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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Auf diesem Wege hat man z. B. in Belgien die durch den Verfall ihrer alten Leinenindustrie dem Untergange nahe Bevölkerung Flanderns gerettet. – Wo man ferner in der früheren Zeit Magazine anlegte, um der ärmeren Klasse Lebensmittel zu wohlfeileren Preisen zu liefern, da leitet man jetzt diese Klassen selbst an, durch „Associationen zur billigern Beschaffung von Lebensmitteln“ oder durch „Sparanstalten“ (nach des verdienten Liedke Vorgang) denselben Zweck, aber zugleich noch einen anderen zu erreichen, nämlich: sparen zu lernen und sich zu gewöhnen, in der eignen Kraft und Umsicht und in der Vereinigung unter sich das sicherste Mittel der Unterstützung zu finden. Während man sonst blos an die Armen Nahrungsmittel vertheilte, hat man jetzt auch für die noch nicht gänzlich Mittellosen, aber doch Minderbemittelten öffentliche Speiseanstalten errichtet, um diesen eine wohlfeile und doch kräftige, gutbereitete Kost zu verschaffen. Nicht zu gedenken der Sparkassen, Alterskassen, Vorschußkassen und anderer ähnlicher Anstalten, welche bestimmt sind, den Dämon zu bannen, und welche in der That demselben so manches Opfer der Verarmung, das ohne sie ihm anheimgefallen sein würde, entreißen. Von diesen Einrichtungen (ebenfalls beinahe ausschließlich einer Errungenschaft des neuesten Kulturfortschritts) sprechen wir wohl ein ander Mal.

Die vorstehenden Betrachtungen über das Armenwesen der früheren und der jetzigen Zeit glauben wir getrost mit folgenden Behauptungen, als dem Endergebniß derselben, beschließen zu können: Das Bettelwesen, wie es in früheren Zeiten bestand, d. h. das Unwesen einer völlig heimathlosen, oft ihr ganzes Leben lang umherschweifenden, müßigen und arbeitscheuen Massenbevölkerung, ist – Dank unserer bessern Armenpolizei – fast gänzlich verschwunden. Die locale Bettelei ist, wenigstens in den meisten Gegenden Deutschlands, wenn nicht ganz beseitigt, doch wesentlich verringert. Die Zahl Derer, welche zu ihrem Lebensunterhalt fremde Unterstützung in Anspruch nehmen, hat, trotz der bedeutend gewachsenen Bevölkerung, im Ganzen eher ab- als zugenommen, und zwar hauptsächlich in Folge der höchst erfreulichen Thatsache, daß sowohl die Gelegenheit zu einem ehrenhaften Erwerb durch eigne Arbeit, als der Trieb nach solchem, häufiger als sonst, sich finden. Die Freude am Wohlthun und die Bereitwilligkeit des Gebens war zwar – man muß unsern Vorfahren diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, – vordem ebenso groß, scheinbar sogar (wenn man nur auf die Summen sieht, die in der Form wirklicher Almosen vertheilt wurden) noch größer, als gegenwärtig; allein erst die neuere Zeit hat gelernt, auf die rechte Weise, d. h. so zu geben, daß dadurch das Uebel, dem man steuern will, wirklich vermindert, nicht etwa gar noch vermehrt wird; außerdem aber sind in unseren Tagen der Humanitätssinn und Gemeingeist noch auf vielen anderen Wegen, als dem der unmittelbaren Armenpflege, für Abhülfe der vorhandenen Noth, für Emporhebung und Unterstützung des ärmeren Theils der Gesellschaft mit wahrhaft erfinderischem Eifer geschäftig. Mit einem Worte: auch auf diesem wichtigen Gebiete der Kultur sind wir ganz unzweifelhaft vorwärts, nicht rückwärts gegangen und schreiten täglich noch weiter fort. [1]




Ein Auswandererschiff.
Warnung für Auswanderer. – Die Einschiffungspunkte Hamburg und Bremen. – Auswanderungsschenken. – Bremerhaven und das Treiben daselbst. – Auf’s Schiff! – Deck, Zwischendeck und Schiffsraum. – Das Leben im Zwischendeck während der Fahrt. – Die Beköstigung. – Krankheiten und kein Arzt. – Die Medizinkiste des Capitäns. – Zeitvertreib während der Fahrt.

