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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Den Koffer kann ich wohl wieder in unser Magazin schaffen lassen?“ fragte der junge Tapezierer mit lächelndem Gesichte.

„Warum?“

„Weil ich glaube, Sie werden ihn nicht brauchen.“

„Gott gebe es!“

Mit klopfendem Herzen stieg Ernst die Treppe zu dem ersten Stocke hinunter. Geschäftige Diener flogen über den Corridor, und eine rauschende Musik erklang in dem Saale. Es waren dieselben Weisen, die er auf dem Balle des Kommerzienraths gehört hatte; aber wie anders erklangen sie jetzt in dem hoffnungsvollen Herzen wieder! Er wußte ja, daß ihn Klementine liebte, und dieser einzige Gedanke verschönte die mangelhafte Welt zu einem Paradiese, dieselbe Welt, aus der er sich vor einer halben Stunde noch verstoßen wähnte. Ihm fehlte der Muth, sofort in den Saal zu treten. Mit der Oertlichkeit genau bekannt, öffnete er ein Zimmer, das zwar am äußersten Ende des Corridors lag, aber mit dem großen Gesellschaftssaale in Verbindung stand. Eine Alabasterampel hing von dem Plafond herab und beleuchtete elegante Möbel, chinesisches Porzellan auf den Gesimsen, große Kupferstiche in theuern Rahmen an den mit dunkelrothen Seidentapeten bekleideten Wänden, und seltene exotische Gewächse in zierlichen Broncekübeln. Ein halb geöffneter Vorhang gestattete einen Blick in den Alkoven – eine kostbare Lagerstatt von weißer Seide schimmerte in dem ungewissen Halbdunkel. Ein großer weicher Teppich bedeckte den Boden, und in der Nähe des zierlichen Ofens, in dem leise ein Feuer knisterte, stand ein großer, eleganter Schirm von wundervoller Stickerei. Ernst befand sich in dem Brautgemache, von dem ihm Fritz erzählt hatte, daß es ein Meisterstück des Herrn Thaddäus sei. Reichthum hatte sich hier mit Kunst und Geschmack vereinigt, um einen wahren Feenaufenthalt zu erschaffen.

(Schluß folgt.)




Kulturgeschichtliche Bilder
2. Armuth und Wohlthätigkeit.
Ein Blick auf frühere Zeiten. – Bettlerheere und ihre Gewaltthaten im vorigen Jahrhundert. – Keine Bettelpolizei. – Bettlerorden. – Adelige Bettler. – Die Krüppelfuhre. – Die Kunst des recht fruchtbringenden Wohlthuns. – Die Theilnahme der Privaten an der Armenpflege. – Das Verschwinden des frühern Bettlerwesens in unserm Jahrhundert.

Wir haben in unserer ersten kulturgeschichtlichen Betrachtung vergleichende Blicke auf die „theuern Zeiten“ sonst und jetzt geworfen. Was liegt näher, als daß wir diese Vergleichung auf den Zustand des Armenwesens und auf die Art der Wohlthätigkeit in der frühern und der jetzigen Zeit ausdehnen? Die „zunehmende Bettelei“ ist auch so eine der herkömmlichen Anklagen, womit die Lobpreiser der Vergangenheit wider die Gegenwart zu Felde ziehen, und die „größere Lebendigkeit und Werkthätigkeit der christlichen Nächstenliebe“ eine der Lobesphrasen, mit denen sie jene erstere Zeit auf Kosten dieser letzteren zu erheben suchen. Und doch ist im Allgemeinen nichts unrichtiger, als diese Herabsetzung der Gegenwart und jene Anpreisung einer frühern, angeblich bessern Zeit. In wenigen Punkten möchten die Fortschritte der Civilisation so bedeutende und deutlich nachweisbare sein, als gerade in der Beschränkung und Verminderung des zügellosen Bettelwesens, in der Linderung der vorhandenen Armuth und in den Bemühungen für Beseitigung ihrer tieferliegenden Ursachen.

