Seite:Die Gartenlaube (1854) 449.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

gelten, ihn wesentlich begünstigen. Er hat Muth und Vertrauen auf sich selbst nöthig, und schwer ist’s, die zu bewahren, wo der noch Heimathlose schon beim ersten Tritte in Verlegenheiten hineintappt. Hätten wir aber zwischen den beiden Hansestädten der Nordsee zu wählen, so könnten wir zweifelhaft sein. Dem der Verhältnisse Kundigen allerdings verschlägt es nichts, ob er auf einem Slomann’schen Schiffe die Elbe hinabfährt oder ob er auf einer Barke oder Brigg der bremer Kauffahrteiflotte seine Ueberfahrt bewerkstelligt. Als der sichrere Weg für den Unerfahrenen dagegen kann unbedenklich der über Bremen bezeichnet werden. Namentlich gilt dies für den weniger Bemittelten, der sich auch vor geringen Uebervortheilungen zu hüten hat, und den die hamburger Gesetzgebung nicht in dem Grade gegen die Praktiker und Kniffe der Logierwirthe schützt, wie sie sollte.

Kommt ein Trupp solcher unerfahrenen Emigranten, an seiner wunderlichen Tracht, seinen halb blöden, halb übermüthigen Geberden und seinem in der Regel ungeheuerlichen Gepäck leicht erkannt, im Hamburger Bahnhofe an, so stürzt sich sofort, einem Rudel hungriger Wölfe vergleichbar, ein Haufe von Mäklern und Gastwirthen auf sie, faßt sie am Arme, dringt ihnen dies oder jenes Haus mit lockendem Namen als Absteigequartier auf, schafft die, welche sich den Unvermeidlichen fügen, als gute Beute in eine Droschke, setzt sich auf den Bock und bringt die mit dem ersten Tritte auf den Boden der Handelsstadt zur Waare Gewordenen, ehe sie sich besinnen, wie ihnen geschehen, in ihren Emigrantenspeicher in Sicherheit. Hier werden die Eingefangenen gewöhnlich in einer Weise verköstigt und untergebracht, die dem dafür geforderten Preise nicht entspricht. Dann geht der gefällige Wirth, immer gut gelaunt und zuvorkommend mit den Gästen zum Einkauf der Reisegeräthschaften, die er, der Vermittler, jederzeit, der Käufer aber selten wohlfeil findet. Schließlich stellen sich gute Freunde des Hausherrn ein, um den Auswanderern Passagierscheine für dieses oder jenes Schiff anzubieten, wobei ebenfalls Erkleckliche an der Waare verdient wird. Merkt letztere, daß man ihr zu übel mitgespielt, so ist es gewöhnlich zu spät oder zu weitläufig, um Schadloshaltung zu erlangen. Wer denkt, wenn das Schiff die Anker zu lichten im Begriffe ist, an Advokaten und Gerichte! Wer an die Presse! Und so geschieht es, daß wir zwar häufig Anpreisungen solcher Auswandererschenken in den Blättern lesen, selten aber oder nie das Gegentheil. Die Leute sind eben gemeiniglich zu vergnügt, den ersten Schritt in ihre Zukunft hinter sich zu haben, als daß sie nicht geneigt sein sollten, über einen nicht allzu groben Griff in ihre Tasche ein Auge zuzudrücken.

In Bremen ist es wenigstens einigermaßen anders. Wiewohl natürlich das Streben, an den Abziehenden zu verdienen, hier nicht geringer ist, so ist doch durch eine Art Commission achtbarer Bürger dafür gesorgt, daß dieses Bestreben sich innerhalb gewisser Grenzen hält und daß Diejenigen, welche den Rath, der ihnen schon am Bahnhofe gedruckt ertheilt wird, nicht verschmähen, in einer für Wirth und Gast zufriedenstellenden Weise bis zur Abreise nach Bremerhaven, wo die eigentliche Einschiffung stattfindet, Unterkommen finden. Indeß ist auch hier eine fleißige Anwendung des Sprüchworts: „Traue, schaue, wem!“ nicht von Ueberfluß, und nicht selten erweist sich die Gefälligkeit, womit der oder jener gut gekleidete junge oder alte Herr dem guten dummen Bauerknaben ungefragter und unbekannter Weise unter die Arme greift, hinterher durchaus nicht als das, was in Grimm’s Wörterbuch unter dem Artikel „Gefälligkeit“ definirt wird.

