Seite:Die Gartenlaube (1854) 590.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

empfängliche Gemüth seines Neffen kannte, ließ ihn eine Zeit lang in dem stummen Anschauen der herrlichen Abendlandschaft, dann forderte er ihn lächelnd zum Weitergehen auf. Ueber eine Holzbrücke, welche die bebüschten Ufer eines Baches verband, kam man auf den Platz vor dem Schlosse. Eine Menge blühender Hortensien in verwitterten Kübeln umgab wie ein Kranz diesen Platz, dem es anzusehen, daß ihm die sorgende Hand des Gärtners fehlte.

Der Pfarrer trat zu einem offenen Fenster, das sich in der Giebelseite des Erdgeschosses befand.

„Vater Klaus!“ rief er.

Als er noch einmal lauter seinen Ruf wiederholt hatte und keine Antwort erfolgte, sagte er zu dem Neffen:

„Der alte Kastellan befindet sich ohne Zweifel in dem Schlosse, denn ich sehe, daß die Thür angelehnt ist, die zu der Treppe in dem kleinen Thurme führt. Wir werden ihn in den obern Räumen antreffen.“

Beide stiegen eine Wendeltreppe hinan, die sich in einem der Eckthürme emporwand, und nach zwei Minuten betraten sie den gewölbten Corridor, der mit Skulpturarbeit geziert und ausgemalt war. Rechts und links zeigten sich die hohen Flügelthüren, die zu den Gemächern führten. Nachdem der Führer von einem der Fenster aus seinem Gaste eine prachtvolle Fernsicht über das Thal gezeigt und die Fluren angedeutet hatte, welche durch die Verschwendung des letzten Grafen nach und nach in den Besitz reicher Oekonomen und Bauern übergegangen waren, sagte er:

„Wir wollen jetzt die Kapelle in Augenschein nehmen, die sich in diesem Corridor befindet und stets geöffnet ist. Ich verhehle es nicht, daß ich das Kirchlein gern betrete, denn es übt einen wunderbaren Eindruck auf mich aus. Und dieser Ort ist es, dem sich wohl kein zweiter in Deutschland zur Seite stellen läßt. Man sieht, daß ihn alle Grafen von Krayen mit besonderer Vorliebe und Pietät gepflegt haben, er vereinigt heute noch alles Schöne und Großartige, was unser Zeitalter aufzuweisen vermag. Es würde mir Kummer machen, wenn diese alte Behausung einem Besitzer zufiele, der sie nicht zu schätzen wüßte; und doch läßt sich dies fürchten, da der Graf in seinem leichtsinnigen Leben beharrt.“

Am entgegengesetzten Ende des Corridors öffnete der Pastor, der das Innere des Schlosses genau kannte, den schweren Flügel einer Bogenthür. Man trat in eine gewölbte Vorhalle, an deren Wänden einzelne kleine Betstühle standen. Darüber hingen Bildnisse in großen braunen Holzrahmen, alte Grafen von Krayen darstellend. Schweigend betraten die Männer die Schwelle eines Bogens, der sich der Eingangsthür gegenüber befand, und die Kapelle, in magischer Beleuchtung der Abendsonne, lag vor ihnen. Auf dem kleinen, mit einer weißen Decke überhangenen Altare flimmerten zwei silberne Kandelaber, und das einfache Crucifix dazwischen schien von einem Heiligenscheine umgeben zu sein. Darüber wölbten sich zierliche Spitzbogen, von deren Vereinigungspunkte herab eine schwere mit Epheu umwundene Alabasterampel hing. Das Altargemälde, das das volle Licht durch ein gothisches Fenster empfing, mußte von der Hand eines alten Meisters gefertigt sein, denn die Reiterfigur des heiligen Georg, dessen Pferd den Drachen zertritt, schien aus dem schweren Goldrahmen hervortreten zu wollen.

Eine feierlich ernste Stimmung hatte sich Arnold’s bei diesem Anblicke bemächtigt. Schweigend betrachtete er die einzelnen Gegenstände, während der alte Pfarrer sich seiner Ueberraschung freute. Da erklangen plötzlich die Töne der kleinen Orgel, die sich über den Häuptern der beiden Männer befand. Sanft und lieblich zitterten sie durch die Halle.

„Was ist das?“ flüsterte überrascht der Pfarrer.

Arnold hörte die Frage nicht, Auge und Ohr waren dergestalt beschäftigt, daß er die Anwesenheit des Onkels vergaß. Es mußte ein Meister sein, der die Töne dem vortrefflichen Instrumente entlockte. In freier Phantasie entwickelte sich die einfache, innige Melodie, und Arnold, ein Musikkenner, mußte das richtige Fortschreiten der Harmonien bewundern. In der Musik sprach sich bald eine wehmüthige Freude, bald eine innige Andacht aus.

