.

„Ach, gnädiger Herr, dem Himmel sei Dank, daß Sie noch nicht abgereist sind!“ rief sie.

„Warum, mein Kind?“ fragte Ernst bestürzt.

„Ich hätte sonst diesen Brief nicht mehr abgeben können.“

„Von wem kommt er?“

„Ach, lesen Sie, lesen Sie, dann geben Sie mir Antwort!“

Fritz hatte schnell eine Kerze angezündet. Ernst, zitternd am ganzen Körper, riß das Billet auf, und als er die Schriftzüge Klementine’s erblickte, traten ihm die Thränen in die Augen. Durch den Schleier derselben las er folgende Zeilen: „Ernst! Wenn Ihnen mein Glück am Herzen liegt, wenn Ihre Liebe zu mir noch dieselbe ist, so reisen Sie nicht, seien Sie vielmehr ein Gast bei dem Feste, das man zu meinem Verderben veranstaltet hat. Es bereiten sich wichtige Dinge vor. Erblicke ich Sie nicht in dem Saale, so falle ich als ein Opfer der Vorurtheile. Sehe ich Sie, so ist noch Rettung möglich. Weitere Erklärungen werde ich mündlich geben. Bei unserer Liebe, verlassen Sie Ihre Klementine nicht!“

Der Zustand des jungen Mannes läßt sich nicht beschreiben. Aus dem Abgrunde völliger Muthlosigkeit war er plötzlich auf den Gipfel des höchsten Glücks gehoben. Die Gewißheit, daß Klementine ihn liebte, erfüllte ihn mit einer Seligkeit, die ihn Alles vergessen ließ. „Und von mir, von mir erwartet sie Rettung?“ fragte er sich. „Wer gab Ihnen den Brief, mein Kind?“

„Fräulein von Falk!“

„Klementine von Falk?“ fragte Fritz erstaunt. „Doris, wie kommen Sie zu ihr?“

„Das Fräulein ist meine Freundin! Ich war ihr bei der Balltoilette behülflich. Sie haben die Säle decorirt, ich habe die schönste Dame Berlins geschmückt, mein lieber Herr Fritz. Ja, man hat auch seine Bekanntschaften!“ fügte sie mit einer lieblichen Impertinenz hinzu. „Ach, wenn das arme Fräulein nur nicht so viel geweint hätte! Ihre Augen sind trübe, und ihr schönes Gesicht ist blaß wie eine Lilie. Und dabei wird sie von einer fürchterlichen Angst gefoltert, so daß man glauben möchte, sie ginge zum Richtplatze, anstatt auf einen Ball. Nun, es wird sie ein wenig beruhigen, daß der gnädige Herr noch nicht abgereist ist. Was soll ich dem Fräulein sagen?“

„Daß ich auf dem Balle sein und morgen erst reisen würde!“

Doris verneigte sich und entschlüpfte durch die Thür.

Geschäftig holte Fritz nun die Kleider aus dem Koffer und breitete sie auf den Möbeln aus. Es schlug zehn Uhr, als Ernst in einem einfachen schwarzen Anzuge dastand.

„Wir scheiden noch nicht, mein lieber Freund!“ sagte er zu Fritz. „Morgen sehen wir uns noch einmal wieder.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_445.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)