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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

– hätte ich ihn in die rechte Bahn geleitet, es wäre heute vielleicht anders. Ich werde meinen Fehler mit Vorsicht verbessern.“

Eine Viertelstunde später hatten sich beide Frauen zur Ruhe begeben. Cäcilie träumte von der Christnacht, während die arme Mutter sich mit der Auffindung der Mittel beschäftigte, die zum Zwecke führen konnten. Nachdem sie den Entschluß gefaßt, die Hülfe des Pastors Braun in Anspruch zu nehmen, entschlief sie.


III.

Zwei Tage später fiel ein Sonntag. Der Nachmittagsgottesdienst war vorbei, und der Pfarrer Braun, der seinem Amte nach Gewohnheit und Pflicht obgelegen hatte, saß mit Arnold in der großen Lindenlaube des Pfarrgartens, wartend des Kaffee’s, den Concordia, seine Tochter, in der Küche zubereitete. Der Greis blies aus einer langen Pfeife dichte Tabackswolken in die laue Luft, ein Genuß, der ihm zur Leidenschaft geworden war.

„Arnold,“ sagte er, „ich habe die gegenwärtige Unterredung bis heute verschoben, damit Du erst ein wenig heimisch in meinem Hause werden solltest. Du bist zwar als Student einmal einige Tage hier gewesen, ich hege aber die Meinung, daß der gesetzte junge Mann die Dinge anders ansieht als der Jüngling, und damals war mein Cordchen nicht zu Hause, die sich bei Amtmanns Hannchen in Z. zum Besuche befand. So höre denn meinen Plan, den ich ersonnen habe, und mit Deiner Hülfe auszuführen gedenke.“

„Mit meiner Hülfe?“ fragte verwundert der Kandidat.

„Ich stand in Deinem Alter,“ begann ruhig der Pastor, „als mich die Gemeinde zu ihrem Pfarrer wählte, und der selige Graf von Krayen, der Patron der Stelle, als solchen bestätigte. Drei Jahre später verheirathete ich mich, und der Himmel segnete meine Ehe, die anfangs unfruchtbar zu bleiben schien, mit einer hoffnungsvollen Tochter. Ich bin nun dreißig Jahre im Amte, und wenn ich mich auch gerade nicht zu schwach fühle dasselbe ferner zu versehen, so veranlassen mich doch zwei Gründe, jetzt meinen Ruhestand vorzubereiten. Erstens gehöre ich noch der alten Welt an, und ein junger kräftiger Mann, der den Anforderungen unserer Zeit wirksamer entspricht, würde besser am Platze sein, als ich; und zweitens will ich bei Zeiten die Zukunft derer gesichert sehen, für die zu sorgen mir die Verpflichtung obliegt, zumal da sich jetzt eine günstige Gelegenheit dazu bietet. Aus diesen Gründen mache ich Dir nun kurz und bündig den Vorschlag: Du wirst sobald als thunlich mein Nachfolger im Amte, heirathest mein Cordchen, und giebst mir und meiner alten Ehehälfte ein Asyl für unser Alter. So, meine ich, ist uns Allen geholfen. Ich habe Dich zu mir eingeladen, damit in der Familie die ersten Schritte unternommen werden konnten. Die Besorgung des Uebrigen ist meine Sache. Nun, Vetter, was meinst Du dazu?“

Arnold sah den Greis verwundert an. Kannte er auch die Herzensgüte desselben, so hatte er doch auf seine Fürsorge in dieser Ausdehnung nie zu hoffen gewagt. Und jetzt, nachdem er den Engel in der Kapelle gesehen, dessen Bild sein ganzes Herz ausfüllte, dessen er mit einer poetischen Begeisterung gedachte – jetzt sollte er sich um die Gunst eines andern Mädchens bewerben, das zwar hübsch, gesund und leidlich gebildet war, aber wenig den Anforderungen entsprach, die sein für ein Ideal schwärmendes Herz an die künftige Lebensgefährtin stellte. Ein Augenblick genügte, um ihm das Peinliche seiner Lage erkennen zu lassen. Durfte er sich dem wackern Greise gegenüber, der so väterlich für ihn gesorgt hatte und jetzt mit der Feststellung seiner ganzen Zukunft beschäftigt war, offen aussprechen? Durfte er dem so vernünftigen und ihn selbst betreffenden Beglückungsplane entgegentreten? Und wenn er es wagte, und den Grund dafür angäbe, was mußte der Greis von seiner seltsamen Schwärmerei denken? Wie mußte er seinem Wohlthäter erscheinen? Arnold war einer der wenigen Männer, in denen Leidenschaften von ungeheurer Tiefe schlummerten, aber zu gewaltig, um bei kleinen Veranlassungen hervorzutreten.

