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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Nun haben uns zwar die Mythologien der verschiedenen Völker und die Märchen der Zauberer und Feen eine reiche Sammlung der verschiedenartigsten Gespanne überliefert, mit denen sich die Götter und die ihnen an Macht gleichen guten und bösen Geister durch die Lüfte bewegten, aber bis zu den Drachen, weder dem Ungeheuer der Fabel noch dem Spielwerk der Kinder, hatte sich die Phantasie nicht verstiegen. Man war daher allgemein geneigt diese Nachricht für einen Hoax, eine Ente zu nehmen, wovon die Tagesliteratur zu allen Zeiten sehr reich gewesen ist. Doch bald fanden sich nicht allein zahlreiche Augenzeugen, welche die Wahrheit bezeugten, sondern es stellte sich auch heraus, daß bereits früher ein Herr Edgeworth mit vier Drachen in seinem Phäeton zum großen Erstaunen der Gaffer in England umher kutschirt sei und ein Anderer bereits 1799 sein Boot aus dem Longhdown mittelst eines Drachens bugsirt habe. Ja sogar das Repertory of Patent-Inventions berichtete, daß auf dieses abentenerliche Zugwerk ein Patent ertheilt worden sei. So wurde denn dies Wunder als ausgemachte Thatsache hingestellt und alle böswilligen Bemerkungen mußten verstummen.

Pocock fuhr unter anderem mit 3 Personen in einem leichten Wagen, vor welchen er zwei Drachen gespannt hatte, von Bristol nach London und legte hierbei durchschnittlich 18–20 engl. Meil. in 1 Stunde zurück. Der Hauptdrache war 20 Fuß hoch; ein kleinerer diente als Pilote. Er wurde zuerst losgelassen und nachdem er 240 bis 300 Fuß hoch gestiegen der andere, durch den die Schnur des ersteren hindurchlief. Die Vorderräder des Wagens lenkte man mittelst einer Kurbel. Die Kraft, mit welcher diese Drachen ziehen, soll so stark gewesen sein, daß sie eine Schnur, welche zwei Centner zu tragen im Stande war, mit Leichtigkeit absprengten. Es wird versichert, daß das seltsame Gespann eben so gut zu leiten sei wie Pferde und alle Hindernisse, die sich auf dem Wege entgegenstellten, seien leicht zu überwinden.

Für kurze Zeit wurde die Neugierde lebhaft in Anspruch genommen; von Dauer waren die Erfolge jedoch nicht, obgleich Pocock in einer eigenen Brochure mit beredter Sprache seine verschiedenen Drachenfahrten zu Wasser und zu Lande, so wie in einem fliegenden Wagen in der Luft beschreibt. Obgleich die Ruhmredigkeit mitunter stark in’s Lächerliche geht, verdiente Einiges jedoch beachtet zu werden. In der That lassen sich die Drachen in einem beschränkten Maßstabe zu mancherlei Zwecken in physikalischer, militärischer und commercieller Hinsicht benutzen, wir dürfen aber nicht vergessen, daß wir es hier ebenso, wie beim Luftballon, mit einem sehr veränderlichen Gesellen, dem Winde zu thun haben, dem wir ganz in die Hand gegeben sind. Vielleicht versteht eine spätere Zeit, das Spielwerk der Kinder, besonders bei der Schifffahrt mit einigem Vortheil zu verwenden, wenn nicht der Dampf, oder vielmehr die erhitzte Luft auf diesem Gebiet der Alleinherrscher wird.




