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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Haupt schüttelte; „sie kann mich nicht beleidigen. Aber führe mich weg von hier, Philipp – begleite mich zur Stadt!“

„Zur Stadt? Denkst Du denn nicht an uns?“ fragte er weinend. „Laß die kalten Menschen und folge mir in unser Haus, wo Du mit offenen Armen empfangen wirst. Marianne, um Gotteswillen zögere keinen Augenblick!“

„Du hast Recht! Du hast Recht!“ rief sie nach einer Pause, in der sie über die erlittene Schmach nachgedacht hatte. „Meine Feindin soll den Triumph nicht haben, mich auch nur einen Augenblick in Verlegenheit zu sehen. Ich darf diese Nacht nicht mehr unter ihrem Dache zubringen. Begleite mich, Philipp, Deinem Schutze will ich mich anvertranen!“

„Und sei gewiß, daß er Dir kräftig zu Theil werden soll!“ rief der junge Mann mit Stolz und Muth.

Er faßte Marianne bei der Hand und führte sie auf ihr Zimmer.

Eine Viertelstunde war verflossen, als Franziska mit dem Gerichtshalter aus dem Saale trat. Der alte Gottfried leuchtete voran. In demselben Augenblicke kamen Marianne und Philipp die Treppe herab. Sie trug ein kleines weißes Bündel in der Hand; er war mit einer Reisetasche und einigen Kartons bepackt. Marianne zog rasch ihren grünen Schleier über das Gesicht, als sie die neue Herrin von Adersheim erblickte, und verließ das Haus.

„Wer war der Bauer?“ fragte Franziska den Gerichtshalter.

„Philipp Eckhard!“ war die demüthig ertheilte Antwort. „Ich behalte mir vor, dem gnädigen Fräulein noch nähere Auskunft über das Besitzthum dieses Mannes zu geben, das unmittelbar an Ihre Güter grenzt. Es ist meine Pflicht,“ fügte er mit einem bedeutungsvollen Lächeln hinzu, „dafür zu sorgen, daß meiner Herrin alles zufalle, was ihr von Rechtswegen gebührt.“

„Für heute genug!“ sagte die junge Dame verdrießlich. „Morgenfrüh erwarte ich Sie auf meinem Zimmer.“

Philipp und Marianne standen bald an dem Thore der Meierei. Der alte Eckhard öffnete. Erstaunt betrachtete er die Begleiterin seines Sohnes, die er in der Dunkelheit des Abends nicht sofort erkannte.

„Hier bringe ich sie,“ sagte Philipp, als sich die Hofpforte geschlossen hatte. „Reiche ihr doch die Hand, Vater – erkennst Du sie denn nicht? Es ist ja unsere Marianne. Sie wohnt nicht mehr auf dem Schlosse, sie wird nun bei uns bleiben.“

„Wollt Ihr mich aufnehmen, nur für kurze Zeit, Vater Eckhard?“ fragte sie schluchzend. „Man hat mich aus dem Schlosse vertrieben.“

„Marianne!“ rief der greise Landmann. „Du bist ja so gut wie mein Kind – willkommen, willkommen!“

Er nahm ihr das Bündel ab und führte sie bei der Hand in das Stübchen, wo Mutter Eckhard, die am Fenster gelauscht hatte, sie mit einem lauten Freudenschrei empfing.

„Aber hier können wir nicht bleiben – komm in das gute Zimmer, mein Kind!“ rief sie, indem sie eilig die Lampe ergriff. „Du lieber Gott, wer hätte denn das denken können!“

Philipp war längst in dem guten Zimmer. Als die alten Leute mit Mariannen, die trotz ihres Protestirens folgen mußte, eintraten, hatte er sein Gepäck bereits abgelegt. Er zündete den Rest einer Wachskerze an, die vorige Weihnachten gebrannt hatte, und räumte einige Bücher vom Tisch, damit der Gast seine Studien nicht gewahren sollte.

„Du bleibst nun bei uns?“ fragte das Mütterchen, indem es dem jungen Mädchen Hut und Mantel abnahm.

Marianne warf sich ihr gerührt an die Brust.

„Ihr waret die Freundin meiner guten Mutter, Ihr kennt mich und alle meine Verhältnisse – behaltet mich bei Euch, bis ich ein anderes Unterkommen gefunden habe.“

„Verliere kein Wort weiter über diese Sache,“ sagte ernst Philipp’s Vater. „Du würdest mich gekränkt haben, wenn Du an meiner Thür vorübergegangen wärst. Bei Leuten, die es gut meinen, klopft man zuerst an. Und außerdem bist Du uns keine Fremde –“

„Ein Glück, daß ich zufällig in das Schloß kam!“ rief Philipp. „Sie wollte diesen Abend noch zur Stadt gehen.“

„Hast Du denn kein Vertrauen zu uns?“ fragte grollend das Mütterchen.