„Bester Onkel,“ antwortete er ruhig, „mit dankbarem Herzen erkenne ich Ihre Güte an; aber wird Concordia, die mich kaum kennt, ohne Opfer zu den Wohlthaten beitragen können, die Sie mir so großmüthig zugedacht? Sie ist ein gutes, lebhaftes Mädchen, und mein Wesen ist so wenig geeignet, rasche Eindrücke zu erzeugen –“

„Daß sie Dich näher kennen lernen muß, um zu entscheiden,“ fiel eifrig der Pastor ein, das erfordert die Billigkeit. Aber ich müßte ein schlechter Menschenkenner sein, wenn ich das Resultat Euerer nähern Bekanntschaft nicht voraussehen sollte. Concordia’s Herz ist noch frei und da sie weiß, daß der Vater nur in ihrem Sinne wählen kann, so wird sie sich bald zu fügen wissen. Schon vor einiger Zeit hat es die Mutter übernommen, sie vorzubereiten.“

„Wie, Condordia weiß bereits darum?“

„Und ich glaube zu bemerken, daß Du einen günstigen Eindruck auf sie ausgeübt hast, denn andernfalls würde ich Dich in das Geheimniß noch nicht eingeweiht haben. Doch still, sie kommt – wir wollen der natürlichen Entwickelung der Dinge nicht vorgreifen.“

Concordia, einen großen Präsentirteller tragend, erschien zwischen den Spalieren der Zwergobstbäume, die an dem Wege standen, und näherte sich rasch der Laube. Sie war einfach sonntäglich geschmückt. Ein rothes Thibetkleid schloß eng die runden, kräftigen Formen ihres kerngesunden Körpers ein. Ihr hellblondes Haar bildete einen starken Flechtenkranz auf dem Haupte. Hochrothe Wangen, helle Augen und kirschrothe Lippen gaben ihrem interessanten Gesichtchen einen Ausdruck großer Lebendigkeit. Alle ihre Bewegungen waren rasch und entschieden. Für einen gewöhnlichen Landgeistlichen würde Concordia eine passende, wünschenswerthe Frau gewesen sein, zumal da sie als Mitgift ein kleines Vermögen und eine einträgliche Pfarre brachte; aber wie wenig konnte sie unserm Arnold genügen, der sein Ideal im Herzen trug! Unwillkürlich stellte er Vergleiche zwischen den beiden Mädchen an, und das Resultat derselben war das Bedauern, daß der Engel aus der Kapelle nicht die Tochter des Pfarrers sei.

Der alte Pfarrer beobachtete schweigend und mit großem Interesse die beiden jungen Leute. Er verschanzte sich hinter einer dichten Rauchwolke, um sein Lächeln zu verbergen. In dem Augenblicke, als Concordia dem Gaste die gefüllte Tasse bot, trafen sich Beider Blicke. Das Roth ihrer Wangen schien sich plötzlich dem ganzen Gesichte mitgetheilt zu haben, und ihre Blicke senkten sich schnell wieder auf den mit einem weißen Tuche bedeckten Tisch. Dem armen Arnold entging diese urplötzliche Veränderung, die offenbar der Anblick seiner Person hervorgebracht, nicht, und wenn er auch nicht so eitel war, seinem von Pockengruben zerrissenen Gesichte auch nur die geringste Anziehungskraft beizulegen, so glaubte er doch schließen zu müssen, daß des Vaters Heirathsplan von der Tochter genehmigt würde.

„Cordchen,“ sagte der Vater, sein Wohlgefallen über diese Bemerkung verbergend, „geh’, und bitte die Mutter zu uns. Dann magst auch Du wiederkommen, mein Kind!“

Mit purpurrothem Gesichte flog das Mädchen davon, ohne ein Wort zu entgegnen. Der Pastor blies ein Paar so gewaltige Rauchwolken aus seiner Sonntagspfeife, daß die ganze Laube davon angefüllt war.

„Nun,“ rief er seelenvergnügt, „wer hat Recht? Sie erröthete bis an die Ohren, als sie den ihr bestimmten Mann ansah. Das ist ein gutes Zeichen! Arnold, ich zweifle nicht mehr, daß Alles völlig geordnet ist, ehe Du Deine Rückreise antrittst. Ja, ich kenne meine Concordia, sie ist ein kluges, gutes Mädchen. Und wie wird sie Dir die Wirthschaft zusammenhalten, wenn sie als Frau Pastorin schalten und walten kann. Die Bauern lieben sie – es ist keine Kindtaufe und keine Hochzeit im Dorfe, zu der sie nicht geladen wird. Glaube mir, Arnold. Du bekommst eine wackere, tüchtige Hausfrau, und Cordchen – ich hege die feste Ueberzeugung – bekommt einen wackern, tüchtigen Mann.“

Während der Vater seinem Neffen die Glückseligkeit einer Landpfarrerehe pries und in freudiger Erinnerung mit beredter Zunge seine eigene Heirathsgeschichte erzählte, war die Tochter zu der Mutter in das Zimmer getreten.

„Mütterchen,“ sagte sie mit erkünstelter Traurigkeit, „es geht wahrhaftig nicht!“

„Was?“ fragte verwundert die Frau Pastorin, eine herzensgute alte Dame, die an Concordia mit jener übergroßen Zärtlichkeit hing, welche die Mütter dem einzigen Kinde zu zollen pflegen, vorzüglich wenn dieses Kind eine Tochter ist. „Was geht denn nicht, liebes Cordchen?“

„Daß ich den Vetter aus der Residenz heirathe.“

„Mißfällt er Dir denn?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_606.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)