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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

mit dem Zipfel eines leinenen Tuches zu entfernen. Gelingt die Entfernung nicht bald, dann lasse man einen Arzt rufen, vermeide aber bis zu dessen Ankunft alles Reiben der Lider und wende unterdessen kalte Umschläge an. Die Empfindung, als läge der fremde Körper noch im Auge, dauert nach dessen Entfernung gewöhnlich noch einige Zeit fort. Meistens gelingt das Entfernen kleiner Körperchen deshalb nicht, weil sie zwischen dem obern Augenlide und Augapfel festgehalten werden; um sie von hier zu entfernen, fasse man das Lid an den Wimpern, ziehe es stark vom Augapfel ab und blicke nach unten. – Sind Mineralsäuren oder siedendes Wasser in das Auge gekommen, so suche man sobald als möglich ärztlichen Rath und wende indessen kalte Umschläge an. Beim Eingedrungensein von Kalk, Asche, Tabak und dergleichen ätzenden Substanzen, bringe man Oel, weiche Butter oder Rahm in die Augenlidspalte, um den fremden Körper einzuhüllen und wo möglich wegzuspülen, und mache sodann so lange kalte Umschläge, bis der Arzt kommt. – Ein sehr dummer Spaß ist das Zuhalten der Augen eines Andern von rückwärts, weil hierbei durch starken Druck sofort Blindheit entstehen kann.

Da das Auge nur ein Glied des ganzen Organismus ist, so hängt sein Wohlbefinden immer mehr oder weniger auch von dem Zustande des letztern ab. Den meisten Einfluß auf das Auge äußert natürlich das Gehirn, da zwischen diesen beiden Theilen eine sehr enge Verbindung besteht. Jedoch kann auch vom übrigen Körper aus dem Auge Nachtheil erwachsen und hierüber findet der Leser, dem es um die richtige Erhaltung seiner Augen zu thun ist, die beste Belehrung in der oben angeführten Schrift von Arlt.B. 




Das Maltesergäßchen.

Reiseskizze aus dem Orient von Hans Wachenhusen.

Die große, jetzt endlich in’s Werk gesetzte Pontus-Expedition der Westmächte stand bereits in Aussicht, die Wellen des schwarzen Meeres rollten sich schäumend gegen die Mauern der Festung Varna, als wollten sie den französischen Marschall herausfordern, dessen Zinnen den Hafen der Festung beherrschten und der von hier aus die Russen mit gewaltigen Worten zu schlagen suchte. Die Flotte der Westmächte sonnte sich noch in Baltschik, auf die Zelte der französischen, englischen, türkischen und ägyptischen Lager brannte die Sonne mit versengender Gluth herab und in der Stadt selbst wogte der große militärische Jahrmarkt der Nationen in einer Atmosphäre, die schon damals den Saamen zu jener entsetzlichen Ernte ausstreute, welche wenige Wochen später der Tod dort hielt.

Es war in der Mitte des Monat Juli, als ich von Schumla aus in diesen tausendfarbigen und tausendzüngigen Wirrwar gerieth, und obgleich schon ziemlich mürbe gemacht durch ein viermonatliches Abenteuern am Kriegsschauplatze der Donau, mich doch mit frischer Courage in den Strudel dieser äußersten und isolirten Station des Abendlandes hineinwarf, um mich von hier nach Konstantinopel und wenn es Zeit und Umstände gestatteten, noch nach dem asiatischen Kriegsschauplatze zu begeben. Hier war ich nicht mehr „der Giaur“, mit welchem Epitheton mich das Türkenthum bisher verächtlich oder mitleidig titulirt hatte, hier war ich ein Giaur unter lauter Giaurs und mit einer gewissen humoristischen Genugthuung sah ich die alten türkischen Philister in die Vorstadt wanken, sich vor die Brust schlagen und sagen: „Allah, ich danke dir, daß ich nicht bin wie Jene!“ – Seltsames Paradoxon: als ich in Varna einritt und vor dem Kaffeehause hielt, das von einer Gesellschaft singender und trinkender Franzosen umlagert war, trat gerade der Hodscha auf die Gallerie der gegenüber stehenden Minarets und rief in die Welt hinein: „Es ist nur ein Gott und Mahomet ist sein Prophet!“ – „Mein Herr, das ist nicht wahr!“ rief einer der Franzosen lachend dem Hodscha zu, „ich werde Ihnen die Wahrheit sagen, es giebt nur einen Gott und dieser Gott ist unser Gott, der gute Gott!“ – Unwillkürlich mußte ich über diese religiöse Naivetät lachen, aber sie traf doch den Nagel auf den Kopf. Der Franzose und der Türke hatten Beide ihren aparten Gott, und jeder von ihnen hielt den seinen für den richtigen. Der Hodscha seinerseits ließ sich nicht irre machen, er schrie sein Glaubensbekenntniß in alle Himmelsgegenden hinaus, und in allen Himmelsgegenden dachte man: das ist nicht wahr!