Kaum war der letzte Ton verhallt, als sich das Geräusch von Schritten auf dem kleinen Chore hören ließ. Onkel und Neffe traten tiefer in die Kapelle, und sie sahen zwei Damen langsam die Treppe herabsteigen, die zu dem von braunem Holze erbauten Chore führte. Hinter ihnen erschien Klaus, der alte Kastellan. Die Kapelle sollte diesen Abend Alles vereinigen, was die Bewunderung des Kandidaten erregen konnte. Hatte ihn der Ort schon mit seiner magischen Beleuchtung und die reizende Musik erhoben, so begeisterte ihn jetzt der Anblick der jüngeren Dame, die von der ältern geführt, langsam die letzten Stufen der offenen Treppe herabstieg. Die schlanke, elegante Gestalt war einfach in Weiß gekleidet. Als sie sich wandte, sah Arnold ein wahres Madonnengesicht. Für ihn, den schon begeisterten Kandidaten, schien die Dame in dem stets matter werdenden Schimmer der goldigen Abendsonne von überirdischer Schönheit, ein Engel zu sein. Das waren Züge, wie sie nur die Phantasie eines Malers zu schaffen vermag. Schwere dunkele Locken, die auf schneeweiße Alabasterschultern herabfielen, umwallten ein zartes, fein geschnittenes Mädchenantlitz. Schön geschweifte dunkele Brauen zeigten sich über den langbewimperten Augen, die züchtig zur Erde gesenkt waren. Die blühenden Lippen formten einen reizenden Mund. Eine einfache Goldkette schmückte den zarten Hals. Die rechte Hand des vielleicht zwanzigjährigen Mädchens lag in der ihrer Begleiterin, die linke trug ein Bouquet Rosenknospen, die eine goldene Hülse zusammenhielt.

Die ältere Dame mochte wohl achtundvierzig Jahre zählen; begann auch ihr Haar schon zu bleichen und zeigten sich in dem weißen Gesichte die Spuren des Alters, so verrieth dennoch eine auffallende Aehnlichkeit in den edeln Zügen, daß das junge Mädchen ihre Tochter sei. Mit einer schmerzlichen Freundlichkeit grüßte sie, indem sie an den beiden Männern vorüberging. Die junge Dame neigte lächelnd das Haupt, ohne die Augen aufzuschlagen.

„Guten Abend, Herr Pastor!“ sagte laut der Kastellan, als ob er den Frauen bemerklich machen wollte, wer der alte Herr sei.

Er hatte seinen Zweck erreicht; die Mutter blieb stehen und wandte sich fragend zur Seite:

„Der Herr Pfarrer des Orts?“

Der Greis verneigte sich.

„Pastor Braun!“ fügte er hinzu, sich den Fremden vorstellend.

„Dann preise ich den Zufall, mein Herr, der mich Ihnen entgegenführte. Ich hatte bis jetzt den Vorzug nicht, Sie zu sehen, aber der würdige Pfarrer Braun ist mir dessen ungeachtet nicht fremd. Ich kann mir nicht versagen die Gelegenheit zu benutzen, Ihnen meine Hochachtung auszudrücken.“

Verwundert wiederholte der Pastor seine Verneigung. Mit ruhigem Blicke sah er die Dame prüfend an – er erinnerte sich nicht, ihr je im Leben begegnet zu sein.

„Sie kennen mich nicht,“ fügte sie lächelnd hinzu; „aber wenn Sie mir zu einer kurzen Unterredung in mein Zimmer folgen wollen, wird das Räthsel gelöst sein. Gehen Sie voran, Klaus!“ befahl sie dem Kastellan, einem Manne im hohen Greisenalter.

Die letzten Worte ließen errathen, daß die Dame in Beziehung zu der gräflichen Familie stehen, daß sie ein Recht haben müsse, in dem Schlosse zu gebieten, zumal da der Kastellan ehrerbietig Folge leistete. Nachdem der Pfarrer seine Zustimmung zu erkennen gegeben, verließen die beiden Frauen die Kapelle. Arnold hatte wenig von dieser Unterredung gehört, er war so im Anschauen des reizenden Mädchens versunken gewesen, daß er sich kaum seiner Umgebung noch bewußt war.

„Keine andere als sie,“ dachte er, „kann die Orgel berührt haben, denn dieselbe Anmuth, Lieblichkeit und Andacht, die in den Harmonien lag, drückt sich in diesem Engelsgesichte aus! Sie ist die heilige Cäcilie, die Göttin der Musik!“

„Arnold,“ flüsterte der Onkel dem Neffen zu, „ich kann die Einladung nicht ablehnen – mache einen Spaziergang durch den Park, sobald ich kann, kehre ich zu Dir zurück!“

Man ging so lange auf dem dämmernden Corridore hin, bis der Kastellan eine der Thüren öffnete. Die beiden Damen traten ein, der Pfarrer folgte, und die Thür schloß sich wieder. Arnold befand sich mit dem alten Klaus allein.

„Wer ist die junge Dame?“ fragte er hastig.

„Ich weiß es nicht!“ antwortete der Greis, indem er langsam der Treppe zu ging.

„Und wer ist die ältere?“

Der Kastellan zögerte, es schien als ob er auf eine ausweichende Antwort sänne. Arnold wiederholte seine Frage.

„Sie wird einige Zeit hier wohnen,“ entgegnete endlich der Greis. „Diesen Morgen ist sie mit ihrer Tochter hier angekommen.“

„Woher?“

„Auch das kann ich nicht sagen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_590.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)