Zu keinem Vorhaben wohl bedarf es ein größeres Maß nüchternen Verstandes und vorurtheilsloser Ueberlegung der einschlagenden Verhältnisse als zu dem der Auswanderung. Wenige Unternehmen sind von Anfang bis zu Ende so sehr den Manipulationen gewinnsüchtiger Spekulanten unterworfen, wenige werden trotz mannigfacher Aufklärungen und Warnungen in der Regel mit so kläglichem Ungeschick und so unverantwortlichem Leichtsinn angegriffen, wenige schließen so häufig mit schmerzlichster Enttäuschung. Nun ist es nicht unsere Absicht, im Folgenden von der Auswanderung überhaupt abzureden und etwa die ganze Litanei von Gründen herzubeten, welche von Wohlmeinenden aber Befangenen gegen diese Erscheinung im neuern Völkerleben bisher mit keinem andern Erfolge geltend gemacht worden ist, als dem, welchem der Wunderliche begegnen würde, der den Rheinstrom mit der flachen Hand aufhalten wollte. Es ist nicht blos die Noth und nicht blos das Mißvergnügen an den politischen Zuständen der alten Welt, welche das heutige Geschlecht treiben, seine Geschicke und seine Hoffnungen vom Boden des Vaterlandes zu lösen und drüben über’m Meere in ein anderes Feld zu verpflanzen; es ist zugleich einer jener geheimnißvollen Triebe, welche sich von Zeit zu Zeit im Leben der Menschheit geltend machen und, indem sie Theile derselben in andere Bahnen drängen, neue Perioden der Geschichte vorbereiten. Dafür spricht schon die Thatsache, daß der Hauptzug der Auswanderung, vielfältiger Empfehlungen anderer Länder ungeachtet, noch fortwährend nach Amerika und hier wieder vor Allem nach den Gegenden geht, welche das Sternenbanner der großen anglosächsischen Republik beschattet. Thöricht also, wir wiederholen es, ist, wer dem wehren, wer davon abmahnen will. Wohl aber kann die Warnung vor leichtfertiger Auffassung eines derartigen Vorhabens dem Einzelnen nicht oft genug wiederholt werden, und wohl soll die Presse unablässig darauf hinweisen, daß der Weg zu den Früchten der transatlantischen Freiheit ein beschwerlicher und gefährlicher ist, daß auf diesem Wege ein heller Kopf, ein scharfes Auge und eine rasche Hand weiter helfen als ein voller Beutel, und daß namentlich der Deutsche weise thut, wenn er alles rosenfarbene Phantasiren von den Annehmlichkeiten dieses Weges und alle seine nationale Gemüthlichkeit einstweilen in die Herzenstruhe verschließt, und sich dafür ein gutes Theil praktischen Sinn, möglichst viel Sachkenntniß und – die beste Waffe zum Schutze gegen den Schwindelgeist, der drüben mit dem Scheine von uneigennütziger Theilnahme Wucher treibt – einen großen Vorrath von Vorsicht oder wenn man will Mißtrauen anschafft.[2] Diese Regeln sollten das Abend- und Morgengebet jedes Auswanderers, ihre Befolgung sein stetes Dichten und Trachten sein, und zwar von dem Tage an, wo er seinen Entschluß zur Uebersiedelung faßt, bis zu der Zeit, wd er, hindurchgeschifft durch die Scylla und Charybdis der Reise, die Gründung eines neuen Herdes beginnen kann, an welchem er dann die verschlossene Gemüthlichkeit, die an sich ein schätzenswerthes Kleinod, den Mäklern und Emigrantenwirthen cis- und transatlantischer Hafenstädte gegenüber jedoch von Uebel ist, ohne Gefährdung seiner Interessen nach Herzenslust wieder pflegen mag.

Derartige Rathschläge aber sind, so allgemein gehalten, leichter ertheilt als befolgt. Sie haften nicht im Gedächtnisse und sie lassen ihre Tragweite nicht erkennen, wenn sie nicht durch Bilder aus dem Leben veranschaulicht sind, und so möge denn im Folgenden ein Gemälde aus eigner Erinnerung geschöpft dem Rathe und der Warnung zur Seite treten. Es ist zunächst der Auswanderer auf der See, den wir zum Gegenstande unserer Darstellung machen. Später findet sich wohl auch Gelegenheit, den Auswanderer in der neuen Heimath zu schildern, deutsche Handwerker in amerikanischen Werkstätten und deutsche Bauern in den Blockhütten des Hinterwaldes zu zeichnen.

Für den deutschen Auswanderer nach Amerika giebt es allen Erfahrungen zufolge nur zwei empfehlenswerthe Einschiffungspunkte und diese sind Hamburg und Bremen. Selbst der Baier und der Schwabe sollte diese den französischen, niederländischen und englischen Häfen vorziehen, da abgesehen von den vielfachen und wohlbegründeten Klagen, die über letztere laut geworden sind, in ersteren die Sprache, die Gesetze und die Verhältnisse, die hier


  1. Wir verweisen auch hier wieder Diejenigen unserer Leser, die genauere Aufschlüsse oder eine weitere Bestätigung des oben Angeführten wünschen, auf das Buch: „Deutschlands politische, materielle und sociale Zustände im 18. Jahrhundert,“ von Biedermann.
  2. Dieses Frühjahr kamen sogar fünf Familien in Hamburg an, denen man in ihrer Heimath (Böhmen) vorgelogen, von Hamburg aus brauchten sie keinen Pfennig Geld mehr und könnten sich hinüber nach Amerika betteln.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_448.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)