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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

So weit erzählte Wefadar Agha. – „Masch Allah!“ rief ich, als er zu Ende, „Du hast Recht, Wefadar A, er hat den Undank in seinem Haupte Platz greifen lassen, und der Himmel wird ihn unfehlbar verderben, denn Gott ist gerecht und thut, was er will,“ setzte ich, mich des ewigen Refrains im Koran erinnernd, hinzu.

Die obige Sage habe ich später, wenn auch in anderer Version, mehrmals aus dem Munde des türkischen Volkes gehört. Was nun die Glaubwürdigkeit dieser mir von dem Agha erzählten „wahren Geschichte“ betrifft, so ziemt es weder mir noch Dir, lieber Leser, an derselben zu zweifeln, vielmehr ist es für eine ausgemachte Sache zu halten, daß der Kaiser aller Reußen nichts als ein Vasall des großen Padischah ist.




Blätter und Blüthen.

Das bezauberte Kind. Man hat wohl schon Geschichten von dem Zauber gehört, den gewisse Schlangen auf Thiere ausüben, auch von Schlangenbeschwörern, welche auch andere Thiere durch den bloßen Blick bändigen u. s. w., aber wohl noch nie von der geheimnißvollen Macht, den Schlangen auch auf Menschen ausüben. Um so überraschender ist ein Fall, den der „St. Louis Herald“ vom 12. Juli dieses Jahres mit der Versicherung erzählt, daß sich Alles thatsächlich so verhalte. Ein Mann, Namens O’Mara (ein eingewanderter Irländer) hatte ein zartes, schwächliches Kind von etwa 13 Jahren, welches durch den Tod einer Schlange vorige Woche unter folgenden Umständen starb. O’Mara wohnt an der Copperas-Bucht in der Grafschaft Franklin unweit dem Depot der Eisenbahn, welche zum stillen Oceane führt. Vor etwa neun Monaten fing das Kind an blaß und mager zu werden und abzuzehren, obgleich es bisher frisch und voll gewesen und keine Krankheitssymptome ausfindig zu machen waren. Während des Winters trocknete sie schmerzlos und ohne Klage zu einem bloßen Skelett Zusammen. Mit einbrechendem Froste schien sie wieder aufzuleben. Im Frühjahr fing sie an, regelmäßig jeden Tag zu einer bestimmten Stunde auszugehen und sehr hungrig zurückzukommen, obgleich sie stets Butterbrot mitnahm. Sie war nicht dahin zu bringen, zu Hause Gemüse oder Fleisch zu essen. Ihr regelmäßiges Verschwinden alle Tage zur bestimmten Stunde fiel endlich auf, so daß Nachbarn den sonst ziemlich unbekümmerten Vater vermochten, ihr eines Tages unbemerkt nachzugehen. Sie eilte nach einem entfernten Punkte der Bucht, setzte sich dort nieder und blieb regungslos mit ihrem Butterbrote sitzen, bis ihr Vater mit Schrecken eine große schwarze Schlange herankreiseln und den Kopf auf ihren Schoß legen sah. Das Mädchen fütterte jetzt die Schlange, welche jedesmal fürchterlich zischte, so oft sie selbst ein Stück zu essen versuchte, so daß sie es erschreckt wieder aus dem Munde nahm und ihr gab. Der Vater, von fürchterlichster Angst ergriffen, wagte nicht sich zu bewegen, aus Furcht, die Schlange möchte das Kind und ihn tödten. Aber ein unwillkürlicher tiefer Athemzug, den die Schlange zu hören schien, vertrieb sie. Das Mädchen sprang auf und bat zu Hause um mehr Butterbrot. Sie hatte den Vater nicht bemerkt, der ihr nun auch auf ihrem zweiten Wege unbemerkt, mit einer Flinte bewaffnet, nachging. Als die Schlange nun wieder herankreiselte, schoß er sie durch den Kopf, noch ehe sie dem Kinde nahe gekommen war. Sie wälzte und rollte sich in fürchterlichen Windungen. Das Kind fiel ohnmächtig zusammen und wurde zwar wieder zu sich gebracht, aber nur, um unter den fürchterlichsten Krämpfen und Zuckungen, welche denen der Schlange ganz ähnlich waren, in demselben Augenblicke zu sterben, als die letzten Spuren des Lebens aus dem Körper der Schlange gewichen waren. Es war eine schwarze Schlange von der unschädlichen, d. h. nicht giftigen Art, 7 Fuß 6 Zoll lang. Durch die Aussagen des Vaters hat sich herausgestellt, daß das Mädchen seit undenklichen Zeiten nichts zu Hause gegessen, sondern Alles was sie bekommen, der Schlange gegeben, so daß sie nur von dem, was sie zuweilen übrig ließ, ihr Leben gefristet haben kann.




