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Sonne göttlich verehrt wurden. Man scheint dabei die Vorstellung gehegt zu haben, daß die Sonne, welche gegen das Ende des Decembers am Tiefsten steht, sich alsdann verjünge, daß sie gleichsam neugeboren werde. Man hieß das Fest deshalb die „Mutternacht“ (Modrenath) oder, weil man sich die Sonne unter dem Bilde eines Rades vorstellte, das „Radfest“ (Jul, ein Wort, das noch jetzt im friesischen Dialekte ein Rad bedeutet). Bei diesem Feste zogen die Götter, anfänglich hocherhaben in den Lüften, später wahrscheinlich, durch verkleidete Menschen dargestellt, durch das Land, um die Wintersaat zu segnen und die Opfer ihrer Verehrer entgegenzunehmen. Die ganze Welt war mit ihrer wunderbaren Kraft erfüllt. Das Wasser sowohl wie das Feuer hatte in dieser Zeit eine besondere Weihe. Nirgends gelang Zauber und Erforschung der Zukunft so gut als in den heiligen zwölf Nächten des Jul. Von der Art und Reihenfolge der ursprünglichen Festgebräuche ist wenig bekannt. Als ausgemacht dürfte nur anzunehmen sein, daß Tannenbäume mit Lichtern besteckt, ein Symbol einerseits des auch im Winter grünenden Naturlebens, andrerseits des auch in der Nacht nicht erstorbenen Lichtes schon damals eine bedeutende Rolle spielten, daß Opferschmäuse stattfanden, bei denen vorzüglich Pferde und Eber geschlachtet und zu Ehren der obersten Gottheiten Becher geleert wurden, daß während des Jul keine Arbeit gethan werden durfte, und daß im Verlaufe desselben Aufzüge zu Pferde mit Reigentänzen, Wettkämpfen, die den Sieg der Sonne über die als Riesen vorgestellten Mächte des Winters versinnbildeten, und andern religiösen Ceremonien, wie sie auch beim Frühlings- und Mittsommerfeste üblich waren, abwechselten.

Von allen diesen Gebräuchen des Naturdienstes der Urzeit haben sich zahlreiche Spuren erhalten, ja sie eben sind es, in denen die Eigenthümlichkeit der deutschen Weihnachtsfeier besteht.

Das Christenthum vermochte das Heidenthum nur zu besiegen, nicht zu vertilgen. Es hat seine Götter in Gespenster, seine frommen Bräuche in Possen verwandelt. Immer aber brach der altheidnische Jubel, als ob er dem Volke im Blute läge, durch die Freude über das Geburtsfest des Weltheilands wieder hindurch, und so erklingt er noch heutigen Tages in seltsam geheimnißvollen Accorden, wenn man sich im Allgemeinen auch über seine eigentliche Natur nicht Rechenschaft geben kann, und wenn es auch vorzugsweise die Kinderwelt ist, welcher die Weihnachtstanne strahlt.

Ganz wie einst, als das Christenthum noch nicht in die Wälder des Nordens eingedrungen war, wird die festliche Zeit vom 25. December bis zum 6. Januar ausgedehnt; ganz wie einst nennt sie der Volksmund die „heiligen zwölf Nächte“, und ganz wie einst der Glaube läßt jetzt der Aberglaube in dieser Periode übermenschliche Wesen durch das Land wandeln. Wie einst Wodan, der Himmelsgott mit dem Sonnenauge, auf seinem weißen Rosse seine Verehrer heimsuchte, ihre Gebete und Opfer entgegennahm und ihren Saaten Gedeihen schenkte, so zieht jetzt in Sachsen der Ruprecht (dieser Name bedeutet „der Ruhmstrahlende“), in Schwaben der Pelzmärte oder Schanteklas, in Oesterreich der Wauwau, in Thüringen der Nikolaus, in der Mark der Schimmelreiter von Haus zu Haus, um mit den Kindern zu verfahren, wie einst mit den Erwachsenen. Ueberall hört er Gebete an, überall verleiht er Gaben. Hin und wieder kommt er selbst auf dem weißen Pferde (so in schwäbischen und schlesischen Strichen), ja bisweilen müssen ihm die Kleinen sogar in ihren Schuhen ein Haferopfer für seinen Schimmel vor die Kammerthür stellen (so am Niederrhein, wo die Kirche den Gott in einen heiligen Martin verwandelt hat). Seine Erscheinung beschränkt sich aber nicht blos auf die Kinderwelt. Auch Erwachsenen ist er noch sichtbar in dem wüthenden Heere, welches unzweifelhaft eine Erinnerung an den Umzug des Gottes mit den nach Walhalla aufgenommenen Helden ist, in Schwaben sogar Wuotas Heer genannt wird, wenn es recht braust, ein fruchtbares Jahr bedeutet und allenthalben vorzüglich in den Nächten der Weihnachtszeit sich vernehmen läßt. Aber auch andere Gottheiten erschienen in dieser festlichen Periode des Jahres: der Gewittergott Donar, der mit einem Gespann von Ziegenböcken fuhr, der Erntespender Froho, den ein weißer Eber begleitete, und die Gemahlin Wodan’s, welche den Flachsbau und die Spinnstuben beaufsichtigte und die verstorbenen Kinder zu sich nahm. Und siehe da, auch von diesen haben sich Erinnerungen, wenn auch dunkel und halbverwischt, im Gedächtnisse des Volks an die Weihnachtszeit geknüpft erhalten.

