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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Thürme von Oldenburg; Morgens kann man auch das Schloß sehen, wenn die Sonne recht hell scheint. Dort wohnt Er.“

Sie saß da und sprach so, wie der Kurt sie dem Junker geschildert hatte; blaß, weich und still wie eine Märtyrerin und hoffend, noch über die Hoffnung hinaus.

„Nicht, daß ich sein Weib werde, das wäre zu viel gehofft, doch daß er mich noch lieb hat, das glaub’ ich fest und das ist mir genug;“ so antwortete sie jetzt der abwehrenden Freundin und dann schaute sie wieder hinaus in den Abendduft, nach den Thürmen Oldenburgs und auf die Landstraße; dorther mußte ja der Kurt kommen, kommen mit der Gewißheit, ob er sie noch liebe. Und da wirbelte Staub auf und es kam näher, ein Wagen, zwei Pferde, der Kurt und ein Mann im Reitermantel ihm zur Seite; das war Er! Das mußte Er sein! So dachte, zitterte, schrie das Mädchen und konnte sich kaum aufrecht halten und wunderbar verklärt sah sie aus im Glanze der untergehenden Sonne. Aber Margareth hatte schon erkannt, daß Er’s nicht war, da schwankte das Mädchen, wie eine bleiche Lilie auf dem schwanken Schafte im Winde. Die Männer stiegen aus, der Kurt voran.

„Lebt er?“ rief Elsbeth ihm entgegen.

„Er lebt!“ rief Kurt.

„Gott sei gedankt!“ mit diesen Worten faltete Elsbeth die Hände. Kurt stand nun vor ihr mit todesbleichem Gesicht.

„Und – – – ko– kommt – Er?“ so fragte Elsbeth leise, zitternd, und schloß die Augen, weil ihr bangte vor der Antwort.

„Er kommt!“ sagte Kurt und konnte nicht weiter.

„Er kommt!“ lispelte sie in namenloser Seligkeit.

„Er kommt als Feind gegen Steding! Er kommt mit dem rothen Kreuze des Kriegsheers, das uns als Ketzer vernichten wird;“ so brauste jetzt Kurt heraus; da brachen Sinne und Glieder des Mädchens in Ohnmacht zusammen.

Der Priester war währenddem herangetreten und er, Kurt und Margarethe trugen die schwer sich Erholende hinunter in’s Dorf, in das Haus des Vaters. Dort blieb sie unter dem Schutze der Frau, während der Kurt Alle hinauf beschied zum düstern Platz unter der Esche, als einzig würdig der Stelle, zu dem was er zu sagen habe. Die Bauern waren von den Feldern zurückgekommen, Andere, von weiter her, und die Schöffen waren schon da, weil morgen großer Landthing gehalten werden sollte, zu Ehren des St. Johannisfestes und so waren denn die besten Männer bald alle versammelt. Der Kurt trat unter sie und sprach: „Ihr seid Männer, da braucht’s keines Breies drum: Wir sind verloren!“

„Das ist viel auf Einen Schlag: kurz und bündig. Erkläre.“ So sprach der Schultheiß, fest und ruhig.

„Das kann der Pater besser als ich, den hab’ ich mitgebracht, als Einen der unsern wieder. Der mag erzählen.“

Und der Pater erzählte, alles was er wußte und kein Jota weniger und das Verderben stand lebendig vor aller Augen. Aber kein Glied rührte sich; keine Miene zuckte; kein Roth wurde blässer; kein Wort vernahm man, als das des Klaus vom Ipenhof: „Gott sei’s gedankt! Nun gilt’s! Nun kämpfen Hölle und Himmel um uns.“

„Schweige, Klaus!“ rief streng der Schultheiß; „erst Rath, dann That; Schöffe Enno von Waldhalden, was meint Ihr?“

Der Schöffe Enno trat hervor und meinte: „Was dünkt Euch, wenn wir den Bluthunden das Nest räumten? Unsere Schiffe liegen auf der Weser und in den Sümpfen. Diese Nacht packen wir das Beste ein, Kurt kennt das Fahrwasser, die Fackel werfen wir in Aecker, Häuser, Scheunen, und suchen ein Land, wo wir uns neu anbauen.“

Es blieb Alles unbewegt und stumm wie vorher. Man sah Detmar von Dieke an die Stelle des Enno treten und hörte ihn also sprechen: „Nimmermehr! Jedem Volk ist seine Grenze gesetzt von Gott, die soll es schützen und nicht überschreiten. Niemand nähme uns auch auf, weil wir im Bann sind. Seeraub müßte uns nähren und wir müßten ein Land mit dem Schwerte gewinnen. Unrecht leiden, aber nicht Unrecht thun. So sagt der alte Detmar.“

Ein ruhiges Gemurmel des Beifalls ging durch den weiten Männerkreis. Der Schultheiß trat vor: „Auch ich mag das Land nicht lassen, wo ich geboren bin. Ich liebe dies Land wie meine Seele und will begraben sein, wo ich gekämpft habe.“

Ein „Hoch dem Schultheiß!“ rang sich jetzt los aus der Menge und der Enno von Waldhalden rief mit.