In der That galten in Varna weniger die Propheten als vielmehr die Moneten, und selbst für letztere war kaum ein Obdach zu erhalten; ich theilte daher meine Nächte in das dunkle Loch, für welches ich täglich 20 Piaster zahlen mußte, und in eine harte Bank im Speisezimmer des „restaurant des officiers“, bei welchem man einzig und allein ein anständiges Mahl für unanständig hohe Bezahlung fand. Dort auch war es, wo eines Abends, als die Gäste sich verzogen hatten, ich mich zum Schlafen auf die Bank streckte und mich, da ich den Mantel nicht bei mir hatte, mit einem großen Tischlaken zudeckte, sich ein Gast neben mich auf die Bank legte. Unwillig beschaute ich mir den Schlafgenossen, während dieser auch mich mit seinen großen schwarzen Augen maß. „Ah, monsieur, c’est vous!“ rief er lachend; „geben Sie mir die Hälfte von Ihrer Decke!“ Mit diesen Worten wickelte er sich in die andere Hälfte des Tischlakens, und machte sich das Lager so bequem, wie es eben die harte Pritsche gestatten wollte.

Mein Schlafnachbar war ein junger französischer Offizier von der Linie, mit dem ich vorgestern zum ersten Male zusammengetroffen war, als ich in einer der französischen Boutiquen saß, und in Gesellschaft mehrer Offiziere aus freier Faust ein Stück Käse und Wurst als Frühstück verzehrte, wie dies in Varna eine lobenswerthe Sitte war. Wir wurden schnell bekannt, blieben beisammen und stiegen am Nachmittag zu dem „Grand café d’Orient“ hinauf, einer Baracke, die etwa unsern heimischen Dorfschenken ähnlich. Dort erzählte mir mein neuer Bekannter, er habe soeben auf vierzehn Tage Urlaub genommen, und denke über Burgas nach Constantinopel zu gehen. Heitere, unbändige Temperamente wie das dieses jungen Offiziers sind mir immer unschätzbar, wir tauschten unsere Karten. Ich las auf der seinigen „Mr. Edouard de Carmond“ und theilte ihm mit, daß auch ich mit dem nächsten Postdampfer, der aber erst in sechs Tagen gehen sollte, meine Reise nach Konstantinopel fortsetzen werde. „C’est à ravir, je vous trouverai à Constantinople!“ rief er, mir die Hände drückend, und von da ab waren wir die besten Freunde.

An jenem Abend, wo ich mit ihm unter einer Tischdecke lag, erzählte er mir, er habe soeben das Lager verlassen und werde morgen vor Tagesanbruch mit einer französischen Dampfcorvette nach Burgas gehen. An Schlummer war bei einem so lebendigen Nachbarn gar nicht zu denken; er erzählte mir hunderterlei dumme Geschichten, schilderte mir, wie er heute einer wunderschönen Türkin begegnet sei, diese bis zu ihrem Hause in der Vorstadt verfolgt, und als man ihn nicht habe in’s Haus lassen wollen, sich vor die Thür desselben auf die Schwelle gesetzt habe, bis man ihm endlich ein paar Kavassen auf den Hals geschickt und ihn in die Flucht geschlagen habe. – Endlich, nachdem er so ein paar Stunden verplaudert, erklärte er, das Ungeziefer peinige ihn auf dieser Bank, er könne nicht schlafen, er wolle den Kellner wecken und mit mir noch ein paar Flaschen Bordeaux trinken, bis er auf’s Schiff müsse. Zwischen einer schlaflosen Nacht auf der Pritsche und einer schlaflosen Nacht bei der Weinflasche, wählte ich das kleinste Uebel, und so sah uns denn das erste Morgengrauen noch am Tische sitzen. Carmond sagte mir Adieu und ich legte mich auf meine Pritsche, um wenigstens noch einige Stunden Schlummer zu suchen.

Sechs Tage später befand ich mich an Bord des „Ferdinando primo“, der am Freitage, dem türkischen Sonntag, nach Konstantinopel abging, und auf dem ich zum ersten Male die auf den levantinischen Schiffen übliche strenge Trennung beider Geschlechter durch eine Achtung gebietende Barriere erblickte. Da saßen auf der einen Seite des Verdecks erster Klasse ein paar von Kopf bis zu Füßen schneeweiß gekleidete Engländer mit kostbaren Tschibucks und dem unvermeidlichen weißen Shawl um den hellen Filzhut; da kokettirte die niedliche junge Frau des ersten Capitains im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_472.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2020)