Ein Sturm in Ostindien. Eine englisch-ostindische Zeitung (Calcutta Englishman) schildert einen Sturm, der am 10. April die Umgegend von Calcutta verwüstete, in seinen Wirkungen folgendermaßen. Da zwei Tage seit dem schrecklichen Ereignisse vergangen waren, fand ich es schon unmöglich, durch das Chaos von Ruinen weiter vorzudringen, da die schnelle Verwesung der umgekommenen Thiere und Menschen die Luft auf das Entsetzlichste verpestete. Ein Augenzeuge erzählte mir, daß während eines starken Südwestwindes sich eine kohlschwarze Wolke säulenartig und beinahe den Boden berührend genähert und mit beschleunigter Geschwindigkeit auf eine von entgegengesetzter Richtung, dem Wind entgegen eilende, ähnliche Wolke zugestürzt sei. Beide Wolken drehten sich nun mit furchtbarer Geschwindigkeit um einander, während die Hitze plötzlich zum Ersticken und Sengen zunahm und Alles, was sie in ihrem schwarzen Tanze berührten, in ihren Strudel hineinrissen: Häuser, Bäume, Menschen, Thiere, die durcheinander und gegeneinander geschleudert bald nach allen Seiten als Regen von Bäumen, Aesten, Häuserruinen, zerrissenen Gliedern von Thieren und Menschen und verstümmelten Leichen herabgeschleudert wurden. Auf beiden Seiten des Weges, welchen der elektrische Orcan zurückgelegt hatte, fand man außerdem ungeheuere Hagel- und Eiskrystalle bis zur Größe eines Mauersteins. Der Weg der Zerstörung war etwa 800 Yards breit, die Länge ist noch nicht bekannt, eben so wenig der Umfang der Verwüstungen, die nach dem, was ich sah, eben so entsetzlich als unberechnenbar sein müssen. In meiner nächsten Umgebung wurden allein sechzig todte und verunstaltete Menschenkörper gezählt, fünfzehn Personen hatte man unmittelbar nach dem Sturme zerrissen und mit zerbrochenen Gliedern in’s Hospital gebracht. Von den Bewohnern Calcutta’s wurden mindestens dreihundert Personen getödtet, Unzählige verwundet und noch mehr ihrer Häuser beraubt. Die Menge des in der Luft zerschmetterten Viehs ist nicht zu zählen. Furchtbare Massen durcheinander getriebener und hingeschleuderter Haufen von Wald und Häusern und Vieh und Menschen geben die Richtung an, in welcher der entsetzliche Sturm über das Land hin wüthete. Ueber den Haufen von Zerstörung und Leichen schweben und kreischen Adler und Geier, oder sie hacken in dieselben hinein, um Menschen, Ziegen, Pferde, Kühe, Jakals u. s. w. ihres verwesenden Fleisches zu entkleiden. Der entsetzlichste Anblick war mir bis zuletzt vorbehalten. Ein leichenfarbiges, zerlumptes Wesen mit verbundenem Kopfe und zerbrochenen Gliedern arbeitete sich kreischend aus Trümmern heraus und flehte mich um ein Stück Brot an. Er erzählte mir, daß er hier Tage und Nächte gegraben und gesucht, so gut es seine zerrütteten und geschundenen Glieder zuließen, um die Leichen von Vater, Mutter, Weib und Kindern, die hier in einem Hause friedlich bei einander gewohnt und plötzlich in die schwarze Wolke hineingerissen und zerschmettert worden seien, aufzufinden.“




Ein Früchtchen des Krieges. In einem Briefe aus Giurgewo an der Donau, Rustschuk gegenüber, heißt es: „Gleich nach meiner Ankunft genoß ich einen Anblick, den ich nie vergessen werde und der vielleicht einer der seltensten tragischen Eindrücke in der Welt sein mag – eine volle, moderne Stadt ohne eine Spur von Einwohnern. Einige Hausthüren waren geschlossen, andere klappten auf und zu und knarrten und quiekten im Winde, als wollten sie die traurige Oede im Innern verheimlichen und „Leben machen.“ Alle Zimmer im Innern tragen die Spuren hastiger Flucht der Bewohner. Blumentöpfe in vielen Fenstern blüthen noch fort, obgleich auch viele schon todtentraurig nieder hingen mit ihren Blüthen, die sonst so gern in die Sonne und den blauen Himmel empor blickten. Wo waren die zarten, weißen Hände, die sie jeden Morgen tränkten? In den Schlafzimmern standen noch Betten, Spiegel und Luxussachen von Damen. Auf einem erloschenen Feuer stand eine Pfanne mit Fleisch und Kartoffeln, halb verwest. Viele Gärten sahen noch hübsch grün und blumenreich aus, als ob die Eigenthümer sie erst gestern verlassen hätten; andere fingen schon an in Unkraut und Staub zu ersticken. Manche Zimmer von eleganter Ausstattung gaben noch Zeugniß von dem Leben und dem Putze der Damen: Spitzen, Halsketten und Kragen, Strümpfe, alte Schlafschuhe mit niedergetretenen Hacken, Steck- und Nähnadeln, Seife, Schminke und Kämme lagen umher, welche zusammen deutlich zeigten, daß die Damen geflohen waren, ohne ihre Toilette zu vollenden. Durch alle Straßen gähnte und grinzte Oede und Tod. Es war furchtbar, von Straße zu Straße zu wandern, ohne ein lebendes Wesen zu entdecken, als etwa hier und da einen halbverhungerten, zitternden Hund und nichts zu hören, als das Echo den weithinhallenden eigenen Schrittes. In einem entlegenen Stadttheile kroch mir plötzlich ein hohles Menschengerippe mit hohlen Augen aus schwarzem Bart und Haar hervorstarrend entgegen und winselte herzzerreißend: „Im Namen Allahs, Ungläubiger, „gieb mir Brot!“

Städte ohne Menschenleben, Wüsten voller Leichen und Lebendiger, die auf sie todt wiederhallen, darunter vielleicht 30,000 Soldaten – Franzosen, Engländer, Russen und Türken, die da fielen, ohne einen andern Feind zu sehen, als ihre eigenen Schachspieler, die ihre Bauern opfern, um ihre Diplomatie zu retten, – das sind vorläufig einige Früchtchen des für und gegen die „Integrität“ der Türkei herbeigezogenen Krieges.