„Also wehren wir uns auf Leben und Tod!“ rief der Klaus mit funkelnden Augen.

„Auf Leben und Tod!“ rief der Schultheiß, rief jeder Schöffe und jeder Mann, der dort stand auf Altenesch.

„Aber unsere Weiber?“ fragte Enno.

„Die helfen uns kämpfen und sterben mit uns!“ jauchzte der Klaus.

„Und wenn sie über die Sümpfe sind?“ rief Detmar von Dieke.

„So stehen wir bis auf den letzten Mann und Der fällt und ruft im Fallen: „Es lebe das Recht!“ so flammte es empor aus der Brust des dämonisch ergriffenen Klaus.

„Ist das Euer aller Meinung?!“ So donnerte nun der Schultheiß hin, daß jeder Mann ihn deutlich verstehen konnte und ein gewaltiges „Ja!“ aus aller Munde rauschte durch den goldenen Abend, hinab von der Höhe durch das Thal.

„So helfe uns Gott! So spreche ich Amen!“ sprach nun feierlich der Schultheiß, indem er sein Haupt entblößte und so erscholl denn auch hier ein weites, feierliches Amen. „Und nun gehe Jeder in seine Kundschaft und künde den Beschluß dem Nachbar an. Morgen bei Sonnenaufgang soll ein Jeder gewappnet sein, gewaltig nach seiner Macht. Dann halten wir unsere letzte Landsprache, damit keine ungesühnte Feindschaft und Klage mit uns in’s Grab gehe. Du Kurt, sammelst Deine Seefahrer und besetzest den Norderteich schon nach Mitternacht. Wir schwören einen Eid, daß Keiner sich entziehen will dem Tode für die heimathliche Erde.“ So sprach der Schultheiß mit männlicher Würde und wendete sich dann zum seitabstehenden Pater: „Und Ihr, ehrwürdiger Herr! da Ihr wieder zu uns gekommen seid! Wollt Ihr den Geächteten noch einmal das Wort Gottes lesen? Noch einmal das heilige Mahl ihnen reichen? Noch einmal den heiligen Glockenklang durch unser Land ertönen lassen und so von uns heben des Herrn Fluch und uns bezeugen, daß wir kämpfen im Recht?“

„Ich will’s! Ich will’s! Und stände mein Leben darauf!“ rief begeistert, fast verklärt der Priester.

„Ihr Männer Stedingens: seid Ihr gewillt und bereit, daß der Priester thue wie ich gesagt? Wer da nicht will, der gehe von fernen.“ Doch Niemand ging als der Klaus, vor sich hinmurmelnd: „Ich will keine Gnade, wo ich nicht gesündigt.“

Der Priester erhob nun die Hände, segnete und betete dann mit tiefklingender Stimme ein Vaterunser. Dann ladete er zum letzten Kirchgang ein, bei Sonnenaufgang am nächsten Tage. – Lautlos gingen die Männer auseinander, nur der Schultheiß blieb noch zurück mit dem Pater; da kam weinend die Margareth und sagte, daß Elsbeth schlafe, aber elend, todeselend sei.

Der Pater ergriff des trauernden Schultheiß Hand und sagte: „Schultheiß, Ihr thatet doch ein Unrecht, daß Ihr das zugabt. Wie konntet Ihr’s für möglich halten: Graf und Bäuerin?!“

„Ich träumte die Zukunft schon zu nahe, Pater. Seht, einst muß es doch dazu kommen, daß das Blut braver Menschen sich nicht mehr so scheidet. Und ich trauete auch zu viel! Und ich hatte ihn so lieb. – Und ich dachte auch: Sie ist so schön wie er; und so jung, so keusch und rein wie er; sie ist die Tochter eines freien Mannes; Erbin auf ihrer freien Scholle. Sie hat noch mehr des Goldes und Silbers in ihrer Truhe als er, und – doch! Nun, es war zu weit, zu – zu gut gedacht; aber kein Unrecht.“ Er sah so weich und gerührt, so fromm und einfältig aus, der alte, eiserne, brave Bauer als er so sprach, als er eine Thräne in den Wimpern zerdrückte.

Der Pater sah gerührt ihn an. Das Abendroth legte sich seltsam um die beiden schneeweißen Männer unter der riesigen, oben noch grünen und unten schon leuchtenden Esche. Friede ruhte all überall, die Grillen fangen und die Lindenblüthen gaben weit hin ihren Duft. Schweigend schritten die Männer den Hügel hinunter; sie mußten an der Linde des Gerichts vorbei, der Schultheiß trat hinzu und sprach leise: „Still wie da Außen wird’s in mir. Mein Leben ist ausgelebt. Kein fröhlich Loos war mir beschieden. Das Volk, das ich vierzig Jahre geweidet habe, führe ich in den Tod. Vater, Dein Wille geschehe! Ich will mein graues Haupt neigen in Demuth und den Todesstoß abwarten in starkmuthiger Geduld.“



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