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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

gelang, die Wüthenden wieder auseinander zu bringen. Ein Dutzend leicht und schwer Verwundete, unter denen Einige später sogar noch gestorben sein sollen, bedeckte von beiden Seiten den Kampfplatz. Unter den heftigsten Kämpfern zeichnete sich wie immer bei solchen Gelegenheiten auch dieses Mal wieder Jean Piccolo am Meisten aus, der nicht allein die Ungebühr, die seinem Freunde Cäsar le grand widerfahren war, rächen mußte, sondern auch gewiß keine Gelegenheit vorbeigehen lassen konnte, wo er seinem Zorn gegen die nationalfranzösischen Regimenter Luft zu machen sich Gelegenheit verschaffte. Sein Kampfeseifer ward aber mit einem 14tägigen strengen Arrest belohnt, eine Strafe, an die unser Tambour schon viel zu sehr gewöhnt war, als daß sie ihn besonders aus der Fassung gebracht hätte.

Ein anderer vierfüßiger Freund, den unser Jean in der Compagnie hatte, war Monsieur Robineau, so hatten die Grenadiere den alten, dummen, einäugigen und einohrigen Maulesel, den ihr Capitain häufig auf dem Marsche ritt, getauft. Dieser Maulesel war unbedingt das häßlichste, dabei aber auch das ausdauerndste Thier seiner ganzen Gattung, was man nur finden konnte. Hunger und Durst, die angestrengtesten Märsche bei glühendster Sonnenhitze über die steilen Schieferberge des Atlasgebirges oder durch den Sand der Wüste, Alles glitt spurlos an ihm vorüber. Den Kopf gesenkt, und mit dem haarlosen Schweif hin und her wedelnd, trabte er unermüdlich fort, mochte der Marsch auch noch so lang und beschwerlich sein. Wehe dem Soldaten aber, der sich unbesorgt ihm nähern wollte, er erhielt gewiß einen Hufschlag je nach Umständen mit den Hinter- oder Vorderfüßen für diesen Versuch. Denn außer seinem Herrn und dem Bedienten desselben, einem alten Neger, litt Monsieur Robineau nur die Annäherung von Jean Piccolo. Diesem folgte er aber mit der Anhänglichkeit eines Hundes, und wenn der Maulesel auf der Weide war, so brauchte der Tambour nur auf den Fingern zu pfeifen und das Thier kam gewiß angetrabt, um sich satteln und zäumen zu lassen. Von der Klugheit und dem Muthe dieses Esels, der Aug’ und Ohr übrigens schon im Kampfe verloren hatte, wußten die Grenadiere gar viele Geschichten zu erzählen, die wirklich oft an das Fabelhafte grenzten, obgleich ihre Glaubwürdigkeit mir von mehrfachen Seiten versichert ward. So war derselbe einst bei einem nächtlichen Ueberfall von den Beduinen erbeutet worden und mehrere Tage fort gewesen, bis er zur Freude der ganzen Compagnie, die den Maulesel trotz seiner vielen Tücken doch gerne leiden mochte, ganz plötzlich wieder bei den Vorposten erschien, und mit allgemeinem Jubel empfangen ward. Er hatte sich, wie man zu sagen pflegt, selbst ranzionirt, und mit einem für einen Esel wirklich sehr achtbaren Instinkt den Weg zu seiner Compagnie allein zurückgefunden. Auch einen in den Annalen der Compagnie berühmten Kampf mit einer hungrigen Hyäne, die ihn des Nachts auf der Weide angegriffen, hatte Monsieur Robineau einst siegreich bestanden. Man fand das Thier am anderen Morgen ganz lahm auf dem Platze liegen, solch’ kräftige Hufschläge mit den Hinterfüßen hatte ihm der Esel versetzt. Die Grenadiere hatten daher ihm, wie auch dem Hunde Cäsar le grand, einen Orden zuerkannt, den Beide bei besonders festlichen Gelegenheiten an einem rothen Bande um den Hals trugen. Für gewöhnlich hatte Jean Piccolo diese aus glänzenden Messingkreuzen bestehenden Ordensdekorationen seiner beiden vierfüßigen Freunde in Verwahrung.

