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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Herr Oberst hat uns oft besucht. Wo Du sitzest, Marianne, hat er gar oft gesessen, seine Pfeife geraucht und geplaudert. Dann unterhielten wir uns von vergangenen Zeiten, und vorzüglich von dem Unglücke, das ihm mit Deinem armen Vater passirt ist. Ach, der gute Herr konnte es gar nicht vergessen, ich hatte immer große Mühe, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Den Philipp hatte er gern; das muß einmal ein tüchtiger Landwirth werden, sagte er. Und der Philipp hat sich das gemerkt. Alle neuen Bücher, welche die Gelehrten über Landwirthschaft geschrieben, hat er sich angeschafft. Wenn wir schlafen, sitzt er hier und studirt, und was er in den Büchern gelesen, das macht er auf dem Felde. Unser ganzer Hof ist nach dem neuen Schnitte eingerichtet, und wahrlich, es kommt viel Gutes dabei heraus. Unsere Aecker, Wiesen und Viehzucht sind die besten in der ganzen Gegend. Wie oft kommen die Nachbarn, um Philipp zu fragen, wie er dies oder das angefangen hat. Aber sieh nur einmal, wie viel Bücher er hat. Es steckt ein schönes Geld darin.“

Bei diesen Worten schob der Greis einen grünen Vorhang zurück, und Marianne sah eine ziemlich zahlreiche Bibliothek. Sie stand auf und las die auf dem Rücken verzeichneten Titel. Da fand sie landwirthschaftliche Schriften, naturhistorische und geographische Werke, deutsche, französische und englische Grammatiken und Wörterbücher, selbst Schiller’s und Goethe’s Werke in prachtvollen Einbänden. Marianne drückte laut ihre Verwunderung aus.

„Siehst Du die zwölf schönen Bücher mit den Goldbuchstaben?“ fragte lächelnd der Greis.

Marianne las den Namen Schiller.

„Nun?“ fragte sie.

„Diese Bücher hat ihm der Herr Oberst vor einem Jahre zu Weihnachten geschenkt. Sie müssen wohl sehr schön sein und dem Philipp gefallen, denn so oft er Zeit hat, liest er darin.“

Philipp trat ein; er trug einen Korb mit auserlesenen Aepfeln. Als er Mariannen vor der Bibliothek erblickte, ward er verlegen.

Dem jungen Mädchen entging dies nicht.

„Philipp,“ sagte sie, „Du hast mir verschwiegen, daß Du eine so ausgewählte Büchersammlung besitzest. Ich hätte gern das Meinige dazu beigetragen –“

„O, ich habe noch viel zu thun, ehe ich mit diesen Büchern fertig werde. Mir bleibt zum Studiren nicht viel Zeit, wenn ich die Oekonomie nicht vernachlässigen will. Was ich bis jetzt gethan, ist der Rede nicht werth. Vielleicht komme ich im nächsten Winter ein wenig weiter.“

Jetzt erschien auch die Mutter, und man setzte sich zu Tische. Auf alle Fragen, die Marianne an Philipp über seine Studien richtete, gab er eine ausweichende Antwort, es schien, als ob er sich seiner Bestrebungen schämte und sie geheim halten wollte. Bei dem trüben Himmel brach der Abend früh an, und Marianne bereitete sich zur Rückkehr vor.

„Darf ich Dich begleiten?“ fragte Philipp schüchtern.

„Wenn Du mir die Gefälligkeit erzeigen willst!“ antwortete sie in einem höflichen Tone.

Diesmal erschien der junge Mann in einem bessern Rocke und mit dem Hute in der Hand. Marianne nahm von den beiden alten Leuten einen innigen Abschied und versprach, das nächste Mal früher zu kommen, damit man länger plaudern könne.

Ach, Marianne,“ sagte Vater Eckhard, indem er ihr die Hand drückte, „ich wollte, Du könntest immer bei uns bleiben.“

„Das wird nicht gut gehen!“ fügte das Mütterchen hinzu.

„Warum?“

„Wer einmal an das Leben im Schlosse gewöhnt ist –“

„Darüber sprechen wir später!“ fiel Marianne rasch ein. „Nun lebt wohl, bis auf Wiedersehen.“

Die beiden jungen Leute verließen die Meierei. Während sie über den reinlichen Hof gingen, sahen ihnen Vater und Mutter nach.

„Ein hübsches Mädchen!“ murmelte Eckhard. „Es kommt mir ordentlich schwer an, sie Du zu nennen. Hätte ich sie nicht oft in ihres Vaters Häuschen gesehen und hier im Hofe, wo sie mit unserm Sohne spielte, ich würde kaum glauben, daß sie Lorenz’s Tochter wäre. Es freut mich, daß sie auf unsern Philipp noch so viel hält.“

„Das ist wahr,“ meinte Mutter Eckhard. „Aber auch der Philipp hat sie gern. Hast Du gesehen, wie er sich geputzt hatte, um sie nach dem Schlosse zu begleiten?“

„Höre, Alter,“ flüsterte das Mütterchen mit lächelndem Gesichte, „ich habe längst daran gedacht, und heute ist mir es wiedereingefallen, als ich die beiden jungen Leute vor mir stehen sah – –“

„Was?“ fragte der greise Landmann gespannt.

