Seite:Die Gartenlaube (1854) 608.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die Liebe zu der schönen Sterblichen erwachte mit doppelter Gluth, und sie anzubeten wie eine Heilige, wie einen unerreichbaren Stern, erschien ihm eben so unmöglich, als eine Erwiederung seiner heftigen Neigung. Es war dies ein Augenblick, in dem Arnold an sich selbst verzweifelte. Der Name Cäcilie erklang ihm wie eine Sphärenmusik, und so auch konnte sie nur genannt werden, die eine Meisterin der Töne war. Welch ein Contrast lag zwischen der poetischen Erscheinung Cäcilien’s, und jener der prosaischen Concordia’s, die man ihm zur Gattin bestimmt hatte. Der arme Kandidat lehnte sich auf das Geländer des Stegs und starrte in die murmelnden Wellen hinab. Tausend Gedanken durchkreuzten seinen Kopf, der wie im Fieber brannte. So mußte er lange zugebracht haben, denn plötzlich redete ihn die Stimme des Onkels an, der zu Fuß auf einem Nebenwege von dem Nachbardorfe zurückkehrte.

„Ich erwartete Sie!“ sagte er verwirrt.

Der Pfarrer sah ihn lächelnd an.

„Woran dachtest Du, Arnold?“ fragte er.

„An meine Zukunft, an mein Schicksal, an die Schicksale der Menschen überhaupt, die von dem blinden Glücke nicht begünstigt sind.“

„Und was fehlt Dir, Arnold? Ist Deine Zukunft nicht gesichert?“

„Es giebt Dinge, mein bester Onkel, über die weder Reichthum, fester Wille, Herzensgüte, noch sonst eine menschliche Macht verfügen kann.“

„Zweifelst Du an einer Gegenneigung Concordia’s?“

Arnold konnte sich eines schmerzlichen Lächelns nicht erwehren.

„Ueberlassen wir es der Zeit,“ sagte er, um den guten Pastor nicht zu kränken. „Das Glück der Tochter meines Wohlthäters darf nicht von Entschlüssen abhängig gemacht werden, die der Augenblick geboren hat.“

„Er hat Recht,“ dachte der Greis. „Aber mein Kind wird ihn schon lieben und achten, wenn sie ihn kennen gelernt hat.“

Man trat den Rückweg nach dem Dorfe an. Die Nachricht von dem raschen Tode des wackern Landmanns, dem der Pfarrer die letzten Tröstungen der Religion ertheilt hatte, erregte in dem Pfarrhause eine trübe Stimmung. Mutter und Tochter weinten, während der Pfarrer seinem einsilbigen Neffen die Vorzüge des Gestorbenen schilderte und ihn als einen Mann bezeichnete, der seinem Herzen nahe stehe. Dieser Umstand lenkte die Aufmerksamkeit von der Familienangelegenheit ab, und während der Onkel die Grabrede studirte, bereitete der Neffe seine Abreise vor. Concordia bewies dem Gaste die schuldige Aufmerksamkeit, sie war selbst heiter und suchte ihn nach Kräften zu unterhalten. So verflossen zwei Tage. Weder von dem Schlosse noch von der Heirathsangelegenheit war ferner die Rede.

Am Morgen des Begräbnißtages trat Arnold in das Zimmer des Pfarrers.

„In einer Stunde reise ich,“ sagte er.

„Und was ist das Resultat Deines Besuchs?“

„Concordia hat mir einen Brief versprochen.“

„Und Du?“

„Ich werde nicht verfehlen, die Antwort zu senden.“

„So reise mit Gott, Arnold, und vergiß nicht, daß Dein Onkel auf Dich zählt! Aber auch Du magst auf mich zählen, was immerhin kommen möge.“

Der Greis küßte die Stirn des jungen Mannes.

Beim Abschiede zeigte sich Concordia gerührt. Der Vater hielt diese Rührung für ein Zeichen der aufkeimenden Neigung; die Mutter aber wußte, daß sie nur dem Schicksale des Vetters galt, denn Concordia – obgleich eine Pfarrerstochter, so war sie doch eitel – Concordia glaubte sich von dem Kandidaten geliebt und deutete in diesem Sinne sein stilles, verschlossenes Wesen.

„Er bekommt die Pfarre!“ rief sie der Mutter zu, als Arnold den Wagen bestieg, der ihn zu der nächsten Posthalterei bringen sollte.

