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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

schwimmender, zur Würze des Ackerfelds, aber nicht zur Würze menschlicher Nahrung tauglicher Dinge gar nicht zu gedenken.

Alle diese Mängel lassen sich mit mehr Humor erzählen als ertragen. Sie mögen sich vielleicht nicht ganz beseitigen, sie werden sich aber sicherlich mildern lassen. Auf alle Fälle wird ein tüchtiger Capitän es zu bewirken und nöthigenfalls zu erzwingen wissen, daß Zucht und Ordnung im Zwischendecke herrscht, daß die Bewohner desselben Anstand und Einsamkeit nicht über die Grenzen der Menschlichkeit aus den Augen setzen, und daß sie sich und ihre vorläufigen Wohnstätten möglichst rein halten. Leider jedoch trifft man auch auf deutschen Auswandererschiffen – obwohl nirgends in dem Grade, wie auf englischen – nicht selten das Gegentheil dieser Erfordernisse. Die Folgen liegen in grauenvollen Beispielen zu Tage. Die üble Luft, welche sich aus den Dünsten des im Schiffsraume stehenden faulen Wassers, verschütteten und nicht weggefegten Speiseresten, und aus den Ausdünstungen so vieler in enge Räume gepferchten Menschen entwickelt, ruft zumal dann, wenn stürmisches Wetter den Aufenthalt auf dem Deck verleidet, Krankheiten hervor, von denen besonders das Schiffsfieber, eine Art von Typhus, häufig entsetzliche Verheerungen anrichtet. Die große Unreinlichkeit aber, welche unter solchen vielfach zusammengewürfelten Menschen sich nur mit äußerster Strenge verbannen läßt, bedeckt die Schiffe mit Ungeziefer, denen bei der Enge der Verhältnisse auch der Reinliche nicht entgeht.

Mindestens ebenso wichtig jedoch als jene pia desideria ist die oft schon angeregte Frage, weshalb die Herren Rheder, die an ihrer Menschenfracht doch wahrlich genug verdienen, sich durchaus nicht herbeilassen mögen, ihren Schiffen zur Ueberwachung des Gesundheitszustandes der zwei- bis dreihundert Passagiere, welche darin verstaut sind, Aerzte beizugeben. Ihre Antwort würde, wenn sie aufrichtig zu sein den Muth hätten, einfach lauten: Wozu bedarf’s für Frachtgut eines Doctors? In Wahrheit aber ist es schmählicher, himmelschreiender Geiz, und die Presse, die dem Auswandererwesen schon manche Wohlthat zugewendet und manche seiner Leiden gemildert hat, sollte ohne Unterlaß auf Erfüllung dieser Pflicht dringen, so lange darauf dringen, bis es in Bremen und in Hamburg zum Gesetz erhoben würde, daß kein Auswandererschiff ohne Arzt den Hafen verlassen dürfe. Die Medizinkiste, welche jedem Schiffe beigegeben wird, ist – wir selbst haben auf einem bremer Schiffe eine solche verwalten müssen – lediglich Matrosenbedürfnissen angepaßt, selten in Ordnung, häufig sogar aus den Büchsen und Düten mit falschen Bezeichnungen versehen, und die Capitäne wissen in der Regel so wenig von der Kunst Aesculap’s, daß sie alle Krankheiten mit lothweise verabreichten Dosen von Ricinusöl oder Epsomsalz curiren. Welche Resultate damit erreicht werden, wenn eine ernste Krankheit ausbricht, mag man aus einem Beispiele abnehmen, daß auf dem Schiffe „Johann Hermann“ (Capitän Dieckmann) während der Ueberfahrt nach New-York, zu der es die Zeit vom 1. November 1853 bis zum 17. Januar 1854 brauchte, 41 Menschen starben, von denen ohne Zweifel viele hätten gerettet werden können, falls ein Arzt sich an Bord befunden hätte. Von einer Familie blieben vier Kinder übrig, die nebst ihrem Vermögen der deutschen Gesellschaft in New-York übergeben wurden. Für Erhaltung eines älternlosen Säuglings bot der Capitän fünf Dollars. Er starb jedoch ebenfalls vor der Ankunft des Hermann im Hafen.

Rechnet man zu allen diesen Mängeln und Mißständen noch die ungewohnte Lebensweise, die Langeweile bei Windstille, die Furcht vor Riffen, Sandbänken und Eisbergen, welche letztere im Sommer oft tief nach Süden herabtreiben, das furchtbare Schauspiel von Stürmen und Gewittern, so liefert das ein Facit, welches durchaus nicht wie eine Lustreise aussieht. Dennoch giebt es auch hier, wie allerwärts, einige Freuden und Unterhaltungen, zumal wenn der Capitän kein zu strenger Patron ist. Die Einen fischen, Andere tanzen auf dem Deck nach einer Ziehharmonika, wieder Andere erzählen sich Geschichten, bilden Singekränzchen, schneidern, schustern oder helfen den Matrosen, erkundigen sich am Compaß oder Steuer, in welcher Richtung und wie viel Knoten das Schiff segelt. Noch Andere studiren die Landkarte oder die Sprache ihres zukünftigen Vaterlandes, Andere beobachten die Erscheinungen des Himmels. Wolken, Morgen- und Abendroth, den Sturmbaum, der starken Wind verkündigt, oder die Gewitter, die namentlich in der Nähe des Golfstroms häufig mit schrecklicher Gewalt wüthen. Andere endlich betrachten das Leben der See und ihrer Thierwelt, bis denn – oft erst nach acht- und zehnwöchentlichem Harren, selten in der Hälfte dieser Zeit – das Gestade Amerika’s am Horizonte auftaucht, und der Lootse an Bord steigt, der die meermüden Wanderer in den Hafen von New-York oder Boston, Baltimore, New-Orleans oder Galveston führt.