„Daß sie ein Paar werden könnten!“

„Frau, bist Du toll?“ rief Eckhard in einem Tone, der verrieth, daß er zwar die Ansicht ebenfalls hegte, sie aber nicht auszusprechen wagte.

„Warum denn, lieber Mann?“

„Philipp ist kein Mann für Marianne, und Marianne ist keine Frau für Philipp. Sie ist in der Stadt und er auf dem Lande erzogen. Uebrigens, Frau, hüte Dich, eine Sylbe darüber zu äußern, daß es unser Philipp hört – er ist kein gewöhnlicher Bauer, das Mädchen gefällt ihm – mir scheint, er könnte sich leicht etwas in den Kopf setzen, und das wäre ein Unglück.“

„Für wen ein Unglück?“ fragte die Mutter, die auf ihren Sohn stolz war.

„Für Beide – auch für uns! Mag nun Marianne eine reiche Erbin werden oder wieder ein armes Mädchen, sie passen einmal nicht zusammen. O, ich hätte es für mein Leben gern; aber es geht nicht, es geht nicht, und damit Punktum!“

Vater Eckhard setzte hastig seine grüne Sammetmütze mit Otterpelz auf das greise Haupt, und ging in den Hof hinaus.

„Mag der alte Murrkopf denken, was er will,“ flüsterte das Mütterchen – „für unsern Philipp ist kein Mädchen zu gut. Na, wir wollen sehen, wie es wird – es ist noch nicht aller Tage Abend.“

Sie ging ihren häuslichen Beschäftigungen nach.

Philipp und Marianne waren indessen bei dem Schlosse angekommen. Ein dichter Nebel vermehrte die Dunkelheit des Abends, so daß man kaum das alte Thor unterscheiden konnte.

„Nun will ich zurückkehren,“ sagte Philipp. „Gute Nacht!“

Sie zog die Hand unter dem seidenen Mantel hervor, und reichte sie ihm.

„Willst Du nicht einen Augenblick mit mir in das Schloß gehen?“ fragte sie.

Der junge Mann zuckte bei der Berührung der kleinen weichen Hand zusammen.

„Nein, Marianne; es giebt Abends noch so Manches im Hause zu thun –“

„Dann darf ich Dich nicht abhalten, lieber Philipp. Nimm meinen herzlichen Dank für die Begleitung.“

„Wann kommst Du wieder zu uns?“

„Sobald ich kann. Und dann begleitest Du mich einmal zu unserm Häuschen am Walde. Ach, ich werde Dir noch oft lästig, werden müssen, denn außer Dir und Deinen guten Aeltern – –“

„Marianne,“ rief er rasch, „wende Dich an keinen Andern, als an mich – vergiß nicht, daß ich Dein Bruder bin! Willst Du mir das versprechen?“

„Wenn Du mein Versprechen annehmen willst.“

Statt der Antwort drückte er ihr innig die Hand. Dann verschwand er rasch in der Dunkelheit des Abends.

„Ach, mir fehlt noch viel!“ flüsterte er betrübt vor sich hin. „Ich fühle, daß ich noch sehr linkisch und unwissend bin!“

Er kam niedergeschlagen nach Hause; mit Mühe suchte er es seinen Aeltern zu verbergen. Aber dem Vater Eckhard entging die Gemüthsstimmung des Sohnes nicht, er schüttelte das greise Haupt und ermahnte noch einmal seine Frau, über den bewußten Punkt kein Wort zu verlieren.

Als Marianne, nachdem sie die letzten wirthschaftlichen Anordnungen getroffen, allein in ihrem Zimmer saß, gedachte sie der Vorgänge des Tages. Mit Schrecken erinnerte sie sich Walther’s von Linden und seiner Aufmerksamkeiten, die er ihr in der Stadt erwiesen, so oft er Gelegenheit dazu gefunden. Er hatte sie an dem Begräbnißtage, als sie vor Schmerz einer Ohnmacht nahe gewesen, in das Zimmer gebracht, und heute hatte er die Gruft des Obersten mit Blumen bestreut. „Was bedeutet das?“ fragte sie sich. „Warum diese auffallende Annäherung?“ – Doch bald traten die lieben Jugenderinnerungen wieder in den Vordergrund, der Stutzer war ihr zu gleichgültig, als daß sie sich länger mit ihm beschäftigen sollte. Sie dachte an Philipp und seine Aeltern, und als sie einschlief, träumte ihr nicht von den glänzenden Sälen der Residenz, sondern von dem ärmlichen Häuschen am Walde, wo sie mit Philipp kindliche Spiele trieb.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_507.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2016)