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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

In neuerer Zeit indeß, und namentlich seit Entdeckung der Goldlager, belohnt sich durch das Hinzuströmen so vieler tausend Menschen der Fleiß jener ehemals so gedrückten deutschen Colonisten in wahrhaft reichlichem Maße, indem sie jetzt, wo Lebensbedürfnisse und Erzeugnisse des Ackerbaues gesuchter und um vieles theurer als früher sind, ergiebige Gärten, Felder und Viehheerden besitzen, aus denen sie nun mit leichterer Mühe und mit dem Gefühle der Genugthuung die goldenen Früchte ihres zeitherigen Fleißes und Schaffens ernten. Erst jetzt läßt sich darüber urtheilen, was die Deutschen in Australien für das gesammte Emporblühen der Colonie sind und gelten.

Um dem Leser eine nähere Einsicht in die dortigen Zustände zu ermöglichen, sei vor Allem erwähnt, daß alle nach Australien Ausgewanderten moralisch jedenfalls viel höher stehen, als ein größerer Theil von Denen, welche Amerika zu ihrer neuen Heimath wählten, und daß die Verhältnisse Amerika’s, die wir hier doch ziemlich genau kennen, für die in Australien obwaltenden gar nicht maßgebend sind. Während nach Amerika früher so viele moralisch bankerotte Personen, Zuchthauscandidaten aller Art, Bummler, Vagabunden und Proletarier – natürlich mit vielen ganz ehrenwerthen Ausnahmen – wanderten und dieses Land gewissermaaßen zum Sammelplatze von Verbrechern machten, die sich theils dem Untergange, theils den sie in Europa bedrohenden Strafen zu entziehen suchten, während namentlich im Westen Amerika’s rein gesetzlose Zustände und nicht selten eine empörende Lynchjustiz herrschen, Person und Eigenthum oft keinen Augenblick sicher sind, findet in Australien von allen diesen Zuständen ein höchst erfreuliches und wohlthuendes Gegentheil statt, indem man dort nicht nur auf gute Empfehlungen, die der Eingewanderte von den Behörden oder distinguirten Personen seiner von ihm verlassenen Heimath etwa mitbringt, so viel Gewicht legt, sondern auch Gesetz und Ordnung neben einer äußerst wohlthuenden bürgerlichen Freiheit ebenso streng handhabt wie in England, und das Tochterland Australien ganz nach englischen Gesetzen regiert und verwaltet wird.

Die Deutschen genießen in Australien nicht nur von den Engländern alle Achtung, sondern auch jedmöglichen Schutz der Regierung, und sofern sie sich naturalisiren lassen, der britischen Krone den Unterthaneneid leisten, auch dieselben Rechte wie die Engländer selbst. Von allen Seiten wünscht und begünstigt man ihre Einwanderung in Australien, und sind es namentlich Acker-, Garten-, Wein- und Seidenbau, deren Productionsweisen den Engländern in ihrem Mutterlande theilweise gänzlich unbekannt sind, für welche man geübte und befähigte deutsche Kräfte sehnlichst wünscht und erwartet. Allerdings ist jene allgemeine Achtung sowie das Willkommensein in Australien nicht hinreichend, um die Deutschen dort auf diejenige Stufe der öffentlichen Geltung zu bringen, von welcher man sagen könnte, sie ständen den Engländern in jeder Beziehung gleich. Wenn ihnen auch vor der Hand die Aussicht benommen ist, öffentliche Anstellungen zu erhalten, wenn ihnen selbst der Vortheil, so schnell wie die Engländer zu einem großen Vermögen zu gelangen, abgeht, so muß man, um gerecht zu sein, doch zugestehen, daß daran weder die englische Regierung noch die englischen Colonisten, sondern unsere guten Landsleute selbst die meiste Schuld tragen. Während die englische Regierung so beträchtliche finanzielle Opfer zum Besten des Tochterlandes Australien bringt, und es kaum im Interesse der deutschen Regierungen liegen dürfte ein Gleiches zu thun, so mag es dem Gouvernement in Australien um so weniger verdacht werden, wenn es die für die Colonien nöthigen Beamten aus der Nation des Mutterlandes nimmt, da außerdem noch die meisten Deutschen weder der englischen Sprache vollkommen mächtig sind, noch sich naturalisiren ließen und den britischen Unterthaneneid leisteten.

Wenn ferner von England aus ganz intelligente Leute nach Australien übersiedeln, während dies bis jetzt aus Deutschland großentheils nur einfach gebildete Handwerker und Landbauer thaten, so mag es wiederum nicht Wunder nehmen, wenn sich die dortige deutsche Bevölkerung bis jetzt mit wenigen Ausnahmen – wie Dr. Ludwig Leichardt als großer Naturforscher und Entdeckungsreisender, Menge als ausgezeichneter Geolog und Mineralog, Meyer als thätiger Missionär und Sprachforscher unter den Papuannegern, Dr. Beier als hochgeschätzter und berühmter Arzt, Friedrich Gerstäcker als thätiger und unternehmender Entdeckungsreisender, und Andere mehr – durch außerordentliche Leistungen verewigen und auszeichnen konnte.