Der brennende Sultan. Gleich nach der Thronbesteigung des jetzigen Sultans machten die Ulema’s und Geistlichen umfassende Anstrengungen, den neuen Herrscher von der Bahn der Reformen, welche sein Vater eröffnet hatte, abzuschrecken. Unter Anderem hatten die Mufti’s auch seinen Vater, den Reformer, für sich gewonnen, denn so oft der junge Herrscher nach türkischer Sitte an dem Grabe seines Vaters betete, rief er mit jämmerlicher hohler Stimme von Unten herauf: „Ich brenne!“ Der Sultan wandte sich an das Haupt der Geistlichkeit, den Chef der Imans, daß er ihm sagen möge, was dieser türkische Hamlet zu bedeuten habe. Der muhamedanische Papst fand keine andere Auslegung, als daß der Herr Vater, sonst ein großer Mann, sich zu sehr der Sünden der Reform hingegeben, daß er ordentliche Hosen, Messer und Gabeln, bessere Verwaltung, gleichmäßigere Gerechtigkeitspflege u. s. w. eingeführt habe, lauter „subversive Dinge,“ welche das Bestehen der Türkei gefährdeten. Der Sultan sandte hierauf seinen Schwager zum Grabe, zu beten, hernach auch Andere. Alle hatten das furchtbare, dumpfe: „Ich brenne!“ vernommen. Eines Tages nun brach der Sultan in großer Staats-Prozession, begleitet von den höchsten weltlichen und geistlichen Beamten und obersten Richtern, zu dem Grabe seinen Vaters auf. Während er hier betete, erscholl das schauerliche „Ich brenne!“ wieder. Der Sultan schien vor Furcht zu zittern. Er sah seine ganze Regierung nach der Reihe an, ob sie auch zitterten. Aber alle schienen taktfest. Das fiel ihm auf. Er erhob sich von seinem Teppich, rief seine Leibgarde heran und befahl, das Grab vollständig zu öffnen. Weltliche und geistliche Herren stürzten sich ihm zu Füßen, daß er nur solche Entheiligung der Todten nicht begehen solle, aber ohne darauf zu achten, trieb er seine Soldaten zur Eile an, die denn auch bald in einer Seitenhöhle nicht den brennenden Sultan, sondern einen Derwisch ausgruben, dem es wohl kalt über den Rücken laufen mochte. Der Sultan sah ihn ziemlich lange fest und schweigend an und fragte dann ganz kaltblütig: „Du brennst? Ich will Dich denn kühlen lassen im Bosporus.“ Er ließ ihn also in einen Sack stecken und in den Bosporus werfen. Man hat dies für ein Zeichen der Klugheit, Aufklärung und Gerechtigkeit des Sultans gehalten, offenbar mit Unrecht. Der Derwisch war vielleicht der Unschuldigste, wenigstens doch wohl nur ein willenloses Werkzeug. Er hätte müssen mit einer Reformspritze die Häupter des conservativen alten Türkenthums, die jeden Andersgläubigen einen Hund und jeden vernünftigen Gedanken eine Gotteslästerung nennen, so lange waschen lassen, bis ihnen der Kopf ab- oder wenigstens gewaschen war.




Eine Scene beim König von Dahomey. Man wird von diesem afrikanischen, schwarzen Sklavenhandelskönig mit seiner Armee von 25,000 Weibern gehört haben. Er lebte bisher blos davon, daß er von seinen Weibern Leute anderer Staaten rauben ließ, um sie als Sklaven nach Amerika zu verkaufen. Neuerdings haben die Engländer ihn auf bessere Gedanken gebracht und ihm gezeigt, daß er anständigere und sicherere Einkünfte haben werde, wenn er seiner Armee Palmöl auspressen und so nicht nur zur Civilisation seines Landes, sondern auch der Stearinlichtaufklärung Europa’s beitrage. Dieser Civilisationsproceß geht denn auch im Lande Dahomey jetzt rasch vorwärts. An seinem Hofe geht’s vorläufig freilich noch sehr „ländlich, sittlich“ zu. Ein Engländer, der ihn zuletzt besuchte und schilderte, erzählt folgende Scene: „Ich fand in dem Könige einen imponirenden, klug aussehenden, stolzen, ernsten und hochmüthigen Kerl. Er saß, einfach gekleidet, in der Mitte seiner Weiber und Minister. Er fragte mich besonders ausführlich nach den Verhältnissen der schwarzen Republik Liberia und ihrem Präsidenten Robert. Ich antwortete nach meinem besten Wissen, daß Robert, sein Parlament, seine Zeitung, sein Volk, sein Handel und Gewerbe die besten Hoffnungen nährten und erzählte ihm von den Erfindungen, Fabrikationen, Freiheiten und Schönheiten des civilisirten Lebens. Während er andächtig zuhörte, brachte man

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