Vater Eckhard wiegte den Kopf und murmelte still vor sich hin:

„Sie denkt ganz richtig, und darum ist sie mir noch einmal so lieb und werth. Willkommen, Marianne,“ sagte er laut in einem treuherzigen Tone. „Ich begrüße Dich als meine Tochter, als Philipp’s Schwester. Mit Gottes Hülfe werde ich für Deine Zukunft sorgen so viel als in meinen Kräften steht, und wenn es Dir recht ist.“

Marianne erzählte nun, was sich in dem Schlosse zugetragen hatte. Alle kannten zwar den Charakter des stolzen Fräuleins von Adersheim, aber keiner wußte sich den Grund ihrer heftigen Erbitterung gegen Marianne zu erklären. Philipp glaubte ihn zu kennen.

„Sie ist tausendmal schöner, als die adelige Dame!“ dachte er. „Sie will nicht, daß die arme Waise mehr geachtet and geliebt werde, als sie selbst.“

Es war spät, als der Hausvater ermahnte, zur Ruhe zu gehen. Marianne mußte in dem Zimmer bleiben und in dem Bette schlafen, das in der angrenzenden Kammer stand. Am nächsten Morgen war Philipp zuerst wach im Hause. Als die übrigen Bewohner erschienen, hatte er bereits die erste Arbeit des Tages vollbracht und die Kleider angelegt, die er beim Ausgehen zu tragen pflegte. Vater Eckhard schüttelte den Kopf, als er seinen Sohn so erblickte.

„Das thut nicht gut!“ murmelte er vor sich hin. „Ich habe längst meinen Argwohn gehabt – jetzt bestätigt er sich. Der arme Junge liebt das Mädchen und darum giebt er sich so viel Mühe, den Bauer abzulegen. Er sitzt Tag und Nacht bei den Büchern, um ihr an Bildung so viel wie möglich gleich zu kommen. Das kann eine unglückselige Geschichte werden.“

Er ging in die Milchkammer, wo seine alte Gattin beschäftigt war, für Marianne die beste Sahne zum Kaffee abzuschöpfen. Nachdem er die Thür hinter sich geschlossen hatte, fragte die Bäuerin mit einem seligen Lächeln: „Hast Du sie schon gesehen, Eckhard?“

„Wen?“

„Nun, unsere Marianne. Sie schläft wohl noch? Ach, sie ist doch ein prächtiges Mädchen. Hast Du bemerkt, wie sie unsern Philipp immer ansah?“

„O ja, Mutter, ich habe auch bemerkt, mit welchen Blicken Philipp sie ansah.“

„Ich weiß es längst, daß er sie gern hat!“

„Eben deshalb kann Marianne nicht lange in unserm Hause bleiben.“

Der guten Frau entsank der Holzlöffel, sie sah ihren Mann mit großen, erstaunten Augen an.

„Eckhard, Du willst Mariannen nicht dulden?“ fragte sie endlich. „Bedenke, wenn sie nicht gewesen wäre, hätten wir die schönen Ackerstücke nicht erhalten, die unsern Wohlstand begründet haben.“

„Das weiß ich Alles, Frau, und werde es auch nie vergessen. Wir sind dem guten Mädchen Dank schuldig, und den werde ich dadurch beweisen, daß ich sie von Philipp trenne. Wenn Du nicht mit Blindheit geschlagen bist, so mußt Du sehen, daß die feine Dame, wozu sie der selige Herr Oberst erzogen hat, einen Bauer nicht heirathen kann. Hut, Schleier und seidene Kleider und Mantel passen nicht zu Kuh und Pferdeställen. Marianne ist ein kluges Mädchen, sie wird längst Philipp’s Neigung bemerkt haben und darum wollte sie auch lieber nach der Stadt als in unser Haus. Sie bewegen wollen, hier zu bleiben, würde sie für nichts anderes halten, als für die Absicht, ihr unsern Sohn aufzudrängen. Ich bin ein Feind von allen Kuppeleien und darum werde ich offen und ehrlich zu Werke gehen. Bis jetzt hängt Philipp noch in alter Jugendfreundschaft an dem Mädchen – wir müssen sehr auf unserer Hut sein, wenn sie ihm nicht ganz den Kopf verdrehen soll. Sieh’ nur, wie verändert er seit gestern Abend ist. Also, Mutter, wenn Du Dein Kind lieb hast, so vereitle meinen Plan nicht durch voreiliges Geschwätz. Ich weiß, Du meinst es gut; aber diesmal mußt Du mir folgen, der ich weiter sehe, als Du. Sei freundlich gegen Marianne und pflege sie – aber sei vorsichtig in Deinen Reden, das wollte ich Dir sagen.“

Vater Eckhard verließ die Milchkammer und ging seinen Geschäften nach.

„Ist das ein Mann!“ flüsterte das Mütterchen vor sich hin. „Was er alles in der guten Marianne sieht, es ist erstaunlich! Wenn sie käme and sich unserm Philipp gleich an den Hals würfe,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_509.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2016)