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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Wie können Sie glauben!“

„Nach der Scene von diesem Morgen bleibt mir nichts anders übrig. Ihre Condolation darf ich nicht annehmen, weil ich durch eine Gratulation danken müßte.“

„Sie sprechen in Räthseln, Franziska!“

„Für Sie? Für Sie?“

„Ich schwöre Ihnen, daß ich bestürzt bin –“

„So erholen Sie sich, Herr von Linden: Der Oberst von Adersheim ist diesen Morgen durch einen unvorsichtigen Schuß auf der Jagd um’s Leben gekommen – gehen Sie hin und beglückwünschen Sie seine Universalerbin, deren Reize nun wohl völlig makellos sein werden.“

„Der Oberst todt?“ rief Walther erstaunt.

„Verlassen Sie sich darauf, ich habe seine Leiche gesehen.“

„Und Sie sind so gleichgültig?“

„Ich bin mehr zu beklagen als der Verstorbene. Wenn Sie die Erbin von Adersheim heirathen wollen, müssen Sie sich an eine andere wenden.“

„Franziska,“ sagte Walther lächelnd, „Ihr Zorn steht Ihnen in der Trauerkleidung so reizend, daß es Ihnen wahrlich nicht an Anbetern fehlen wird, auch wenn Sie bei dem Tode des Onkels leer ausgegangen sind. Um Ihre Trauer durch Kränkung nicht zu erhöhen, entferne ich mich!“

Walther verneigte sich und verschwand aus der Loge.

„Das dachte ich mir!“ murmelte er. „Der Oberst war zu erbittert – Marianne ist Erbin, Franziska’s Zorn ist ein sicherer Beweis.“

„Ich sehe ihn dennoch zu meinen Füßen!“ dachte Franziska, indem sie sich in den Sitz zurückwarf, und theilnahmlos dem folgenden Acte der Oper zuhörte.


IV.

Der Begräbnißtag war gekommen. Auf dem Schlosse Adersheim war alles Schweigen und Trauer. In dem mit Blumen geschmückten Saale stand der Sarg auf schwarzer Bahre. Er war geöffnet, damit die Leute ihren geliebten Herrn noch einmal sehen konnten. Man hatte den todten Obersten mit der Armeeuniform bekleidet, und auf seiner Brust prangten die Bänder zweier Orden. Schärpe, Degen und Federhut lagen neben der Leiche auf einem Tische. Eberhard von Detmar hatte seinen Freund und Waffengenossen zur letzten Parade geschmückt. Domestiken, Knechte, Mägde und Landleute, alle schwarz gekleidet, standen in stillen Gruppen in dem Saale, und betrachteten mit feuchten Augen den verblichenen Herrn. Gottfried, der greise Kammerdiener, stand zu den Füßen der Leiche; er hatte seine Hände gefaltet, und weinte und betete still vor sich hin. Neben ihm stand der Gerichtshalter mit kaltem, ruhigem Gesichte. Der Saal bot einen rührenden Anblick dar. Nicht den ergreifenden, schrecklichen Tod, wie in den Hallen der Kirche; nicht den prunkenden, wie er durch die Straßen zieht – hier sah man den rührenden Tod, wie er sich in die friedlichen Räume des Hauses schleicht. Hier feierte das Herz ein Leichenbegängniß, und Thränen, die den Augen biederer, schlichter Leute entströmten, gaben den Beweis von der Aufrichtigkeit des Schmerzes.

In dem Fremdenzimmer befand sich Franziska; sie hatte das Fenster geöffnet und beobachtete den Schloßhof. Zwei Wagen fuhren durch das Thor ein. Wer beschreibt ihre Ueberraschung, als sie unter den Männern, die zum Begräbuiß des Obersten aus der Residenz gekommen waren, auch Walther von Linden erblickte. Das hatte sie nicht erwartet.

„Nicht die Achtung vor dem Todten, die Liebe zu Marianne führt ihn her!“ flüsterte sie, bebend vor Zorn und Eifersucht. „Er ist der einzige junge Mann unter den Leidtragenden, und es kann nicht fehlen, daß er auf die eitele Bäuerin einen günstigen Eindruck ausübt. Wie schlau er verfährt – gerade an diesem Tage unternimmt er seinen ersten Schritt, wenn er nicht ohne mein Wissen bereits ausgeführt ist. Er vermuthet nicht, daß die nach seiner Meinung leer ausgegangene Franziska auf Adersheim ist. Nur Geduld, Verräther, Du wirst den Irrthum bald einsehen, und den Verrath schmerzlich bereuen! Ich bin die Erbin!“ fügte sie mit dem Gefühle des Stolzes hinzu. „Alle, die mich jetzt kaum bemerken, werden in kurzer Zeit vor mir zittern!“

Sie schwor, eine furchtbare Rache zu üben.

