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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Sie mich nicht betrachten, weil mir gewisse Eigenschaften dazu fehlen, trotzdem hofft Ihr Onkel, daß ich ihm die Nichte zuführe. Mein Bemühen ist in so weit mit Erfolg gekrönt, als es mir gelungen ist, der in friedfertiger Gesinnung nahenden Nichte die Arme des Onkels zu öffnen – wie er die verblendete Dame empfangen wird, wage ich nicht zu beurtheilen, da ein solches Urtheil den Kreis überschreitet, den mir mein Wohlthäter angewiesen hat.“

„Darf ich nun den Sinn dieser schönen Rede in wenig Worte fassen?“ fragte Franziska mit einer unbeschreiblichen Bitterkeit. „Warum sagen Sie nicht lieber rund heraus: mein Fräulein, Sie sehen, ich habe mich hier einmal eingenistet, verdrängen können Sie mich nicht, aber ich will trotzdem großmüthig sein, und schwesterlich mit Ihnen die große Erbschaft theilen, die von Gottes und Rechts wegen Ihnen gebührte. Also machen Sie keine Umstände, dann haben wir nicht nöthig uns zu streiten! – Ja, Demoiselle, das ist Ihre Absicht, denn ich durchschaue Sie bis auf den Grund Ihrer Seele. Wie der Onkel die verblendete Dame empfängt, weiß ich; was er aber mit der Schlange machen wird, die er so großmüthig an seinem Busen erzogen, will ich deshalb nicht beurtheilen, weil es unter meiner Würde ist, über eine Bettlerin zu Gericht zu sitzen.“

Marianne bebte zusammen, und Thränen traten ihr in die Augen.

„Ich verzeihe Ihnen diese Beleidigung,“ stammelte sie – „möge sie Ihnen auch Gott und der verzeihen, der ein Recht hat, ein armes Mädchen vor Beleidigungen zu schützen!“

Bebend am ganzen Körper stützte sich Marianne auf den Sessel.

„Wollen Sie noch immer schwesterlich mit mir theilen? Nur eine Adersheim darf auf diesem Schlosse wohnen; die Bäuerin gehört in die Hütte am Walde, woher sie gekommen ist. Es müßte ja keine Gerechtigkeit in der Welt mehr geben, wenn Adel und Geburt von der Großmuth einer Bäuerin abhangen sollte. Der Kampf ist eröffnet, meine Beste, und ich werde ihn fortführen, ohne Ihre Brücke zu betreten.“

Franziska verließ rauschend den Saal, und schlug heftig die Thür hinter sich zu.

Marianne sank weinend in den Sessel.

„Ich hoffe sie dennoch zu bekehren!“ flüsterte sie vor sich hin. „Mag sie ihrem Kopfe folgen – ich bleibe meinem Herzen getreu!“

(Fortsetzung folgt.)




Am Kaukasus.
Der westliche Kaukasus, die Tscherkessen. – Der östliche Kaukasus, die Tschetschenzen. – Schamyl und seine Müriden. – Die Kaukasier der Ebene, die Kabardah. – Die Immerier und ihre Nachbarn. – Georgier und Georgierinnen.

In der Felsenburg, der „Tausendzipfeligen“, wie sie die Orientalen nennen, die sich vom schwarzen Meere nach dem caspischen erstreckt, hat der im Osten ausgebrochene verhängnißvolle Kampf einen gewaltigen Nachhall gefunden. Die von jeher unbezwungenen Söhne der kaukasischen Berge, mit dem glühenden Russenhaß im Herzen, haben sich mächtiger als je vorher zusammengeschaart; von den hohen kahlen Alpenketten her, durch die Region der undurchdringlichen Wälder, bis hinab über die Moräste und schilfbedeckten Sümpfe der Ebene braust ihr Kriegsgeschrei und wieder tragen die langmähnigen Rosse die unerbittlichen Müriden Schamyl’s durch die Steppe zum wilden Vernichtungskampf. Schamyl’s jüngster Sieg am Kasbek, der die Gefangenschaft einer großen Zahl russischer Adelsfamilien zur Folge gehabt, hat weithin Schrecken und Bestürzung verbreitet, und der bislang von den Kaukasiern geführte Bergkrieg scheint sogar einen andern Charakter annehmen zu wollen, da Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, immer und immer wieder als von den kecken Söhnen der Berge bedroht, bezeichnet wird.

