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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Rückzug an, alle seine Baschi Bosutt hinter drein; – nur eins der Pferde war herrenlos geworden and wurde vom On-Baschi am Zügel geführt, während der Reiter, anscheinend leblos, über den Sattel eines seiner Kameraden gelegt war und von diesem transportirt wurde. Wefadar Agha hatte wiederum eines jener zwecklosen Scharmützel geliefert, deren während dieses Kriegs fast jeder Tag einige brachte, und für die zusammengenommen man füglich eine entscheidende Schlacht hätte liefern können, ohne (es ist dies nicht übertrieben) einen größern Verlust zu haben.

Triefend von Wasser langte Wefadar Agha wieder an; er war sehr zufrieden mit sich und erzählte mir, daß sie acht Moskows drüben abgeschlachtet; auch zeigte er mir einige Trophäen, nämlich sechs Karabiner und einige Säbel, welche man den Kosaken abgenommen.

„Und dafür hast Du einen Deiner Muselmänner geopfert?“ fragte ich, auf den Schwerverwundeten zeigend, den man leblos auf die Erde gelegt hatte. „War er Dir nicht mehr werth als diese schlechten Waffen, diese acht Moskows, die Du drüben abgethan hast? … Wefadar A,“ setzte ich vorwurfsvoller hinzu, während er sich eines Lächelns nicht erwehren konnte, als er mich in meinem Eifer mit der türkischen Sprache in die Brüche kommen sah. „Wefadar A, es ist nicht Recht, daß von Dir und allen Deines Gleichen in solchen nutzlosen Scharmützeln Eure braven Soldaten geopfert werden.“

„Thut nichts!“ antwortete er, „die Gesetze unserer Religion gebieten uns, dem Feinde zu schaden, wo wir können.“

„Das ist möglich,“ versetzte ich, „aber die Gesetze der Religion sind nicht die des Krieges, und die Klugheit hat auch ihre eigenen Gesetze; so lange Ihr diese nicht beachtet, werdet Ihr nie den Krieg führen lernen. Wir Franken folgen im Kriege immer zuerst den Gesetzen der letzteren und dann erst denen der ersteren.“

„Dafür seid Ihr auch Giaurs,“ antwortete Wefadar Agha, ein wenig gereizt dadurch, daß ich ihm die Kriegskunst abgesprochen.

„Pfui!“ rief ich, „Wefadar A, ich hätte nicht geglaubt, daß Du so boshaft sein könntest!“ – Darauf gab ich dem Pferd die Sporen und ritt voraus in’s Lager mit der festen Absicht, dasselbe morgen früh mit Sonnenaufgang zu verlassen und meinen Weg fortzusetzen.

Nichts destoweniger wußte ich, daß Wefadar Agha der gutmüthigste Kerl von der Welt, ich nahm ihm daher seine Aeußerung nicht so krumm, wie es den Anschein hatte und ehe der Abend kam, waren wir wieder versöhnt. Der Agha war einer von den leichtgläubigen Seelen, deren ich oben erwähnt; vor Beginn des Krieges war er als Jäs-Baschi der Redifs in einer der kleinern Balkanstädte stationirt gewesen und hatte dort Muße gehabt, seinen Aberglauben auszubilden; wie es kam, daß er jetzt die Redifs verlassen und einen Haufen Baschi-Bosuks kommandirte, das weiß ich nicht. Seine Lieblingsbeschäftigung bestand im Erzählen von Geschichten und Märchen, die einem Medach (Märchenerzähler) Ehre machten und selten so fabelhaft waren, daß schon sein eigner Köhlerglaube dazu gehörte, um in ihnen auch nur einige Wahrscheinlichkeit zu finden.

„Da ich morgen reisen will, so erzähle mir noch ein Märchen, Wefadar A,“ sagte ich, als wir am Abend um das Wachfeuer lagen.

„Reisen willst Du?“ rief er, mich groß anschauend. „Wenn Du nicht bleiben willst, nun denn, Allah geleite Deine Schritte!“

„Wir sehen uns wohl noch wieder!“

„Das ist Gottes Sache!“ antwortete er. „Zum Abschied will ich Dir heute nicht ein Märchen, sondern eine ganz wahre Geschichte erzählen. Hör also zu!“

Der Agha zog seine Beine unter sich zusammen, blies eine Wolke aus seinem Tschibuk, schaute träumend einige Minuten in die zahllosen Ringel der Tabackswolke, welche vor ihm in dem Mondenlicht spielten, und begann dann also:

„Ateja, die Lieblings-Kadin des Padischah (welches Padischah, das erzählt die Geschichte nicht) fühlte sich Mutter und die Sterndeuter und Hof-Astrologen stritten sich lange und heftig und konnten sich nicht über die Frage einigen, ob es ein Sohn oder eine Tochter werde. Diese Uneinigkeit machte sowohl dem Sultan als der Kadin viel Kummer, denn wie man sich denken kann, hätten Beide es gern gesehen, wenn es ein Sohn wurde. Endlich gab der Himmel selbst den Ausschlag in dieser Angelegenheit.

