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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

in die Welt hinaus. Ein ganz unbeschreibliches Gemisch von Schlauheit, Dreistigkeit, Humor und Griesgrämlichkeit lag in dem Ausdruck dieser Augen. Die kleine niedere Stirn war durch eine breite klaffende Narbe, die sich über die Nase bis weit auf die Backen hinabzog, in zwei Hälften getheilt. Auf diesem Kopfe balancirte, weit auf das Hintertheil gesetzt, ein kleines Käppi, wie es die französische Infanterie trägt, während ein ungemein mitgenommener blauer Uniformsrock der Legion, dessen rothe Franzenepaulettes auf den Schultern nur noch einzelne wenige Franzen aufzuweisen hatten, den dicken und starken Oberkörper umschloß.

Da es bei dem beständigen Felddienst der Compagnie in dem abgelegendsten Theil von Algerien nicht sehr genau mit der reglementsmäßigen Uniformirung der einzelnen Soldaten genommen wird, so hatte Jean Piccolo auch mehrere Veränderungen, wie Bequemlichkeit oder Phantasie ihm solche eingab, bei seinem Anzug sich erlaubt. So trug er um den Leib als Gürtel einen rothen, türkischen Shawl, der einst gewiß einem vornehmen arabischen Scheik gehört und großen Werthe gehabt hatte, jetzt aber schon ungemein schmierig und defekt aussah. Er nannte diesen Gürtel seinen „Magentröster“ oder „Seelenzusammenhalter“ und war ungemein stolz auf den Besitz desselben. Seine im Verhältniß zu der Breite des Oberkörpers nur dünnen und auch sehr kurzen Beine steckten in den Pantalons, wie sie die Fremdenlegion trägt. Aus eigner Machtvollkommenheit hatte er sich aber ein paar Stulpstiefel, die er Gott weiß irgendwo aufgegabelt, zugelegt, und trug diese gewöhnlich bis auf das Knie heraufgezogen. Eine riesig große Branntweinflasche aus einem Flaschenkürbis geschnitzt, hing an einer Schnur ihm über die Schulter, wie auch aus seinem Gürtel der Knauf einer alten, sehr langen Reiterpistole herausschaute.

Seitengewehr und Trommel trug er auf die gewöhnliche Art der Tamboure. Auf Letzterer war übrigens Jean Piccolo in seincr Art ein Virtuose, und so viele Tamboure der schönsten Regimenter in fast ganz Europa ich auch schon schlagen hörte, so hörte ich doch nie so kraftvolle und dabei wirklich kunstfertig geschlagene Wirbel wie von ihm. Seine übermäßig langen Arme mit den breiten knochigen Pratzen daran, schienen wirklich aus Stahlfedern zu bestehen, mit solcher Kraft und Ausdauer führten sie die Schlägel. Ganze Stunden lang auf dem Marsche, Berg auf, Berg ab, in der glühendsten Hitze, konnte er forttrommeln und wirbeln, wenn man ihm einige Litre Wein als Extrabelohnung dafür versprach, ohne daß man ihm eine Ermüdung nur im Mindesten anmerkte.

Es ist faktisch, daß Jean Piccolo einst eine Wette eingegangen war, die drei Tamboure einer französischen Grenadier-Compagnie unmittelbar nach einander müde zu trommeln, und nach mehrstündigem heißen Kampfe als vollständiger Sieger aus demselben hervorging. Seine Freude darüber, gerade die übermüthgen Franzosen auf solche Weise geschlagen zu haben, war sehr groß, denn obschon Jean Piccolo nun schon an ein Dutzend Jahre unter der Trikolorfahne trommelte, war er doch der größte Franzosenfeind, der mir jemals vorgekommen ist. Nichts, aber auch gar nichts war seiner Ansicht nach bei den Franzosen gut, alles mögliche Schlechte aber bei ihnen in Hülle und Fülle vereinigt. Grade seiner Franzosenfeindschaft wegen hatte er schon zahllose Streitigkeiten und Raufereien aller Art, und wie es sich gehörte, auch nicht geringe Strafen gehabt, war aber natürlich nicht im Mindesten dadurch geheilt worden. Dabei hatte er sich aber stets vortrefflich für die französische Sache in Algerien geschlagen und mehrfach Verleitungen zur Desertion entschieden abgewiesen. Ueber seine große Bravour und Kaltblütigkeit im Gefecht war nur eine Stimme in der ganzen Compagnie, und wenn nicht sein unbesiegbarer Hang zu Liederlichkeiten aller Art und besonders zur Trunkenheit hindernd dazwischen getreten, hätte man Jean am Ende doch zum Avancement vorgeschlagen.

Unter den vielen Geschichten, die von dem Muthe dieses kleinen häßlichen Tambours circulirten, war besonders die merkwürdig, daß er sich einmal ganz allein mit Erfolg gegen drei beduinische Reiter, die ihn attaquirten, vertheidigte. Er hat stets mit seiner Trommel solchen Lärm gemacht, daß die Pferde der Reiter davor zurückscheuten und sich dieselben ihm nicht nähern konnten. Endlich hat er als letztes Rettungsmittel einem Pferde seine Trommel mit solcher Gewalt an den Kopf geworfen, daß das Thier zurückbäumte und sich mit seinem Reiter überschlug, während Jean rasch seine Pistole aus dem Gürtel zog und damit einen andern Beduinen verwundete, worauf denn alle Drei den Kampf aufgaben, und dem kleinen heldenmüthigen Tambour erlaubten, sich zu retten.