Wie das frühere Leben des Tambours, bevor er zur Legion trat, so war auch sein Geburtsland ein Geheimniß, dessen Schleier noch kein Grenadier je ganz gelüftet hatte. Daß er ein Deutscher war und auch früher schon, bevor er zur Fremdenlegion kam, irgendwo als Trommelschläger gedient haben müsse, war bekannt, und wurde auch von dem Betreffenden selbst niemals ganz geläugnet, in welchem Vaterländchen unseres Vaterlandes unser Held aber zur Welt gekommen und für welche Herrscher er früher schon die Trommel gerührt hatte, wußte Niemand in der ganzen Compagnie anzugeben. Der Tambour mußte irgendwie einen Grund haben, seine früheren Schicksale geheim zu halten, oder vielleicht machte es ihm auch nur Vergnügen, die Neugierde seiner Kameraden zu reizen; denn wenn er, wie häufig geschah, nach Geburtsland und früheres Leben gefragt wurde, vergnügte er sich, dem Fragenden allerlei Unsinn mit der ernsthaftesten Miene und dem treuherzigsten Gesicht von der Welt aufzubinden. Er erzählte dann oft mit pathetischer Wichtigkeit, er wolle seinen treuen Kameraden es jetzt nicht länger vorenthalten, daß er von echt prinzlichem Geblüte und der älteste Sohn eines mächtigen deutschen Fürsten sei, und schon als Knabe das Leibgarde-Grenadier-Füsselier-Regiment seines Vaters, was 17 Gemeine und 13 Offiziere stark wäre, befehligt habe. Nur die Liebe habe ihm, den Erbprinzen, in seine jetzige, für seine Geburt so unwürdige Stellung gebracht. Sein Vater habe ihn nämlich aus Standesrücksichten mit einer alten reichen aber sehr häßlichen Prinzessin verheirathen wollen, während sein Herz für ein bildschönes Müllermädel geschlagen. Da der hartherzige Vater seinen Bitten nicht nachgegeben, so habe er sich endlich auf das Auskratzen gelegt, sei den 21/4 Husaren, aus denen die ganze hochfürstliche Reiterei bestanden, die man zum Nachsetzen geschickt, glücklich entwischt, und so endlich Tambour in der „sakrischen französischen Republik“ wie Jean sich stets ausdrückte, geworden. Wenn er diese Erzählung in seinem Kauderwelsch unter dem schallenden Gelächter der Grenadiere vorgetragen hatte, so schloß er dieselbe stets mit den Worten: „Und nun Kameraden seid dankbar für die hohe Ehre, daß Ihr selbst einen Fürstensohn zum Tambour habt, und zahlt mir eine Chopine: „Allons buvons une chopine.“

Sein Feind und Nebenbuhler Robert le diable wollte übrigens in Erfahrung gebracht haben, Jean Piccolo sei das hinter der Hecke zur Welt gekommene Kind einer Landstreicherfamilie und früher seiner Häßlichkeit wegen in einem Menageriekäfig als Bastard von einem Affen und einem Negermädchen für Geld gezeigt worden. Wüthende Kämpfe hat übrigens diese spöttische Angabe des eifersüchtigen Grenadiers wiederholt hervorgerufen. Uebrigens wich der Tambour selbst meinem Fragen nach seiner Heimath mit großer diplomatischer Geschicklichkeit aus, obgleich ich selbst bei ihm in hohem Ansehen stand, da ich seine Dienstleistungen für mich und mein Pferd, so lange ich mich bei der Compagnie befand, sehr reichlich bezahlte und seine ewig durstige Kehle überdies mit manchem Extra-Schoppen Wein regalirte.

Jetzt ist Jean Piccolo der lustige Tambour der Grenadiere der Fremdenlegion nicht mehr am Leben; denn eine Kugel eines Kabylen gab ihm bei einem Gefechte den Tod. Lustig und unverzagt, wie er stets gelebt, soll der kleine Kerl auch gestorben sein. Als ihm der Chirurgier-Major achselzuckend gesagt hatte, es sei für ihn keine Rettung mehr zu hoffen, so ließ Jean sein gewöhnliches „Allons camerades, buvons encore une chopine“ noch einmal hören. Eine große Kürbißflasche setzte er dann an die Lippen, leerte sie mit seinen langen Zügen bis auf den Grund, strich sich dann seinen Schnurrbart und sagte:

„Adieu, Cameraden, lange wird es nicht mehr dauern, bis mir der letzte Appell getrommelt wird.“

Dann hat er sich umgedreht, sich noch einige Mal gereckt und gestreckt und ist eine Leiche gewesen. So leicht wird sein Andenken in der Compagnie, in der er gestanden, nicht erlöschen, und noch gar oft werden die alten Grenadiere derselben sich bei ihren flammenden Bivouakfeuern in den Schluchten der Krim von den vielen Streichen Jean Piccolo’s, ihres lustigen Tambours, zu erzählen wissen.

J. v. Wickede. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_580.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)