Der Kandidat grüßte noch einmal, und der Wagen fuhr davon. Arnold hielt es für ein Glück, daß der Weg nicht an dem Schlosse vorbeiführte, aber trotzdem sah er unverwandten Blicks nach der Gegend, in der es lag. Eine magnetische Kraft hielt sein Auge an diesen Punkt gefesselt. Plötzlich fuhr der Wagen über eine Anhöhe, und der Kandidat übersah das ganze Thal. Da lag das romantische Schloß mit seinen Thürmchen, da ragte das in der Morgensonne schimmernde Schieferdach über die Baumwipfel empor, dasselbe Dach, das den Gegenstand seiner Anbetung barg. Wie arm, wie verlassen dünkte er sich, als der kahle Hügel ihm plötzlich die Aussicht versperrte. Ihm war, als ob er zu einem freudenlosen, elenden Leben verdammt sei, als ob sein ganzes Glück in dem Thale zurückbleibe. Wohl schalt er sich einen Thoren, lächelte er über seine Schwachheit; aber weder die Zerstreuungen der Reise noch der Verstand konnten eine Aenderung seiner Gemüthsstimmung herbeiführen. Nach zwei Tagen erreichte er die Residenz. Eifrig gab er sich der mühseligen Beschäftigung des Unterrichtertheilens bin, er suchte, aber er fand keine Heilung von den geheimen Qualen seines Herzens. So überließ er sich mit ganzer Seele dem Entzücken der rührendsten, tiefsten Leidenschaft, einer rein bewundernden Liebe. Die Erinnerung an Cäcilie hatte für ihn etwas unaussprechlich Heiliges, Geweihtes, er sah mehr als das Weib in ihr, sie war ein ideales Wesen, zu dem er betete.

(Fortsetzung folgt.)




Die deutsche Weihnachtsfeier.
Weihnachten, ein heidnisches Fest. – Heidnische Festgebräuche. – Knecht Ruprecht, der Pelzmärte, der Wauwau, Nicolaus und der Schimmelreiter. – Die Mirakel der Weihnachtstage. – Die Jerichorose und anderer Aberglaube. – Was man Weihnachten essen und thun muß, um reich und glücklich zu werden. – Der heilige Dreikönigstag.

 „O Tonabaum! o Tonabaum!
 Du bist a edles Reis!
 Du grunest in dem Winter
 Os wie zu Summerzeit.“
  Volkslied des Kuhländchens.

Zu den Dingen, die der Reisende, welcher Deutschlands Grenzen verläßt, und der Verbannte, der sie fliehen muß, am Schmerzlichsten zu vermissen pflegt, gehört vor Allem die Feier des Weihnachtsfestes. Sie ist eines der anmuthigsten Zeugnisse für das Kleinod unsrer Nation, das sie an ihrer Gemüthlichkeit hat, und mit Wehmuth und Heimweh blickt der Deutsche in der Fremde auf die dunkelbleibenden oder nur matterleuchteten Fenster, die ihn umgeben. Fragen wir uns, wie es kommt, daß das Fest nur von uns in dieser Weise begangen wird, daß Engländer und Amerikaner, Russen und Italiener, und selbst die lebensfrohen Franzosen nichts von den Freuden wissen, die es uns bringt, so giebt die Wissenschaft darauf eine Antwort, die Manchen Wunder nehmen wird. Diese Antwort nämlich lautet: Die deutsche Weihnacht mit ihren weithinstrahlenden Lichterbäumen, ihrem Flittergold, ihren Gaben und ihren seltsamen Gebäcken entstammt derselben Quelle, aus welcher die Osterfeuer und die Johanniskronen, die Maikönige und die Kirmsen und die eigenthümlichsten von den Gebräuchen hervorgegangen sind, mit denen unser Landvolk sich in der Fasten- und Adventszeit vergnügt, d. h. sie ist ein Rest des Heidenthums unsrer Urväter, und der Jubel, der in ihr durch alle Schichten der Nation geht, ist ein Nachhall des erhabensten und heiligsten ihrer Feste. Darauf deutet zunächst schon der Umstand, daß die deutsche Weihnacht, d. h. die Aufstellung der grünen Tanne und die Bescheerung, wie ihr Name schon sagt, des Nachts gefeiert wird; denn alle Feste der alten Germanen scheinen nächtliche gewesen zu sein.

Mit Bestimmtheit wissen wir, daß unsre Vorväter in der Zeit des Mittwinters, gerade so wie im Mittsommer ein großes Fest feierten, welches – vielleicht nach der Zahl ihrer Götter – zwölf Nächte dauerte und seinen Ursprung in der Periode hatte, wo die Naturmächte als segnende Gewalten und namentlich die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_608.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)