Ateja hatte nämlich eines Nachts einen seltsamen Traum: es erschien ihr in demselben ein Engel, welcher ihr verkündete, wenn sie zwischen heute und dem nächsten Freitag zwei Fische esse, in deren einem sie eine Gräte finde, die gestaltet sei wie ein Stern, in deren anderm aber eine Gräte sei in Gestalt einer Rose, so werde sie einen Sohn zur Welt bringen.

Ateja erzählte diesen Traum am andern Morgen dem Sultan und dieser gab sogleich Befehl, daß man die Kadin täglich dreimal mit den schönsten Fischen der Welt bewirthen solle. Natürlich wanderten, als dies den Fischern verkündet wurde, die schönsten Fische der Welt in größerer Menge denn jemals in die Küche des Serail, und wie man sich vorstellen kann, aß Ateja dreimal täglich so viel Fische als sie irgend verzehren konnte. Aber wie viel sie auch aß, sie fand in keinem die Rose und den Stern, und die Arme wurde allgemach so traurig, daß sie kaum noch im Stande war, Fische zu essen.

Da, als sie schon alle Hoffnung aufgegeben, fand sie am Donnerstag Abend in zwei wunderschönen, wohlschmeckenden rothen Barben sowohl die Rose als den Stern, ein Ereigniß, welches maßlose Freude im Haremlik verbreitete und sofort dem Sultan gemeldet wurde, der ebenfalls hoch erfreut war, denn daß die Verheißung des Engels in Erfüllung gehen werde, das zu bezweifeln wäre sündhaft gewesen. Auch die Sterndeuter und Hofastrologen freuten sich über die Maßen und meinten, sie hätten es ja immer gesagt, daß es ein Söhnlein werde.

Der Sultan beschloß nun, den Fischer, welcher die beiden rothen Barben geliefert, zu belohnen, wie er noch nie einen Unterthan belohnt habe, und befahl, diesen Fischer vor ihn zu führen; damit sich aber nicht alle Fischer heran drängten, und man den wahren finde, solle nichts verlauten, daß es sich um eine Belohnung handle, vielmehr müsse man die Fischer glauben machen, es solle Einer von ihnen bestraft werden.

Der erste Minister, welcher diesen Befehl auszuführen hatte, war nun in großer Verlegenheit, wie er den Fischer ausfindig machen könne; er wandte sich an die Köche, die denn auch täglich auf dem Fischmarkt umher streiften, aber doch nicht den Fischer wieder erblicken konnten, der ihnen die rothen Barben gebracht.

Endlich, endlich trat eines Morgens ein junger Fischer zu den Köchen, als sie auf dem Bazar dastanden, und fragte sie, ob sie nicht wieder von seinen rothen Barben kaufen wollten, die er auf dem Kopf in einem hölzernen Gefäße trug.

„Der ist’s!“ rief der Oberste der Köche. „Wir haben ihn! Bindet ihn, damit er uns nicht entkömmt!“ – Und von einigen Kavassen, die in der Nähe waren, unterstützt, band man den armen Fischer, der an allen Gliedern zitterte, und nicht anders glaubte, als daß man ihn zum Scharfrichter bringen werde. Im Serai angekommen, nahm man ihm seine Stricke ab und führte ihn vor den Patischah.

„Dieser ist’s, der uns die rothen Barben gebracht!“ sagte der Oberkoch, auf den zitternden Fischer zeigend, der selbst nicht wußte, wie ihm geschah, als ihn der Sultan lächelnd fragte, wie er heiße und woher er sei?

Der Fischer antwortete, er sei ein Grieche, Namens Nicolai, ernähre sich seit zwei Jahren vom Fischfange und wohne auf den Prinzeninseln.

„Mein Sohn“, sagte der Padischah zu ihm, „die Sonne des Glückes ist über Deinem Haupte aufgegangen, denn ich habe gelobt, Dich zu belohnen, wie ich noch nie belohnt habe. Fortab sollst Du nicht mehr auf den Fischmarkt gehen, sondern einer der Größten meines Reiches werden.“

Und der Sultan schenkte ihm drüben auf der anadolischen Seite, hinter dem schwarzen Meer so viel Land, als er in fünfzig Tagen abreiten könne und überhäufte ihn außerdem mit Gold und Edelsteinen.

Nicolai, der arme Fischer, nahm sein Land in Besitz und ließ sich zum Schah eines großen Stammes ausrufen. Und als er reich und mächtig geworden, da ward Nicolai übermüthig, in seinem Hirn nahm der Undank Platz, er empörte sich gegen seinen Herrn und Gebieter, den Padischah, und überzog das Land desselben mit Krieg. Dieser Nicolai ist kein Anderer, als der Schah der Moskow; aber Allah ist groß, und er wird ihn verderben, wie er alle seine Feinde vernichtet.“ –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_463.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)