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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 42. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Kopf und Herz.
(Fortsetzung.)
III.

Franziska war auf die hohe Freitreppe vor dem Hause getreten und beobachtete durch das offene Thor die Straße, die sich in gerader Linie bis zu dem Walde hinzog. Sie hoffte, daß Walther ihr folgen würde, und dies hätte vielleicht viel zur Milderung ihrer Aufregung beigetragen. Aber kein Reiter ließ sich erblicken, und die Eifersucht mit allen ihren Schrecken erwachte in der Brust Franziska’s. Sie mußte sich eingestehen, daß Marianne wirklich ein reizendes Wesen sei, völlig geeignet die Neigung eines jungen Mannes dergestalt zu wecken, daß er darüber gewisse andere Rücksichten vergaß.

„Er will mit mir brechen,“ dachte sie, „und dazu hat er die Gelegenheit benützt, die an und für sich nur der Gegenstand einer oberflächlichen Disputation zu sein verdiente, wie sie schon hundertmal unter uns stattgefunden hat. O, ich errathe, was ihn dazu antreibt! Müßte ich nicht mit Blindheit geschlagen sein, wenn ich die Lobpreisungen Marianne’s nicht richtig deuten sollte? Sie ist schön und die muthmaßliche Erbin des Obersten – mir bleibt nichts als eine kleine Rente, die kaum hinreicht, die Kosten der Toilette einer Dame vom Stande zu bestreiten. Wie unwürdig ist Walther’s Benehmen! Ich verlasse das Schloß nicht eher, bis ich den Obersten gesprochen und die Einleitung zu meiner Rache getroffen habe. Ich vernichte meine Feindin durch alle nur ersinnlichen Mittel, dann mag sie Walther in der Bauerhütte aufsuchen. Ich kenne den empfindlichsten Fleck meines Onkels – noch heute will ich ihn treffen. Und falle ich, so soll jenes Geschöpf mit mir fallen, das einen so unheilvollen Einfluß auf mein Leben ausübt.“

Franziska ward durch einen schwarzen Punkt, der sich am Walde auf dem weißen Streifen der Straße zeigte, in ihrem Nachsinnen unterbrochen. Mit ungetheilter Aufmerksamkeit beobachtete sie die Entwickelung des Punktes, denn es mußte entweder Walther oder der zurückkehrende Oberst sein. Beide Fälle waren für sie von großer Wichtigkeit.

In diesem Augenblicke trat der Kammerdiener heran.

„Ihr Zimmer ist bereit, gnädiges Fräulein!“ meldete der Greis.

„Gut, mein Freund; ich werde dessen wohl nicht bedürfen,“ antwortete Franziska, ohne ihre Blicke von der Straße abzuwenden.

Gottfried schwieg einige Augenblicke, indem er verwundert die stolze Dame betrachtete. Dann wagte er die Frage: „Sie wollen uns doch nicht schon wieder verlassen, gnädiges Fräulein?“

„Was kommt dort auf der Straße?“ fragte sie.

Der Greis legte die flache Hand über die Augen und sah nach der bezeichneten Richtung.

„Das ist ein Wagen!“ murmelte er.

„Sollte der Oberst zurückkommen?“

„Unmöglich – es ist noch nicht Mittag, und das Revier liegt weit. Aber ich wüßte doch nicht, wer uns sonst noch besuchen sollte – –“

Es verflossen wiederum einige Minuten. Die beiden Personen setzten ihre Beobachtungen fort.

„Ich erkenne deutlich einen Wagen,“ sagte Franziska, die lieber einen Reiter gesehen hätte.

„Und ich erkenne,“ sagte der Kammerdiener, „daß es das Gespann meines Herrn ist. Mein Gott, wie der Kutscher jagt, als ob der Wagen in Trümmern zerfliegen sollte.“

Keuchend flog jetzt der Lieblingsjagdhund des Obersten durch das Thor. Das schöne schlanke Thier schnob mit schaumtriefendem Maule die Treppe hinauf, sprang an dem Kammerdiener empor, heulte einen Augenblick in dumpfen Tönen und flog sausend wieder zum Hofthore hinaus, dem Wagen entgegen, der sich nun deutlich erkennen ließ.

„Mein Gott, was ist denn das?“ murmelte der erstaunte Greis. „So habe ich das Thier nie gesehen. Und warum kommt der Wagen so früh zurück? Wenn nur kein Unglück geschehen ist,“ fügte er leiser hinzu, denn er erinnerte sich unwillkürlich des verhängnißvollen Tages, an dem durch seines Herrn Versehen Marianne’s Vater das Leben verlor.

Während der Greis vor banger Erwartung bebte, klopfte Franziska’s Herz ängstlich dem Augenblick des ersten Wiedersehns entgegen. Sie fühlte, daß sie sich eine schwere Aufgabe gestellt hatte. Von der Unterredung mit dem Obersten hing ihre ganze Zukunft ab. Sie kannte zwar den biedern Charakter des Onkels, aber auch seine strenge Unparteilichkeit. Nach der Unterredung mit Marianne, wozu sie sich in ihrer leidenschaftlichen Aufregung hatte hinreißen lassen, durfte sie nicht feig zurücktreten, ohne der Lächerlichkeit anheim zu fallen. Ihr blieb nichts, als durch kecke Verläumdung die Feindin zu stürzen.

Der Wagen war indeß so nahe gekommen, daß man das Rollen desselben vernehmen konnte.

„Großer Gott, Was ist das, was ist das?“ rief der greise Kammerdiener, indem er in großer Bestürzung die Treppe hinabeilte. „Es sitzt ja nur eine Person in dem Wagen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_493.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2016)