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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Sonderbar, woher weiß er das Recht?“

„Woher wir’s Alle wissen, Herr Junker;“ antwortete der Schultheiß. „Wie ich hier richte, so steht unser Recht seit vielen Jahren; der Vater lehrt es seinem Sohn und wo wir uns versammeln an der Schranne, da wird’s stets laut gelesen und vor Allem wird gelesen: daß wir freie Bauern sind! Und deshalb – doch die Sonne sinkt, das Gericht muß zu Ende gehen, die Männer Stedingens haben Eure Botschaft vernommen, – Euch soll Antwort werden.“ Der Schultheiß legte nun noch einmal die Fragen des Boten vor und rief dann dem Frohnboten zu, die Stimmen zu sammeln. Währenddem trat der Graf dicht zum Schultheiß heran, bewegt, theilnahmsvoll schilderte er ihm die Gefahr, die über den Häuptern der Stedinger sich zusammenziehe, die täglich wachsende Macht der oldenburgischen Grafen und ihrer Verbündeten; die Macht der Kirche, die Heermacht deutschen Kaisers; doch vergeblich. Der Schultheiß wieß ernst und starr auf das Volk und seinen Stab.

„Was das Volk will, das thut dieser Stab.“

Der Junker versuchte ihn nun zu schrecken: der Schultheiß sei das Haupt der Empörer, ihn würde also auch die fürchterlichste Strafe treffen, doch der Bedrohte meinte: „Mein Haupt steht in Gottes Hand! Falle es, wohin er will. Falle es nur für unser Recht!“

Ehrfurchtsvoll ergriff der Junker des Bauern Hand, er versprach ihm hohe Ehren, Reichthum, den alleinigen Richterstuhl für ihn und seine Erben, doch der Schultheiß meinte:

„Tretet an Euern Platz. Die Umfrage ist geschehen, der Frohnbote kommt.“

In seltsamem Gemisch von Ehrsucht und Zorn, von Liebe und [aus] stolzem Trotze, trat der Junker zurück, während der Frohnbote an die Schranke trat und mit erhobener Stimme rief:

„Auf vorgelegte zwei Fragen haben die Männer des Gaues Steding einmüthig ein Nein zur Antwort gegeben und ist auch nicht ein einziges Ja erfunden worden.“

Der Schultheiß erhob sich, schwenkte seinen Stab und rief: „So schließe ich das Gericht!“

„Verblendete! Unglückliche! Haltet ein, Ihr wißt nicht was Ihr thut!“ rief plötzlich der Junker, getrieben von Mitleid und Sorge, im Gefühle seiner und seiner Verbündeten Macht.

„Ihr habt Euern Bescheid, Herr Junker!“ sprach kurz und ernst der Schultheiß. „Das Gericht ist aus!“ Mit diesen Worten legte er seinen Stab nieder und in der weiten, tiefen Stille hörte man nur den einen Laut, wie der Stab auf den Tisch klopfte.

Nun aber kannte der Junker keinen Halt mehr, er sprang vor, legte die Hand an das Schwert und begann mit lauthindräuendem Tone: „Ihr wollt den Krieg – so habt ihn denn! Und so rufe ich Euch hier Tod und Verder–“ weiter jedoch kam der Junker nicht; die Hand, die das Schwert halb aus der Scheide gezogen, drückte es mechanisch wieder zurück; der Mund mit den dräuenden Worten schloß sich, die Zornesblässe des Gesichtes verwandelte sich in leichtes Roth und die todtblitzenden Augen waren in verklärtem Glanze fest auf ein Mädchen gerichtet, das aus dem nahen Hause trat und rasch nach vorne kommen wollte, aber beim Anblick des Junkers, wie gebannt stehen blieb, leise zitternd die Hand auf das Herz gelegt, über und über roth in jungfräulicher Schaam und die großen, tiefblauen Augen mit Gewalt zu Boden gesenkt.

Es war ein wunderbarer, lebensentscheidender Augenblick für diese beiden jungen Herzen. Es giebt eine Liebe, die zücket urplötzlich durch die Seelen, urplötzlich zündend, um im Zünden zu tödten oder zu erlöschen; es giebt eine andere Liebe, die flammt mit düsterrothem Schein wie ein Nordlicht, sie erhellt ohne zu erwärmen; dann giebt es eine Liebe, die steigt auf wie die Sonne, wie die Sonne hinter den Bergen, allmälig, aber immer schöner und klarer; und wieder giebt es eine Liebe, die ist wie die Sonne des Südens auf dem weiten Ozean: sie ist da, auf einmal; ganz und voll, in höchster Klarheit und blendendstem Glanze. Solch eine Liebe war es, die hier auf einmal aufging in Hoheit und Größe! In derem Glanze der Graf und das Bauernmädchen sich fanden und banden; sich verschmolzen zu Einer Liebe, zu Einem Wesen, Einem Herzen! – Sich fanden, ehe sie es wußten, ahneten, ehe sie wußten was Liebe sei. Aber nur zwei von Allen hatten dies erkannt, wenn auch nicht in voller Bedeutung des Augenblicks, so doch mit tiefem Blick in den geheimen Prozeß, den die Natur hier spielte; der Eine weil er haßte, der Andere weil er liebte.

