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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Des Agha’s Erzählung.
Aus dem türkischen Lager. Von Hans Wachenhusen.

Wir saßen zu Anfang Juni d. J. im türkischen Vorposten-Lager, hart am Ufer der unteren Donau. Es war Abend, der Mond war schon seit einer Stunde aufgegangen und spielte mit seinem blassen Schein über die Flammen des Wachfeuers. Mahmud, der On-Baschi, (Korporal) hatte bei Anbruch der Dunkelheit seine von ihm selbst fabrizirte türkische Zither zur Hand genommen und mit dem kleinen Spänchen darauf klimpernd, uns ein begeistertes Lied gesungen, von dem ich nichts verstanden und dessen näselnde Gesangsweise die gewöhnliche Wirkung aller türkischen Melodien auf mich gemacht hatte: ich war in einen Halbschlummer gesunken. Jetzt, als der Gesang schwieg, weckten mich die melancholischen, lang gedehnten Klänge der Hörner eines entfernten Zapfenstreichs im Hauptlager, ich hörte nach demselben das tausendstimmige „Allah!“ der verschiedenen Tabors, welchen der Zapfenstreich galt, richtete mich auf, schüttelte mich ein wenig, denn der Boden, auf welchem ich hingestreckt gelegen, war noch feucht von dem Gewitterschauer, der uns Nachmittags getroffen, und that das erste, was man im Orient unmittelbar nach dem Erwachen thut – ich griff nach meinem Tschibuk, der während meines „Dämmerns“ der Hand entschlüpft war.

„Bujurun, Effendim!“ hörte ich die Stimme des allzeit gegen mich, den Gast im Lager, dienstfertigen On-Baschi. Mit der Kaffeeschale in der einen und die Zange mit einer glühenden Kohle in der andern Hand stand er vor mir, denn während ich schlief, hatte er nicht nur meinen Tschibuk wieder gestopft, sondern auch den unerläßlichen Kaffee bereitet.

„Ich danke Dir,“ antwortete ich dem On-Baschi. „Wo ist denn Wefadar Agha, der Jäs-Baschi?“

„Dort liegt er neben Dir,“ antwortete Mahmud. „Masch Allah, wenn Ihr so weiter schlaft, werden die Moskow drüben leichtes Spiel haben, unsere Vorposten niederzumachen wie eine Ratte im Sack.“

Inzwischen regte sich auch Wefadar Agha, der Commandirende unsers kleinen, aus Baschi-Bosuks bestehenden Vorpostens, der sich seit drei Tagen hinter eine Schanze gelegt, die im vorigen Herbste schon durch einen Uebergang der Russen genommen, von ihnen zerstört worden war, da sie sich wieder auf das jenseitige Ufer zurückzogen, jetzt aber immerhin noch ausreichte, um hinter dem halb verwüsteten Erdwerk zu campiren. Wefadar Agha war ein Türke vom reinsten Wasser; er liebte und verehrte seinen Padischah wie einen sichtbaren Gott, las so viel im Koran, daß man ihn allenfalls für einen Hodscha hätte halten können, und besaß in den Augen der Stocktürken nur zwei Fehler: er trank gern sein Glas Rakih (Schnaps), aber nie bei Tage – Gott bewahre – immer nur Abends, eine Stunde nach Sonnenuntergang; ferner hatte er eine außerordentliche Vorliebe für jeden Franken, der, wie er sich ausdrückte, zwar ein Giaur, ein Ungläubiger, aber im Uebrigen doch ein „sehr guter Kerl,“ sei. – Gott vergelte ihm diese gute Meinung; wer sie ihm beigebracht, habe ich nie erfahren, mir aber kam sie bei ihm sehr zu Statten. Trotz dieser einen erleuchteten Richtung steckte Wefadar Agha wie die meisten Türken bis an den Hals im Aberglauben, er war ein Kind an Leichtgläubigkeit, und daß ich ihm die ehrliche Haut nicht mehr voll gelogen, als es zu unserer Unterhaltung durchaus nothwendig war, das verdankt er dem Umstande, daß ich ihn seiner vielen guten Eigenschaften, namentlich seiner Treuherzigkeit wegen aufrichtig schätzen gelernt. Der Glaube dieser ehrlichen Türken ist überhaupt so stark, daß er Berge versetzen kann, ja mitunter hören sie den Erzählungen der Franken mit so possierlich liebenswürdiger Durchdrungenheit zu, daß man es sich schlechterdings nicht versagen kann, ihnen einen kleinen Bären aufzubinden.

Der Leser wird Letzteres unredlich finden, man wird sagen, diese Aufschneidereien seien hauptsächlich daran Schuld, daß die Europäer bei dem Orientalen in so schlechten Credit gerathen, aber, du lieber Gott, wie kann man anders! Wir sind nicht so erfahren in dem süßen „Kàff machen“ des Türken, einem Vergnügen, gegen welches das dolce far niente des Italieners noch ein sehr unvollkommener Seelenzustand ist; der Türke giebt nichts aus in der Unterhaltung, deren wir doch bedürfen, wenn wir’s ihm nicht gleich machen können in der Kunst, sich in süßer, bewußtloser Schwärmerei über Zeit und Welt hinweg zu setzen. Wir müssen also die Unterhaltenden sein, um aber die Aufmerksamkeit, das Interesse der Türken rege zu erhalten, müssen wir immer ganz absonderliche Geschichten erzählen – und diese sind bekanntlich nicht immer die wahren.