Kleider-Revolution in Frankreich. Das neue Kaiserreich hat Leute und Kleider so verändert, daß letztere ganz andere Wesen aus ersteren zu machen scheinen. Die charakteristische Einfachheit weiblicher Moden ist ganz verschwunden. Ich sah (erzählt der Engländer Bayle St. John, der das neuste Paris sehr pikant geschildert hat) unlängst eine Dame, die in dem Rufe des feinsten, tonangebenden Geschmacks stand, in einer Soirée erscheinen, bunt aufgedonnert, als wäre sie die Königin irgend eines wilden Inselvolkes. Ihr Kleid war hellroth, ihre Armbänder und Halsketten bestanden aus Korallen, größer als Haselnüsse: über dem Haar nickten ungeheuere Federn, ebenfalls mit Korallen tapeziert. Dazu war sie selbst ziemlich häßlich und von allen Seiten übertrieben lächerlich. Die Damen, welche den Hof besuchen oder nur in großen, vornehmen Gesellschaften erscheinen, sagen, der goldene, silberne, betreßte, gestickte und besetzte Glanz männlicher Uniformen, die das neue Kaiserreich oben übertüncht, nöthige sie zu dieser kunterbunten Ausstaffirung mit schreienden Farben, sonst würden sie ganz verblassen und ersticken den Männern gegenüber. – Unter den Schmucksachen aus dem Blumenreiche spielt die große, alle Farben annehmende, prächtige, geruchlose, eitele, schwammige Georgine die Hauptrolle. In Bezug auf das männliche Kostüm hat das Kaiserreich seine Wirksamkeit besonders in Verlängerung der Leibrocksschweife, Verengerung von Aermeln, Erhöhung von Absätzen an Stiefeln und Schuhen und Feindseligkeit gegen – die Haare auf den Zähnen mit Begünstigung der Schnurrbärte an den Ohren herunter (das geschorne Gesicht mit Schonung des Backenbartes ist die Erfindung des größten Heuchlers und Tyrannen, ich glaube Ludwig’s XI.) geltend zu machen gesucht. Kaiser und Kaiserin selbst befehlen zwar keine Kleider-Ordnung, aber die „höheren“ Franzosen und Französinnen sind so servil, daß sie dem Paare Alles nachmachen, was es in Compiegne, wo es sich am Meisten gehen zu lassen scheint, in dieser Beziehung erfindet. In Compiegne aber trug der Kaiser öfter das Kostüm der Bourbonen vor der ersten Revolution (nur der Puder fehlt noch), durch dessen Glanz und Pracht er sein Hofgesinde zur luxuriösesten Nachahmung anspornt.




Smithson, ein bekannter englischer Chemiker (ein natürlicher Sohn des Herzogs Hugh von Northumberland), fing einstens die Thräne von der Wange einer Dame auf und analysirte sie, wobei er verschiedene Salze in dem Tropfen entdeckte. Welch ein großartiger Stoff für einen poetischen Chemiker! Das Räthsel zu lösen, wie viel Schmerz, wie viel Kummer, Noth und Sorge, wie viel Freude dazu gehört, eine Thräne zu schaffen, zu heben und sie fließen zu machen! Die Frage zu enträthseln, wie sie im tiefsten Dunkel des Herzens entstehen und durch die Pforte des Auges an das Sonnenlicht des Tages treten konnte? Wo ist der Chemiker, der das Wachsen des Schmerzes in dem kleinen Tropfen analysiren kann, den ganzen großen Kampf eines stolzen Herzens, der sich oft in einer einzigen kleinen Thräne concentrirt?




Bücherverbrauch in Deutschland. Wir gaben neulich in einer Notiz einige Details über den amerikanischen Buchhandel und besonders über den Absatz einzelner Autoren. Daß auch in Deutschland jetzt die bessern Schriftsteller in die Massen dringen, beweist der Absatz der Cotta’schen Volksausgabe der Classiker. Bekanntlich erscheint diese im sogenannten Schiller-, also in kleinem Format, die Lieferung circa 10–14 Bogen stark, alle acht Tage ein Bändchen. Vor einigen Tagen kamen zwei Wochen Lieferungen zusammen in Leipzig an, deren Gewicht nicht weniger als Ein Hundert Centner betrug. Wie viele tausend solcher kleinen Lieferungen gehören dazu, um dieses Quantum herzustellen! Und diese Sendung war nur für Norddeutschland bestimmt, während Süddeutschland und Oestreich von der Verlagshandlung auf direktem Wege versorgt wurden. Daß nach diesen beiden Gegenden mindestens noch 100 Centner alle 14 Tage expedirt werden, dürfen wir ohne Uebertreibung annehmen, und wir geben nun allen geschickten Rechnern das Exempel auf, auszurechnen, wie viel Exemplare dieser Volksausgabe im Ganzen wohl unter das Publikum kommen.




Vervollkommnungen der Photographie. Die dem Mr. Talbot in London patentirten farbigen photographischen Portraits werden von dem Franzosen la Roche, ebenfalls in London, bedeutend übertroffen, und im polytechnischen Institut ebendaselbst wurden unlängst zwei wahre Wunder von Photographie gezeigt: ein vollständig klares und bis auf die Poren und deren Haare genaues, lebensgroßes Portrait, neben einem photographischen Abdrucke der ersten Seite der Times auf einem Stückchen Papier von drei Zoll Länge und zwei Zoll Breite. Die Buchstaben waren dabei durchweg so klar, daß man Alles ohne Vergrößerungsglas lesen konnte, obgleich es das allerkleinste und allergefährlichste Augenpulver war.


Zur Beachtung!

Mit dieser Nummer schließt das 3. Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das 4. Quartal schleunigst aufzugeben.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_464.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)