Kaum waren die Männer aus der Stadt in den Saal getreten, als auch Marianne an der Hand des Predigers erschien. Das bleiche Aussehen und die verweinten Augen verriethen ihren tiefen Schmerz. Eberhard von Detmar und Philipp, der junge Landmann, folgte ihr. Marianne und Philipp traten heran, küßten noch einmal die starre Hand ihres Wohlthäters, und der Sarg ward geschlossen. Zwölf Landleute trugen die Bahre in den Hof, wo sich der Leichenzug ordnete.

Franziska zeigte sich an dem Fenster, das über der Freitreppe lag, auf der Marianne laut schluchzend stand. Von der nahen Dorfkirche herüber erklangen die Trauertöne der ländlichen Glocken, der Zug setzte sich in Bewegung. Als er jenseits des Thores in der Allee verschwand, die zu der bei der Kirche liegenden Familiengruft führte, brach die von Schmerz überwältigte Marianne zusammen. Franziska neigte sich aus dem Fenster – da sah sie, wie die Sinkende von Walther’s Armen empfangen und in das Haus zurückgetragen wurde. Sie erstarrte zur Bildsäule. Einige Minuten später verließ Walther den Hof, um sich dem langsam schreitenden Zuge anzuschließen.

„Diesen Dienst wird sie ihm danken, wenn sie kann!“ flüsterte die Lauscherin vor sich bin. „Der Edelmann vergißt seinen Stand, um sich die Gunst einer Bettlerin zu erwerben, weil sie plötzlich reich geworden zu sein scheint. Mich, die Dame von Rang, vernachlässigt er, beleidigt mich selbst, weil er annimmt, sie hat sich in ihren Erbschaftshoffnungen getäuscht. Eine größere Ironie konnte der Zufall nicht ausdrücken als in der Fügung aller dieser Verhältnisse. Und ich beherrsche sie alle! Ich, die Gemißhandelte!“

Eine halbe Stunde später deutete das Schweigen der Glocken an, daß die traurige Feierlichkeit auf dem Friedhofe vollendet sei. Die Leute kamen zurück, und zerstreuten sich still in die einzelnen Gebäude. Während Franziska mit dem ihr ergebenen Gerichtshalter ein eifriges Gespräch führte, trat Eberhard von Detmar in Marianne’s Zimmer. Sie erhob sich von dem Sessel, und reichte ihm still weinend beide Hände.

„O, ich begreife ganz Ihren Schmerz!“ rief der würdige Mann. „Ihnen ist ja der zärtlichste Vater gestorben.“ Sie warf sich an die Brust des Greisen.

„Und ich trage vielleicht die Schuld an seinem Tode!“ flüsterte sie.

„Sie, mein Kind? Unmöglich, ich war Zeuge des Unglücks. Nachdem wir vergebens einen Theil des Reviers durchsucht hatten, bestiegen wir den Wagen, um über ein Feld zu fahren. Da sahen wir ein Reh in den Busch fliehen. Mein Freund, ein eifriger Jäger, ließ halten, sprang aus dem Wagen, und in demselben Augenblicke entlud sich das Gewehr, das er gegen allen Gebrauch aufrecht in der Hand trug. Dies ist der einfache Hergang, den ich durch einen Eid bekräftigt habe. Wie kann Sie irgend ein Vorwurf treffen?“

„Sie kennen vielleicht die traurige Veranlassung nicht, die mich in das Haus meines Wohlthäters geführt.“

„Der gute Oberst hat mir Alles erzählt.“

„Dann müssen Sie auch wissen, daß er stets mit einer gewissen Furcht auf die Jagd ging. Ich kannte seine leidenschaftliche Vorliebe für diese Beschäftigung, und mit Schmerz sah ich, daß er ihr aus Rücksicht für mich nicht folgte. Nur wenn ich ihm zuredete, griff er zur Büchse und ging in den Wald. Du bist mein Schutzgeist, rief er dann lächelnd aus; wenn Du mich gehen heißest, kann mir kein Unglück begegnen. Auch an jenem Tage drang ich mit freundlicher Gewalt in ihn; er fuhr mit Ihnen ab, und ist nicht wiedergekommen. Hätte ich geschwiegen, der arme Mann wäre sicher noch am Leben!“

„Mein liebes Kind, der Schmerz erfüllt Sie mit grundlosen Befürchtungen. Ich wiederhole Ihnen, daß nur die eigene Unvorsichtigkeit unsers geschiedenen Freundes die Schuld an dem Unglück trägt. Es ist geschehen, und kein Mensch in der Welt vermag es zu ändern. Bewahren Sie das Andenken an den Todten in Ihrem dankbaren Herzen, indem Sie so gut und edel zu werden sich bemühen, wie er war, und Sie erfüllen als seine Tochter Ihre Pflicht. Mehr kann Gott und die Welt nicht von Ihnen fordern. Doch nun erlauben Sie mir auf einen Punkt zu kommen, den ich heute noch nicht beregen sollte, heute, wo sich kaum die Gruft unsers Freundes geschlossen hat; aber der Drang der Umstände mag mich entschuldigen, denn ich muß diesen Abend abreisen.“

Eberhard zog Marianne zu sich auf den Sopha.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_495.jpg&oldid=- (Version vom 24.10.2016)