Verlassen wir aber nun die Auswanderergasthöfe und ihr Gewimmel von süd- und norddeutschen Trachten, Mundarten, Manieren und Münzen und begeben wir uns mit dem Dampfboote (wenn irgend die Kasse nicht zu knapp bemessen ist, bei Leibe nicht mit den schneckenlangsamen, zum Ersticken und Erdrücken überfüllten schwimmenden Dunsthöhlen, auf denen die Rheder ihre Passagiere gratis flußabwärts schaffen lassen) die Weser hinunter nach Bremerhaven, wo das Auswandrerschiff die Europamüden erwartet, oder, wenn dieses noch nicht segelfertig ist, das große burgartig gebaute, den Anforderungen nach, die man für die geforderten Preise stellen darf, trefflich eingerichtete Emigrantenhaus einstweilen Unterkunft gewährt. Hier drängt sich Alles zusammen, was auf die Auswanderung Bezug hat. Hier eilen geschäftig Rheder und Mäkler, Brieftasche und Bleistift in der Hand hin und her. Hier suchen amerikanische Sendlinge Seelen für den Methodismus zu kapern. Hier füllen durch lange Schläuche Matrosen die Wasserfässer der Fahrzeuge, die mit ihren schwarzen Rümpfen, ihren Masten und Raaen, ihren Klüverbäumen und ihrem Tau- und Segelwerk unbeweglich und doch so voll ameisenhaft wimmelnde Bewegung an den Quais liegen. Hier schaffen Auswanderer ihre Siebensachen, ihre unförmlichen bunten Truhen, ihre Betten und Geräthe an Bord. Hier untersucht die zu diesem Zwecke bestellte Commission, die ohne Zweifel gewissenhaft, aber freilich nicht unfehlbar und noch weniger untäuschbar ist, die vom Rheder für die Passagiere gelieferten Lebensmittel, und sieht nach, ob das Pökelfleisch nicht durch zu viele Reisen über den Ocean zu viel Hautgout angenommen hat, ob die Butter genießbar ist und ob von Allem die gehörige Quantität, wie sie das Gesetz vorschreibt, besorgt wurde. Hier tummeln sich, angeheitert von zu eifrigem Abschiedtrinken in den Schenken des Städtchens, wo man beiläufig unter andern guten Dingen auch sehr wohlfeilen vaterländischen Madeira bekommt (der leider etwas nach Syrup und Kartoffelschnaps schmeckt) zukünftige Bürger und Bürgerinnen der Yankeerepublik, denen man eher alles Andere als Heimweh ansieht. Dort wieder bringen Familienväter die Strohsäcke und Decken, die sie für die Meerfahrt gekauft, während Frau und Kinder mit dem blechernen Speisenapfe, dem Waschbecken, den Trinkbechern, der langhalsigen, dickbäuchigen Wasserflasche, dem Geschirre, welches die Seekrankheit zur Nothwendigkeit macht, und dem lieben Rumfäßchen, womit sie sich über die Leiden derselben trösten oder die Gunst des allezeit durstigen Kochs erkaufen werden, klirrend und klappernd hinterhertraben. Dort endlich erscheint, nach armen Teufeln spürend, die einen Paß für überflüssig oder den Rock des Königs von Preußen für unkleidsam gehalten, mitunter aber auch nach gefährlicheren Gesellen forschend, umgeben von behelmten, uniformirten, säbelschleppenden Gensd’armen, hervorschauend aus dem Halsgeschmeide hoher würdevoller Vatermörder, unsere alte gute Freundin – die deutsche Polizei.

Lassen wir sie bei ihrer Jagd und wünschen wir ihr einen guten Fang, namentlich wo es sich um solche Vögel handelt, die in anderer Leute Schotenfeldern und Kirschbäumen ihr Wesen getrieben haben, und denen darum ein tüchtiger Käfig mit schmaler Kost, nicht aber die Freiheit Amerika’s gebührt. Lassen wir sie, die Matrosen haben den Anker aufgewunden, Capitain und Lootse sind an Bord, schon öffnet sich das Hafenthor, und wenn wir die Reise mitmachen wollen, ist’s hohe Zeit, sich ebenfalls auf’s Schiff zu verfügen. So – ein flotter Sprung – und holla, da sind wir auf dem Rücken des alten, gelassenen, mit seiner Menschen- und Güterfracht langsam dahingleitenden Meerungeheuers, dessen Bauch nun auf lange Wochen unsere Wohnung sein wird.

Wir schwimmen in die gelbgraue Weser hinein. Die Segel werden aufgehißt. Sie blähen sich und schwellen, raschen Laufes durchschneidet der Kiel die trübe Fluth, die letzten Häuser Bremerhavens verschwinden, allmälig verläuft sich auch das flacher und flacher werdende Ufer mit seinen Wiesen, seinen Rinderheerden und seinen fernen Kirchtürmen, der Lootse verläßt uns, der Capitain übernimmt das Commando und wir sind auf der Nordsee, aus der wir, wenn der Windgott den rechten Schlauch geöffnet läßt, an Helgolands rothen Felsen vorüber in achtundvierzig Stunden in den Canal, der Englands Kreideküsten von Frankreichs dunklem Gestade trennt, einlaufen werden, um, wenn Aeolus uns ferner wohlwill, in abermals achtundvierzig Stunden in den atlantischen Ocean – oder wie die Matrosen sagen, in die „spanische See,“ mit ihren Meilen langen dunkelblauen Wogen hinauszusegeln, wo bis zur Ankunft am Ziele kein Land uns wieder begegnet.

Bis hierher glaubten wir es noch nicht am Orte, die Frage auszuwerfen, was denn so eigentlich ein Auswandererschiff sei. Jetzt ist die Zeit dazu gekommen. Ein Engländer hat das Leben an Bord überhaupt als „eingekerkert sein und dabei Gelegenheit zum Ertrinken haben“ charakterisirt. Bei einem Auswandererschiffe trifft der erste Theil der Definition doppelt zu. Sehen wir uns um – die beistehende Zeichnung des Innern eines der größten Fahrzeuge dieser Art wird das, was unsere Federzeichnung nicht deutlich genug geben sollte, für das Verständniß nachholen. Im Wesentlichen sind alle Schiffe dieser Gattung sich gleich. Sie zerfallen, ihrem Rumpfe nach betrachtet, in drei Abtheilungen, welche durch Treppen mit einander verbunden sind und das Deck, das Zwischendeck und der Schiffsraum genannt werden. Auf dem Deck befindet sich hinter dem Bugspriet, an welchem die Gallion oder das Namensbild des Fahrzeuges prangt, und über dem, der Waffe des

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_449.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)