Das mühsame Netz, mit welchem die Russen den Kaukasus umstrickt, um seine Bewohner zu unterwerfen, erhielt den ersten großen Riß, als die Russen im Laufe dieses Frühjahrs ihre von den Flotten der Westmächte bedrohten Küstenforts am schwarzen Meere, mit Ausnahme von Anapa, aufgaben und mit eigener Hand zerstörten. Der westliche Theil des Kaukasus, dessen verschiedene Völkerschaften als Adighé, Abchasen. Ubychen, Schapßuchen u. s. w., unter dem Gesammtnamen Tscherkessen begriffen werden, erlangte wieder den freien Verkehr mit dem Meere, den zwar die Russen nie ganz abzuschneiden, wohl aber bedeutend zu hindern vermocht hatten. Zugleich kehrte Sefir Bey, der alte Tscherkessenfürst, der auf Rußlands Betrieb lange Zeit als Gefangener des Sultans in Adrianopel (ungefähr wie Kossuth in Kintahia) gelebt, in seine Heimath zurück, den alten Groll und den alten Kampfmuth mitbringend.

Die Tscherkessen, unter denen der ritterliche Stamm der Adighé allen andern voransteht, waren im Allgemeinen den Russen nicht so gefährliche Feinde wie die der Stimme Schamyl’s gehorchenden Krieger. Ihre Fürsten (Pschi) und Edelleute (Work, Usden) verständigten sich selten zu größern Unternehmungen unter einheitlicher Leitung, weil ihr entschiedener Unabhängigkeitssinn sie immer mit Mißtrauen gegen die einem Einzelnen anvertraute allzu große Gewalt erfüllte. Ihre kriegerischen Unternehmungen beschränkten sich daher immer nur auf flüchtige Streifzüge und Ueberfälle, deren Schauplatz hauptsächlich die Ufer des Kuban wurden. Wie bei allen Völkern des Kaukasus wirkte neben Russenhaß und Freiheitsliebe dabei die Lust zu Raub und Beute gleich stark mit.

Da einzelne Stämme der Gebirgsvölker sich den Russen wenigstens scheinbar unterworfen haben, so begegnet man den Angehörigen derselben oft in den russischen Niederlassungen, und selbst den freien Söhnen der Wälder ist einzeln der Zutritt unverwehrt, vielleicht weil man durch die Entwickelung des großen militärischen Apparats einen heilsamen Eindruck auf sie erwartet. In der Kosakenstadt Jekarderinodar am Kuban sprechen die Tscherkessen am Häufigsten ein; der erste Blick zeigt aber, daß diese stolzen, frei um sich blickenden Männer nicht in diese schmutzigen Straßen und unter diese einkasernirte Bevölkerung gehören. Auch ist ihres Bleibens nie von Dauer, und vielleicht eine der nächsten Nächte schon gürten sie in feindlicher Absicht die Schaschka und den Kinschal um, werfen sich auf die wiehernden Rosse und reiten hinab an den Kuban. Dann rast plötzlich Tod und Verderben die Ufer des Flusses entlang; der Himmel röthet sich blutig, den Brand einer russischen Krepost (kleine Festung) oder Kosakenstanitze (Dorf) verkündend, und ehe den Bedrängten Hülfe wird, ist zumeist Alles der Erde gleich gemacht, was da Leben hat getödtet oder bereits in die Gefangenschaft nach den Bergen geschleppt. Oft auch geht jedoch der Rückzug nicht so günstig von Statten, die russischen Besatzungen in der Nähe sind alamirt worden und eine Reiterschlacht entspinnt sich in der Steppe, die in der Regel um so wüthender ist, als die Tscherkessen nur nothgedrungen ihre Todten dem Feinde überlassen. Um die Leiche eines Häuptlings zu retten, opfern sich bisweilen Hunderte dem Tode.

Dann in ihre Berge zurückgekehrt, wo sie in Auls von 60 bis 70 Häusern bei einander wohnen, feiern ihre Barden (Kikoakoa genannt) die Gefallenen mit Ruhmesgesängen, während der ganze Stamm den Todten die letzten Ehren erweist. Umgekehrt sind die Gebirgszüge der Russen nicht minder reich an blutigen Episoden, und der in solchen Fällen für Haus und Hof kämpfende Tscherkesse ist, in seinen Bergen und Wäldern vom Terrain begünstigt, ein desto furchtbarerer Feind. Fast verzweifelter noch als um Haus und Hof kämpft er bei solchen Gelegenheiten um seine heiligen Räume, gewöhnlich alte Eichen mit morschen hölzernen Kreuzen, die aus frühern Jahrhunderten herrühren, als das Christenthum in den Bergen verbreiteter war. Die jetzt, doch ohne Fanatismus, sich zum Islam bekennenden Tscherkessen halten die alten Symbole des Glaubens ihrer Vorältern fortwährend in Ehren, und oft häuften sich Wälle von Leichen übereinander, um den mächtig andringenden Russen den Besitz eines solchen heiligen Baumes streitig zu machen. Die hoch im Gebirge wohnenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_484.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2016)