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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

ein Mensch war, das sieht man ihm (auch ohne Phrenologie) schon im Gesicht an, fromm im unerschütterlichen Glauben an die Wissenschaft im Allgemeinen, im thätigen, Tag und Nacht forschenden Glauben an seine Wissenschaft.

Richard Owen erblickte das Licht der Welt unter den Baumwollenballen und Spinnmaschinen am Lancashire, in der Stadt Lancaster (1805). Von seiner Kindheit, die in Armuth verlebt ward, wissen wir nichts. Er studirte Medizin in Edinburg, wo er schon nach 2 Jahren (1826) Professor und (1835) Conservator des dortigen Museums ward. Bis dahin hatte er schon ein großes fünfbändiges Werk über Physiologie und vergleichende Anatomie geschrieben. Von seinen fast unzähligen, wissenschaftlichen Werken, deren Entstehung man kaum einem einzigen Kopfe zutrauen kann, erwähnen wir nur noch eine Naturgeschichte, ein Buch über die „fossilen organischen Ueberreste“ im Museum, „Memoiren über den Perlen-Nautilus,“ eine „Odontographie,“ „Memoiren über geologische Riesenthiere,“ „Geschichte der fossilen Mammalien und Vögel Englands,“ „Erztypen und Homologien in den Rückenwirbel-Skeletten,“ „Geschichte der fossilen Reptilien Englands,“ „Constructionsgesetze im Gliederbau“ und ein besonders merkwürdiges Buch über freiwillige Erzeugung, Entstehung von lebendigen Wesen aus bloßen Ingredienzien, ohne Zeugung mit allmäliger Entwickelung zu vollkommneren organischen Wesen, die „Partheno-Genesis“ (jungfräuliches Gebären), wie er das vielfach bestrittene Naturgeheimniß nennt. – Wir brauchen kaum zu sagen, daß der Mann Mitglied fast aller betreffenden Wissenschaftsvereine der ganzen Erde ist und zwar nicht Ehrenmitglied, sondern wirkliches und thätiges. Im wissenschaftlichen Parlamente war er nicht nur eine der würdigsten und edelsten persönlichen Erscheinungen, sondern durch seine Vorträge auch die interessanteste und wichtigste. Er ist ein Mann, den die Wissenschaft durch und durch human, edel und nach allen Seiten hin liebens- und verehrungswürdig gemacht hat. Alle Völker und Klassen bewundern in seinen vorsündfluthlichen, lebensgroßen und lebensgetreuen Schöpfungen auf der geologischen Insel[1] des Krystallpalastes (von ihm geschaffen und entworfen, ausgeführt von Waterhouse Hawkins) den größten und genialsten Meister geologischen Wissens. Die Königin Victoria gab ihrer Verehrung dadurch einen liebenswürdigen Ausdruck, daß sie ihm im Schlosse zu Kew (mit dem weltberühmten botanischen Garten) eine glänzende Residenz anwies. Wie er schon in der großen Industrie-Ausstellung als Präsident der Jury für animalische und vegetabilische Substanzen sich viele Verdienste erwarb, fährt er mit jugendlichem Eifer fort, an der geologischen und naturwissenschaftlichen Ausstattung und Bereicherung des neuen Krystallpalastes zu arbeiten. Die „geologische Insel“ wird als erste, wirkliche, vorsündfluthliche Schöpfung der geologischen Wissenschaft immer zu den größten Merkwürdigkeiten gehören und Richard Owen als diesen Schöpfer eines Ruhmes genießen, für welchen die geographischen und sprachlichen Grenzen bereits als überwunden betrachtet werden müssen.


Kulturgeschichtliche Bilder.
3. Die Transport- und Communikationsmittel.
Das Postwesen und die Landstraßen in der früheren Zeit. – Schilderung einer Reise im 17. Jahrh. – Die „gelbe Kutsche“ und die Schnellposten. – Schwerfälligkeit des früheren Postdienstes. – Verdrängung der Posten und Chausseen durch Dampfwagen, Eisenbahnen und Telegraphen. – Vergleichung der Schnelligkeit dieser verschiedenen Beförderungsarten. – Das Reisen zu Wasser im vorigen Jahrhundert und dessen Hindernisse. – Die damaligen und die jetzigen Reisegelegenheiten zu Wasser. – Die Vermehrung des Reiseverkehrs gegen früher. – Der Reiseaufwand sonst und jetzt. – Das Briefporto. – Wirkungen dieser Verbesserungen des Transportwesens und der Communikationsmittel.

Nirgends sind die Fortschritte unserer Kultur augenfälliger, als auf dem Gebiete des Transportwesens und der Communikationsmittel. Hier wenigstens dürfte es auch dem blindesten Bewunderer der „guten alten Zeit“ unmöglich sein, die Vorzüge des Jetzt vor dem Sonst in Abrede zu stellen, er müßte sich denn zu der Ansicht bekennen (die freilich die Autorität eines Friedrich des Großen für sich geltend machen kann, heutzutage aber doch eine gar zu arge volkswirthschaftliche Ketzerei ist, um von einem auf Bildung Anspruch machenden Menschen im Ernste vertreten zu werden): daß schlechte Straßen nützlich für ein Land seien, weil sie den Gastwirthen, Schmieden und Stellmachern viel zu verdienen gäben.