Der Eine war der Klaus vom Ipenhof, der Andere ein junger Bauer, Kurt vom Bühel. Wie Jener den Junker haßte, so liebte Dieser das Mädchen und mit Einem Blicke hatten sich beide Männer verstanden, mit einem Blicke dämonischer Gluth.

Der Schultheiß aber ging dem Mädchen entgegen und sagte: „Du kommst zu guter Stunde.“ Dann führte er das Mädchen dem Junker zu und nannte sie ihm als seine Tochter Elsbeth. Der Junker schwieg, das Mädchen auch und der Schultheiß sagte: „Der Feind bleibt draußen – der Gast soll mir hoch willkommen sein in meinem Hause. Wollt Ihr des Bauern Haus mit Eurer Gegenwart beehren?“

„Gern, gern!“ rief der Junker.

„So gieb dem Junker nach altem Brauch den Gastkuß, Elsbeth,“ mahnte der Vater; aber das Mädchen floh auf einmal wie ein angeschossenes Reh von dannen und während Alle ihr staunend nachschauten, flüsterten Klaus und Kurt sich zu, mit bebendem Munde und unheimlichen Blicken.

(Fortsetzung folgt.)




Die englisch-französischen Generale im Orient.

„Ich male keinen Engländer!“ lautete die von patriotischem Hasse eingegebene Antwort des Malers David, als nach dem Einzuge der Verbündeten in Paris der Herzog von Wellington sein Portrait von der Hand des berühmten Künstlers wünschte. Und dieser Haß war nicht etwa nur dem Künstler, war nicht blos dieser oder jener Klasse der Franzosen eigen, nein er nagte am ganzen Volke, und von allen ihren Besiegern wählten sich die Franzosen gerade die Engländer zum bittern Hasse aus. Der Haß zwischen beiden Nationen war übrigens seit vielen Jahrhunderten traditionell geworden, … Waterloo und St. Helena verliehen ihm aber neue Nahrung, und wenn später auch in uns noch nicht zu fern liegender Zeit viel von dem „herzlichen Einverständniß“ zwischen England und Frankreich gesprochen wurde, so dauerte doch die Abneigung der Einen gegen die Andern nicht minder fort.

Erst die jüngste Zeit gewährt uns das außerordentliche Schauspiel einer englisch-französischen Kriegsallianz, des Fraternisirens alter Feinde, wobei es scheint, als sollten alle störenden Erinnerungen früherer Zeiten für immer begraben sein; denn wenn Lord Raglan, der im Jahre 1815 bei Waterloo die Franzosen mitbekämpfte, und mehrere Decennien lang die Feier dieses Siegestages in London nie versäumte, vor einigen Monaten nebst seinen Begleitern enthusiastisch in Paris begrüßt wurde, so müssen die Franzosen allerdings viel vergessen haben. Gewiß muß es aber Vielen von ihnen wie ein Traum vorkommen, daß die englischen Nationalmelodien: „God save the queen“ und: „Rule Britannia“ unter das Repertorium der französischen Militärmusik aufgenommen worden sind.

Heute, wo wir dieses schreiben, haben die Soldaten Englands und Frankreichs bereits gemeinschaftlich die Schlacht an der Alma geschlagen, und betreiben eben jetzt im Verein die Belagerung von Sebastopol, so daß ihr Bündniß auf dem Schlachtfelde geweiht worden. Aus dem glänzenden Reigen ihrer Führer hat aber zugleich auch schon der Tod Einen herausgerissen, Einen der Sechste, die unser heutiges Bild den Lesern vorführt.

Leroy de St. Arnaud stammt aus einer angesehenen Bürgerfamilie zu Paris, wo er auch im Jahre 1801 geboren wurde. Er trat 1816 in die königl. Leibgarde, verließ aber bald darauf den aktiven Dienst und wendete sich erst 1831 der militärischen Laufbahn wieder zu. Nach kurzer Zeit erhielt er das Lieutenantsportepée, zwanzig Jahre später wurde ihm der Marschallrang zu Theil, ein Avancement, so schnell wie es gegenwärtig sonst in keiner andern Armee stattfindet. St. Arnaud durchschritt in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_536.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)