Richten wir unsere Blicke auf Deutschland, dessen Zustände uns ja doch am Meisten interessiren, so sehen wir dieses schon seit dem Ausgange des 13. Jahrhunderte, wo die ehemalige Größe seines Handels, der Reichthum seiner einst so blühenden Städte zu sinken begann, von einer bedenklich überhandnehmenden Verarmung und Bettelei heimgesucht. Noch viel schlimmer ward dies, als der dreißigjährige Krieg mit seinen schweren Drangsalen nicht blos die Fluren verwüstete, Städte und Dörfer zerstörte oder verödete, sondern auch die Banden der Sitte und des Gesetzes lockerte, ein wildes, unbändiges Soldatenregiment, harten Steuerdruck und in den meisten deutschen Ländern jene despotische Willkürherrschaft erzeugte und dadurch den alten kräftigen Bürgergeist und Gemeinsinn mehr und mehr ertödtete. Von jener Zeit an bis vor etwa fünfzig oder sechzig Jahren, wo man wieder mit größerem Eifer und besserem Erfolg, besonders auf dem Wege der Vereinigung der Privaten, das furchtbar angewachsene Uebel zu bekämpfen begann, zeigte sich die Verarmung, und mehr noch als diese, die leichtsinnige, aus Faulheit und Liederlichkeit entspringende Bettelei fast in allen deutschen Ländern in wahrhaft schreckenerregender Weise, in einer Ausdehnung, von der wir uns heute kaum eine Vorstellung machen können, in einer Gestalt, die uns, träte sie gegenwärtig vor unsere Blicke, nach unsern heutigen Begriffen, als der Anfang einer völligen Auflösung aller gesellschaftlichen Ordnung erscheinen müßte. Wer würde es glauben, wenn es nicht schwarz auf weiß in Schriften aus der damaligen Zeit geschrieben stände, daß noch in den achtziger Jahren vorigen Jahrhunderts Städte, die keineswegs Mangel an Erwerbsquellen hatten, und die inmitten einer weit mehr fruchtbaren als armen Gegend lagen, wie Halle, von Bettlerschaaren zu 400–500 auf einmal durchzogen wurden, so daß diese, um die gewöhnlichen Straßengänger hindurchzulassen, sich theilen mußten und in zwei langen Zügen rechts und links an den Häusern hin marschirten. Man kann denken, daß da von einer Verweigerung des Almosens nicht die Rede war, sondern daß die Bewohner einer solchergestalt heimgesuchten Ortschaft froh sein mußten, wenn sie nicht (was oft geschah), noch geschimpft oder auf andere Weise insultirt, mit Gewalt zur Herausgabe von Geld und Lebensmitteln gezwungen oder mit List ihrer Habe beraubt wurden. Denn, wie ebenfalls Zeitgenossen erzählen, „mit Bitten und Beten fingen diese Herumstreicher an; wenn das nicht half, folgten Scheltworte und Drohungen.“ In die Stube drangen sie ein und gingen nicht fort, bis man sie befriedigt hatte; den Hausbesitzern drohten sie ganz laut, ihnen den rothen Hahn aufs Dach zu setzen; die Abergläubischen (deren es leider damals noch sehr viele gab) erschreckten sie mit Flüchen, Verwünschungen, angedrohten Behexungen und dergleichen; die Leichtgläubigen lockten sie durch angebliche Wahrsagerkünste, mittels deren sie ihnen Geheimnisse der Zukunft offenbaren oder verborgene Schätze zeigen wollten, mit Quacksalbereien, durch die sie ihnen neben ihrem Geld auch das noch viel kostbarere Gut, ihre Gesundheit, raubten. Dann gab es wieder andere unter diesen Vagabunden, welche die Frömmigkeit und den Wohlthätigkeitssinn der Leute mißbrauchten, indem sie vorgaben, für allerhand milde und christliche Zwecke Geld zu sammeln, z. B. für die Loskaufung von Christen aus der muselmännischen Sklaverei, oder (in den katholischen Ländern) für die zum heiligen Grabe Wallfahrtenden.

Von einer wohlorganisirten Bettelpolizei war bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts wenig zu spüren. Wie wäre eine solche auch möglich gewesen? Deutschland zerfiel damals in etwa dreihundert und, wenn man die kleinsten reichsritterschaftlichen Gebiete dazu rechnet, die gleichfalls so gut wie souverän waren, in fast zweitausend von einander getrennte, selbstständig verwaltete Länder und Ländchen. Eine gemeinsame Armenpolizei von Reichswegen gab es nur etwa auf dem Papiere, in der Wirklichkeit war sie ohnmächtig wie Alles, was vom Reiche ausging. Höchstens die einzelnen Reichskreise vereinigten sich bisweilen, wenn das Uebel gar zu arg wurde, zu gemeinsamen Maßregeln, denen aber auch gewöhnlich der rechte Nachdruck und Eifer fehlte. Die einzelnen Landesherren aber waren zufrieden, wenn sie jene Landplage der Bettelei und Vagabundirerei nur von ihren Gebieten fern zu halten und in die ihrer Nachbarn abzulenken vermochten; sie ließen daher nur, so gut es ging, das herumziehende Bettlergesindel von ihren Grenzen zurückweisen, oder aus ihren Ländern hinaus jagen und suchten durch grausame Strafen (wie Staupenschlag und Brandmarken), ja durch Androhung von Todesstrafe, die Wiederkehr der Vertriebenen zu verhüten. Allein eben jene Vielheit der Grenzen und der fast gänzliche Mangel eines Zusammenwirkens der benachbarten Regierungen zur gemeinsamen Abstellung des Bettelwesens machte es den aus der einen Gegend Vertriebenen leicht, in einer andern einen Schlupfwinkel zu finden; je länger aber eine solche

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