Wenn ferner von England aus viele reiche Kapitalisten nach Australien gehen und alle erdenklichen großartigen Spekulationen mit dem größten Eifer und mit Umsicht in’s Werk setzen, ohne ängstlich daran zu denken, daß sie möglicherweise Etwas verlieren könnten, die meisten deutschen Einwanderer dagegen Wenig oder gar Nichts aus der alten Heimath mitnehmen als das Passagegeld, somit dort auch Nichts an’s Land brachten und die deutschen Kapitalisten ruhig zu Hause bleiben, so kann es abermals nicht befremden, wenn die deutschen Ansiedler wiederum diejenigen es waren und sind, welche nur kleinere Spekulationen ausführen, demnach ein wirkliches Vermögen nur langsamer als jene Geldbegabten erwerben können.

Wenn endlich die meisten der angesiedelten Engländer, namentlich die wohlhabenden, vermöge des ihnen inwohnenden Nationalgefühles, sich zu jedem Unternehmen willig und ohne mißtrauische oder neidische Bedenken gegenseitig die Hände bieten und associren, so sind es wiederum die Deutschen, die häufig in Australien aus Mangel allen Nationalgefühls sich nicht nur fremd bleiben, sondern sogar, wie überall, sich uneinig und neidisch untereinander selbst benehmen. Eifrig waren die dortigen Herausgeber deutscher Zeitschriften bemüht, unter ihren Landsleuten ein gleiches segenbringendes Nationalgefühl zu erwecken, sie unter sich zu einer kräftigen und stolzen Nation, worauf sie durch ihren Fleiß, rastlose Thätigkeit und Mäßigkeit wohl Anspruch machen können, zu vereinigen und zu gegenseitigen Associationen aufzumuntern, – allein auch diese Bestrebungen waren vergebens. Sieht auch jeder einzelne Deutsche alle diese Uebelstände, die ihn und seine übrigen Landsleute dem Engländer hintenan stellen, wohl ein, so hat er doch eben in Ermangelung eines nationalen Charakters und Stolzes weder die Lust noch den Willen sich persönlich mit Energie einem dem Interesse Aller so sehr zuwiderlaufenden Uebelstande entgegen zu treten und abzuhelfen. Jeder arbeitet dort im Interesse seines eigenen Herdes und meint, sei es doch genug, wenn er sich wohl befinde und Vermögen erwerbe, wozu noch Dinge unternehmen, die außerhalb seiner persönlichen Vortheile und seines Wirkungskreises liegen würden.

Sind diese Mißverhältnisse unter einem großen Theile der dortigen deutschen Bevölkerung vorherrschend, so muß ich doch rühmend hervorheben, daß es auch eine ziemliche Anzahl Deutscher in Australien giebt, welche nicht nur an Intelligenz, Reichthum, öffentlicher Geltung u. s. w. selbst hervorragende englische Persönlichkeiten überflügeln, sondern auch in ihren Spekulationen gegenseitig sich ebenso treu unterstützen, wie es die Engländer thun, und mit Letzteren in innigem und großartigem Geschäftsverkehre stehen.

Trotzdem, daß alle oben erwähnten Uebelstände unter einem großen Theile der Deutschen bestehen und wesentlich hindernd auf ihr allseitiges finanzielles Gedeihen einwirken, so befindet sich doch der Einzelne wie die Gesammtmasse wohl. Und so lange Sparsamkeit und Fleiß (die zeitherigen großen Vorzüge und Tugenden der deutschen Colonisten vor den Engländern in Australien) ihn nicht verlassen, können nur außergewöhnliche Verhältnisse, wie z. B. eine langwierige Krankheit, im Stande sein, ein Zurückgehen des Einzelnen herbeizuführen. Denn in einem Lande, wie Australien, wo seit drei Jahren keine Stunde lang Mangel an Arbeit und Verdienst ist, wo Jeder, selbst der Steinklopfer, so gut bezahlt wird, daß er, bei kräftiger Fleischkost und einem Glase Bier oder Branntwein, täglich noch mehr wie einen Thaler als gespartes Vermögen zurücklegen kann, – in einem solchen Lande ist es ohne Verschwendung rein unmöglich zurückzugehen anstatt vorwärts zu kommen. Es besitzt dieser bis jetzt so glückliche Erdstrich weder factische Arme noch Bettler, da sogar halbe Krüppel, denen eine schwere Arbeit unmöglich ist, wie schon erwähnt, noch Chausseesteine klopfen und ohne zu darben, sich ein kleines Kapital für ihr Alter zurücklegen können.

Erwägt man außerdem, daß in Australien ein Jeder, ohne genirt oder minder als vorher geachtet zu sein, sich seinen Erwerb und seine Beschäftigung, die ihm gewinnbringend scheint, wählen kann, wie er will und in jedem Fache der Arbeit, sofern er fleißig ist, vom Publikum die nöthige Achtung genießt, daß ferner jede thätige Hand ein schätzbares Kapital ist und das Feld für ein riesiges Schaffen noch viele Jahrhunderte offen stehen wird, daß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_488.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)