Seite:Die Gartenlaube (1854) 521.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

No. 44. 1854.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Kopf und Herz.
(Schluß.)


„Susanne, mir scheint, daß mein Kopfputz nicht ganz in Ordnung ist – die Locken sind zu nachlässig geformt.“

Sie warf sich in einen Sessel, und die erstaunte Kammerfrau, die an dem Haarputze durchaus keine Unordnung sah, ließ noch einmal das glänzende, volle Haar durch ihre Finger gleiten. Dann mußte sie eine goldene Nadel darin befestigen. Franziska erhob sich und warf einen Blick in den Spiegel.

„Wie steht mir dieses dunkle Kleid, Susanne?“ fragte sie.

„Es ist zwar einfach, gnädiges Fräulein, aber eben deshalb steht es Ihnen vortrefflich.“

„Gut, so gieb mir einen leichten Shawl.“

Franziska war reizend. Die von der innern Aufregung erzeugte Röthe der Wangen hob die Schönheit ihres Gesichts. Das große blaue Auge schwamm in einem matten Glanze. Der leichte Shawl von dunkelblauer Seide lag nachlässig auf den vollen, runden Schultern, ohne die feine, elastische Taille zu verdecken. Den zarten Fuß schlossen schwarze Atlasstiefelchen mit kleinen Absätzen ein, so daß ihre leichten Schritte fest und keck erklangen. Indem sie den kostbaren Fächer ergriff und den letzten Blick in den Spiegel warf, fragte sie sich unwillkürlich: „Ob er wohl wirklich jener Marianne den Vorzug geben kann? Ob ihn mein Vermögen oder meine Person anzieht?“

Sie erschrak selbst vor dem Eindrucke, den Walther’s Kommen auf ihr ganzen Wesen ausgeübt hatte; aber zu stolz, den wahren Grund ihrer großen Erregtheit anzuerkennen, beschloß sie, um jeden Preis Gleichgültigkeit zu zeigen, um die erlittene Zurücksetzung zu rächen. Wie andre lebende Wesen, so trägt auch die Liebe den Instinkt der Erhaltung in sich selbst. Nicht aus Eitelkeit wünschte Franziska jetzt, daß ihre Toilette nach dem Geschmacke Walther’s sei, sondern um ihn völlig zu besiegen und für immer an sich zu fesseln. Sie fühlte, daß der entscheidendste Augenblick für ihr Leben bevorstand. Sie entließ die Kammerfrau und öffnete sich selbst die Thür des Boudoirs.


VII.

Walther, einfach, aber höchst elegant gekleidet, ging in dem Saale auf und ab, als Franziska eintrat. Nachdem er sich verbeugt, trat er zu ihr und drückte ceremoniell einen Kuß auf ihre Hand. Franziska hatte einen andern Empfang erwartet; aber obgleich Walther nur kalte Artigkeit zeigte, so glaubte sie dennoch ein leises Zittern seiner Hand bemerkt zu haben. Diese Wahrnahme stellte sogleich ihr Betragen fest, und sie setzte voraus, daß Walther zu viel auf ihre Liebe zu ihm bauete, als sich ohne Weiteres reuig zu ihren Füßen niederzuwerfen, und um Verzeihung zu flehen. Mit stolzer Eleganz deutete sie auf einen Sessel, nachdem sie selbst sich niedergelassen. Schweigend erwartete sie von Walther die Einleitung des Gesprächs. Es ist dies eine weibliche Schlauheit, die auch den einfachsten Frauen eigen zu sein pflegt, wenn es sich um die Ergründung eines Herzensgeheimnisses handelt. Und wer hat nicht überhaupt die scheinbare Fassung der Frauen in dem Augenblicke bewundert, wo sie für die geheimen Schätze ihrer Liebe zittern? Wer hat nicht schon Gelegenheit gehabt, ihre Leichtigkeit, ihre Ruhe und Geistesfreiheit in den größten Verlegenheiten des Lebens zu beobachten? Franziska war in diesem Augenblicke stark genug, ihre Leidenschaftlichkeit zu bekämpfen und mit ruhigem Scharfsinne die Logik bei der kritischen Frage anzuwenden, die stets ein Herzensgeheimniß des Mannes eröffnet, der schwach genug ist, ein Weib seiner Ausforschung unterwerfen zu wollen. Und in dieser Absicht war Walther wirklich gekommen, nicht ahnend, daß er sich auf ein gefährliches Unternehmen eingelassen hatte. Sein zärtliches Verhältniß zu Franziska war bisher der Art gewesen, daß er kaum Ansprüche, viel weniger denn Rechte daraus herleiten konnte. Daß er sich von dem armen Fräulein geliebt wußte, war seine ganze Erkenntniß, und ob sich diese Liebe geändert oder nicht, war sein Forschen, von dessen günstigem Resultate die Realisirung eines Planes abhing.

„Ehe ich Ihnen den eigentlichen Zweck meines Besuchs mittheile,“ begann er, „erlauben Sie mir, der Herrin von Adersheim meinen Glückwunsch abzustatten.“

Franziska neigte mit stolzer Nachlässigkeit das lockenumwallte Haupt. Mit einem feinen ironischen Lächeln, wobei sich der ganze Schmelz ihrer Perlenzähne zeigte, antwortete sie: „Die Herrin von Adersheim nimmt diesen Glückwunsch an, mein Herr, obgleich er etwas spät kommt, denn die unvermuthete Erbschaftsgeschichte ist schon so alt, daß man nicht mehr darüber spricht. Und gönnen Sie mir wirklich ein Glück, das ich vielleicht in den Augen gewisser Leute kaum verdiene, so empfangen Sie meinen Dank.“

„Unter Bedingungen soll ich Ihren Dank empfangen!“ sagte Walther ruhig. „Dies läßt mich annehmen, daß Sie in meine Aufrichtigkeit Zweifel setzen. In diesem Falle beklage ich Ihre Unkenntniß mit meinem Charakter, der in jenen Zeiten, wo ein bloßes Zusammensein uns glücklich machte, nicht selten offen und klar vor Ihnen gelegen hat. Außerdem müssen Sie in dem Umstande, daß ich spät komme, meine Uneigennützigkeit erblicken.“

„Das klingt paradox, Herr von Linden.“

„Wie?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_521.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2020)