Wefadar Agha hatte heute Nachmittag von dem Miralai (Obersten) den Befehl erhalten, eine Recognoscirung Donau abwärts zu machen, da ein bulgarischer Bauer die Meldung gebracht, es ließen sich Kosaken bei der Insel Kama-Ada sehen. Als Wefadar Agha diese Ordre erhielt, nahm er etwa zwanzig seiner besten Reiter, ließ sie aufsitzen und schlug mir vor, ihn zu begleiten. Mahmud On-Baschi, der natürlich mit dabei war, hatte mir in weniger als drei Minuten mein Pferd von der Wiese geholt und gesattelt, und ich schloß mich also dem Zuge an. Nach anderthalb Stunden erreichten wir das Kama-Ada gegenüber liegende Ufer. Der On-Baschi war unter dem Schutze der vorspringenden niedern Felsen eine Strecke voran geritten, kam plötzlich spornstreichs unter allerlei dem Jäs-Baschi gegebenen Zeichen zurück und rapportirte Wefadar Agha etwas, das ich nicht hören konnte. Auf das leise Kommando des letztern sprengte der Trupp um den Ufervorsprung, während des Rittes knackten tactmäßig die Hähne der langen Pistolen und ehe ich mich dessen versah, schwammen die zwanzig Pferde mit ihren Reitern in der Donau, auf Kama Ada zu.

Ich stutzte. Auch mein Pferd hielt unwillkürlich an; es schien einen zu guten Begriff von meiner Besonnenheit zu haben, als daß es hätte glauben können, ich werde mich auf dergleichen halsbrechende Dinge einlassen, die doch offenbar über das Gebiet des kriegerischen Dilettantismus hinausstreiften. In der That lag dieses Manöver außer meiner Verabredung mit dem Jäs-Baschi; zu Lande würde ich ihm durch dick und dünn gefolgt sein, ja ich wäre allenfalls zu Fuße mit ihm auch in’s Wasser gesprungen, aber zu Pferde, das war mir neu; jedenfalls hätte ich darauf vorbereitet sein müssen. – Bekanntlich wurde dieses Manöver schon in dem vorigen Kriege von den Türken häufig ausgeführt, die an mehrern Stellen schwadronenweise schwimmend über die Donau gingen und hierdurch die Russen unangenehm überraschten.

„Wohin denn, Wefadar A?“[1] rief ich ihm nach, als ich ihn, an der Spitze seines Trupps, mit dem krummen Säbel zwischen den Zähnen und dem Pistol in der Hand der Insel zuschwimmen sah. Aber Wefadar A hörte und sah nicht und das Schnauben der Pferde überstimmte mein Rufen. Auf die Gefahr hin, in den Augen der Türken und in ihrer guten Meinung zu verlieren, beschloß ich, vom Ufer aus ruhig mit anzusehen, wie diese Wasserparthie enden werde. Nach Verlauf von kaum fünf Minuten hatte der Agha die Insel erreicht, die, überhaupt nur klein wie die meisten Inseln, mit welchen die untere Donau besäet ist, nach der bulgarischen Seite zu mit Weidengesträuch bedeckt ist. Kaum war der Agha mit der Hälfte seiner Reiter hinter dem letzteren verschwunden, als ich einen Pistolenschuß fallen hörte; diesem folgten im Nu ein Dutzend fernerer Schüsse; die Insel füllte sich über dem Weidengesträuch mit Pulverdampf, so daß es mir vollständig unmöglich gemacht wurde, zu beobachten, was dort vorgehe. Eine Pause von etwa zehn Secunden trat ein; dann fielen abermals, jedoch nicht in so schneller Folge wie vorhin, drei, vier Schüsse – Alles war ruhig; der Pulverdampf theilte sich allmälig über den Weiden, ich sah den Feß des Agha’s und die bunten Turbane seiner Reiter sich hinter dem Gesträuch hin- und herbewegen.

Wenn ich auch nichts von dem ganzen Vorgange gesehen, so wußte ich dennoch, was passirt: der Agha hatte sicherlich auf der kleinen Inselscholle ein halbes Dutzend Kosaken atrappirt, wie sie häufig auf den Inseln der Donau umherschlichen und die Lager der Türken beobachteten; ohne Zweifel hatte der Agha sie abgefangen und ihr Kaik versenkt. – Während ich mir, seine Rückkehr erwartend, eine Papier-Cigarre drehte, hörte ich etwas in’s Wasser plumpen – richtig, Wefadar Agha trat seinen nassen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_462.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2019)
  1. Der Türke spricht den jedem höheren Militär zukommenden Titel Agha hinter dem Namen nur A aus.