Blätter und Blüthen.

Ein amerikanischer Cincinnatus. Im Jahre 1814 wußte man in Süd-Carolina nicht, wen man zum Gouverneur wählen sollte. Es traten wohl Candidaten auf, aber nicht solche, wie man sie liebte. Man besprach sich deshalb mehrere Tage miteinander und doch wußte man keinen einzigen, für das Amt passenden Mann zu finden. Ein junger Mann, Namens O’Neall, fragte in dieser Verlegenheit, warum man nicht den General David Williams wähle? Kaum war der Name Williams ausgesprochen, als auch die ganze Legislatur rief: „Dies ist unser Mann!“

Der Wahltag kam und der General Williams wurde mit einer bedeutenden Mehrheit gewählt. Ein Bote wurde mit einem Briefe an ihn abgeschickt, um ihm seine Erwählung mitzutheilen. Nach einem scharfen Ritt kam der Botschafter an des Generals Wohnung im Marlborough-Distrikt an und fragte, ob der General zu Hause sei. Man sagte ihm, daß er sich auf seiner Plantage befinde, worauf der Bote sich dorthin auf den Weg machte, um dem General sobald wie möglich den Brief zu überreichen. Auf dem halben Wege begegnete ihm ein schöner Mann, welcher einen alten Kittel trug und ein Maulthier vor sich her trieb.

„Befinde ich mich auf dem Wege zur Plantage des General Williams?“ fragte der Bote.

„Ja, mein Herr, Sie haben noch eine Meile bis dorthin.“

„Ist der General zu Hause?“

„Nein, mein Herr.“

„Wo ist er?“

„Ich bin der General Williams.“ Der Bote schien dies nicht glauben zu wollen und rief: „Täuschen Sie mich nicht. Ich habe einen wichtigen Brief für General Williams, wenn dies Ihr Name ist; hier ist der Brief.“

Herr Williams öffnete den Brief und fand zu seinem Erstaunen, daß er ohne sein Wissen und Wollen zum Gouverneur von Süd-Carolina gewählt worden war. Er nahm den Boten in sein Haus und schrieb einen, Brief, um die Annahme der Wahl anzuzeigen und die Zeit zu bestimmen, in welcher er nach Columbia kommen werde. Der Bote kehrte zurück.

An dem festgesetzten Tage kurz vor zwölf Uhr kam ein Mann in einem Kittel in die Stadt geritten; er band sein Pferd an einen Baum und ging in das Kapitol, wo er eine große Menschenmasse versammelt fand. Nur wenige kannten ihn persönlich. Er setzte sich auf einen Stuhl und als der Glockenschlag die zwölfte Stunde anzeigte, stand der General auf und hielt eine meisterhafte Rede und versetzte die ganze Versammlung durch seinen Vortrag in Enthusiasmus. Einige Tage später trat er seinen Posten als Gouverneur an und es ist nur eine Stimme, daß er ein ausgezeichneter Beamter war.

Gewalt der Einbildungskraft. Ein sehr drastisches Exempel von der Gewalt der Einbildungskraft erzählte ein Arzt, Dr. Noble, in seiner Vorlesung „über den dramatischen Einfluß von Ideen und Vorstellungen.“ Monsieur Boutibouse, ein französischer Soldat in Napoleon’s[WS 1] I. Armee, war in der Schlacht bei Wagram (1809) mit stark beschäftigt. Die Reihen neben ihm hatten sich gegen Abend fürchterlich gelichtet und lagen um ihn herum, todt, sterbend, zerschossen, armlos, ohne Beine, ohne Kopf, ohne Kinnladen, einäugig oder mit gar keinen Augen mehr, kurz in allen möglichen Verzerrungen und Verstümmelungen. Als er, schon nach Sonnenuntergang, eben seine Muskete wieder lud, sauste eine furchtbare Kanonenkugel gerade unter ihm hin. und nahm seine beiden Beine mit, so daß er einen Fuß tief einsank und rücklings hinstürzte. Beide Beine waren jedes um einen Fuß verkürzt. So lag er mit seinen Stummeln mäuschenstill, ohne es zu wagen, sich zu rühren, damit er den Blutverlust nicht befördere. Er fühlte keinen Schmerz, da die plötzlich zerrissenen Nerven und Muskeln, wie er sich es dachte, abgestumpft worden waren, und der Schmerz sich erst später einstellen werde. So lag er die halbe Nacht, ängstlich auf den Wundarzt wartend, der sich dann auch endlich einfand.

„Und was ist’s mit Ihnen, mein braver Kerl?“ frägt der Wundarzt.

„O, fassen Sie mich sacht an! Mir sind unten beide Beine von einer Kanonenkugel weggerissen, lieber Doctor!“

Der Doctor untersucht alle Gliedmaßen und findet jedes vollständig. Er giebt dem Manne einige kräftige Püffe und ruft lachend aus: „Auf, auf, Bursche, es ist noch Alles da.“

Monsieur Boutibouse erhebt sich, besieht seine Beine und springt entzückt auf.

„Ich fühlte damals eine Freude, ein Entzücken, das ich nie vergessen werde,“ erzählte er später. „Ich hatte keine Spur von Wunde an mir. In der That war ich von einer großen Kanonenkugel niedergeschossen und um einen Fuß verkürzt worden, wie ich hernach sah. Sie hatte den Boden unter meinen Füßen weggerissen, so daß ich in die so entstandene Höhlung sank, indem zugleich der fürchterliche Luftzug, den die Kugel im Durchsausen erzeugt, das Gefühl eines Minus um meine Unterbeine hervorgerufen haben mochte.“

Dr. Noble verbürgte die Wahrheit dieses Vorfalls.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Napolon’s
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_452.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2017)