Es war gewiß ein großer und von dem correspondirenden Publikum jener Zeit dankbar begrüßter Fortschritt, als im Anfange des 16. Jahrhunderts Francesco von Taxis die erste regelmäßige Post im deutschen Reiche einrichtete. Bis dahin hatte man sich mit den „Botenfuhren“ begnügen müssen, die zwischen einzelnen größern Handelsstädten, wie Hamburg und Nürnberg, hin- und hergingen, und Briefe (selten wohl Personen) mitnahmen. Später entstanden neben der Reichspost auch in mehrern Einzelstaaten selbstständige Postanstalten. Die Benutzung dieser Anstalten zum Reisen mag indessen kaum 100 Jahre alt sein, indem his dahin wegen der bodenlosen Wege überhaupt jede Art von Fahrgelegenheit dermaßen unbequem und gefahrvoll war, daß man nur in der höchsten Noth davon Gebrauch machte. Wer reisen mußte, reiste damals zu Pferde; hohe Personen und Frauen ließen sich in Sänften tragen. Die erste Kunststraße (eine kleine Strecke) entstand 1753 zwischen Nördlingen und Oettingen. Noch vor 70, 80 Jahren gab es nur erst in einem kleinen Theile von Deutschland, und auch da natürlich nur auf den Hauptverkehrsstraßen, etwas leidlichere Wege, d. h. solche, auf denen man nicht bei jeder Umdrehung der Räder im Kothe zu versinken, in Löcher zu fallen, Wagen, Geschirr und Pferde, ja selbst die eigenen Gliedmaßen und das eigene Leben auf’s Spiel zu setzen befürchten mußte.

Die nachstehende Schilderung einer Reise aus dem Jahre 1721[2] malt die Gefahren und Beschwerlichkeiten einer solchen in der damaligen Zeit auf sehr anschauliche Weise. Und noch fünfzig Jahre später sah es in vielen Gegenden Deutschlands, besonders Norddeutschlands, damit nicht besser aus. Jene erwähnte Reise ging von Schwäbisch-Gmünd nach Ellwangen, zwei Orte, deren Entfernung von einander etwa acht Poststunden beträgt.

Der Reisende, ein wohlhabender Mann, ging in Gesellschaft seiner Frau und ihrer Magd am Montag Morgen, nachdem er am Tage zuvor in der Johanniskirche „für glückliche Erledigung vorhabender Reise“ eine Messe hatte lesen lassen, aus seiner Vaterstadt ab. Er bediente sich eines zweispännigen sogenannten „Plahnwägelchens.“ Noch bevor er eine Wegstunde zurückgelegt und das Dorf Hussenhofen erreicht hatte, blieb das Fuhrwerk im Kothe stecken, daß die ganze Gesellschaft aussteigen, und „bis über’s Knie im Dreck platschend“ den Wagen vorwärts schieben mußte. Mitten im Dorfe Böbingen fuhr der Knecht „mit dem linken Vorderrad unversehendlich in ein Mistloch, daß das Wägelchen überkippte und die Frau Eheliebste sich Nase und Backen an den Plahnreifen jämmerlich zerschund.“ Von Mögglingen aus bis Aalen mußte man drei Pferde Vorspann nehmen und dennoch brauchte man sechs volle Stunden, um letztgenannten Ort zu erreichen, wo übernachtet wurde. Am andern Morgen brachen die Reisenden in aller Frühe auf und langten gegen Mittag glücklich beim Dorfe Hofen an. Hier aber hatte die Reise einstweilen ein Ende, denn hundert Schritte vor dem Dorfe fiel der Wagen um und in einen „Gumpen“ (Pfütze), daß Alle garstig beschmutzt wurden, die Magd die rechte Achsel auseinanderbrach und der Knecht sich die Hand zerstauchte.“ Zugleich zeigte sich, daß eine Radachse zerbrochen, und das eine Pferd am linken Vorderfuße „vollständig gelähmt worden.“ Man mußte also zum zweiten Male unterwegs übernachten, in Hofen Pferde und Wagen, Knecht und Magd zurücklassen und einen Leiterwagen miethen, auf welchem die Reisenden endlich ganz erbärmlich zusammengeschüttelt, am Mittwoch „um’s Vesperläuten“ vor dem Thore von Ellwangen anlangten.


  1. Vergleiche Gartenlaube Nr. 10.
  2. Sie ist nach einem handschriftlichen Berichte mitgetheilt in Scherr’s „Geschichte deutscher Kultur und Sitten“ S. 297.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_498.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)