Eine andere Erzählung war, daß derselbe einst mit einem riesigen Kabylen in ein persönliches Handgemenge gerathen sei. Die beiden wüthenden Gegner haben sich ineinander gefaßt und Jeder hat den Andern zu Boden zu werfen versucht. Bei diesem wilden Geringe sind Beide aber ausgeglitten und einen ziemlich steilen und steinigen Felsabhang hinunter gepurzelt. Obgleich arg zerschlagen und zerquetscht, haben Beide, unten angekommen, sich doch nicht losgelassen, sondern in ihrer wilden Wuth zuletzt förmlich wie ein paar Bulldoggen in einander verbissen, in welcher Lage sie endlich von anderen Soldaten der Fremdenlegion aufgefunden worden sind. Die spitzen Zähne des Kabylen haben sich tief in die eine Backe des Jean Piccolo eingegraben gehabt, und noch jetzt konnte man die Narben davon deutlich erkennen, was gerade nicht zur Erhöhung seiner körperlichen Schönheit mit beitrug.

Aber nicht allein gegen Kabylen, Hajuten und Beduinen mochte er sich schlagen; auch mit manchen Grenadieren seiner Compagnie hatte er gar viele Feindseligkeiten. Besonders ein großer Normanne mit dem Beinamen „Robert le diable“ war der erklärte Feind von Jean Piccolo. So klein und häßlich wie Jean, eben so schön und stattlich war dieser Robert. Von mehr als gewöhnlicher Größe, dabei ganz ebenmäßig gewachsen, mit einem regelmäßigen Gesicht, was durch einen prächtigen Schnurr- und Knebelbart geziert war, fehlte diesem Grenadier wirklich kein äußerlicher Vorzug, um für einen ausgezeichnet schönen Soldaten, der in der auserlesensten Gardetruppe selbst Aufsehen gemacht hätte, zu gelten. In seinen dunkeln Augen blitzte Muth und Feuer, zugleich aber auch Roheit, ja selbst Grausamkeit. Wegen letzterer, die er besonders auch oft auf empörende Weise an den Feinden, denen er nie Pardon gab, ausgeübt haben soll, hatte dieser Normanne auch den Beinamen Robert le diable in der Compagnie erhalten und sein ganzes Verhalten soll auch denselben vollkommen gerechtfertigt haben. Schon mehrfach wegen seines Muthes im Gefecht und seiner sonstigen militairischen Brauchbarkeit zum Korporal befördert, hat man ihn seiner Grausamkeit, Roheit und Trunksucht wegen stets wieder die Galons nehmen müssen, und der Capitain seiner Compagnie sagte mir, daß er die feste Ueberzeugung habe, dieser sonst so sittliche und auch muthige Soldat werde sein Leben wahrscheinlich im Bagno von Toulon beschließen. Robert und Jean haßten sich nun gegenseitig wie sich nur zwei Männer hassen können und versäumten gewiß keine Gelegenheit, diesen Haß durch Worte und wo sie auch nur konnten durch Thaten Luft zu machen. Wiederholt schon hatten sie sich mit ihren kurzen Seitengewehren, wie sie die französischen Grenadiere tragen, gegenübergestanden und in wüthenden Zweikämpfen ihrem gegenseitigen Haß Luft gemacht. Beide waren aber gleich muthige, gewandte und starke Fechter und wenn auch Jean durch seine Kleinheit im bedeutenden Nachtheil war, so soll er dies durch eine katzenartige Schnelligkeit und Gewandtheit stets wieder ausgeglichen haben. Ein ganz eigenthümliches Schauspiel mögen aber diese wüthenden Zweikämpfe des riesigen Grenadiers mit dem gnomenartigen Tambour stets abgegeben haben. Jetzt wo wegen des letzten Zweikampfes jeder mit vierzehn Tagen strengem Arrest bestraft worden war, gingen sie wie zwei bissige Hunde zähnefletschend und zürnend neben einander herum und versäumten gewiß keine Gelegenheit, sich wenigstens durch höhnische Worte und spöttische Redensarten zu reizen und zu kränken, da es ihnen auf andere Weise streng untersagt war. Hatte Jean Piccolo noch so lange kunstvolle Wirbel auf seiner Trommel geschlagen und wirklich das Mögliche an Ausdauer und Geschicklichkeit hierin geleistet, dann stichelte Robert le diable gewiß darüber und meinte, bei ihm zu Hause verständen die Knaben, die mit Grenadiermützen von Zuckerpapier auf dem Kopf Soldat spielten, schon besser die Trommel zu rühren[WS 1]; und umgekehrt wieder verglich Jean Piccolo den Gesang seines Nebenbuhlers, der wirklich eine recht gute Stimme hatte und es liebte, am Abend bei den nächtlichen Bivouakfeuern, die mit Myrthenholz genährt wurden, seine Chansons und Couplets vorzutragen, mit dem Krähen eines Hahnes oder dem Miauen einer Katze. Hatte der Grenadier ein kriegerisches Lied mit vielem Pathos vorgetragen, sogleich parodirte sein unermüdlicher Quälgeist ihn wieder und that dies mit solchem Geschick und so viel

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: rühmen
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_578.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)