In verschiedenen Gegenden Deutschlands endlich geht die Sage, daß in der letzten der zwölf Nächte Frau Holle oder Perchta durch die Gefilde zieht. In der einen Landschaft sieht sie nach, ob die Rocken abgesponnen sind, in der andern beschenkt oder schreckt sie die Kinder wie Ruprecht und Nikolaus, wieder in andern schreitet sie einer Schaar von Kinderseelen voran, welche einen Pflug ziehen und – eine ungemein schöne Mythe – in Krügen die Thränen tragen, welche um sie vergossen worden sind.

Außerdem aber ist die Periode von Weihnachten bis zum großen Neujahr dem Aberglauben aller Orten die rechte Zeit für die Gespenster, die feurigen Drachen und Hunde, die weißen Frauen und den gesammten Zauber- und Teufelsspuk, mit welchem das Heidenthum in die christliche Welt hereinragt, und wer Glauben hat, kann in ihr Wunderdinge sehen und erleben. Namentlich die Mitternacht vor dem Christtage gebiert Mirakel in Menge. In ihr werden auch auf eine Minute alle Wasser zu Wein. In ihr thut die Sonne zwei Freudensprünge. In ihr unterhalten sich die Pferde in den Ställen über die Zukunft, weshalb altgläubige Bauern noch hin und wieder in der Krippe schlafen. In ihr weissagen sogar die Thiere, denen wir sonst nur für den Speck und die Schinken, die sie uns liefern, dankbar sind. In ihr kann man sich in Schwaben den Farnsamen verschaffen, der allerlei wundersame Tugenden hat, unsichtbar, bei allen Menschen beliebt und über die Maßen stark macht. Wer ihn haben will, darf vier Wochen vor Weihnachten kein Gebet verrichten und keine Kirche besuchen. Dann muß er in der Christnacht auf einen Kreuzweg treten, über den schon Leichen zum Gottesacker geführt worden sind. Hier gehen zunächst eine Menge Gespenster, verstorbene Verwandte, Kobolde, Hunde mit feurigen Augen, Hähne, die ein ganzes Fuder Heu ziehen und anderer Spuk an ihm vorbei, und suchen ihn zum Reden oder Lachen zu verlocken. Gelingt ihnen dies, so wird der Betreffende sofort von ihnen zerrissen. Besteht derselbe aber diese Proben, so erscheint zuletzt der Teufel in der Kleidung eines Jägers und schenkt ihm eine Düte, gefüllt mit dem köstlichen Samen, der einst einen Tagelöhner in Rotenburg befähigte, im Walde 500 Büschel Holz täglich zu machen, und mit dessen Besitz ein Webergesell ebendaselbst wöchentlich 100 Ellen Leinwand fertigte, obwohl er nur Sonnabends arbeitete.

Andrer Aberglaube wird mit der sogenannten Jerichorose getrieben, die aus den Fußtritten Maria’s hervorgesproßt sein soll, als sie während ihrer Schwangerschaft auf’s Gebirge ging, um Elisabeth zu besuchen – eine Legende, die ohne Zweifel aus einer Mythe von der altgermanischen Erden- und Göttermutter entstanden ist. Die abgestorbene Pflanze, woran die Stengel mit den Aesten ganz zusammendorren, bewahrt noch die Schötchen und kleinen Blumen. Eine solche vertrocknete Jerichorose hat nun nach schwäbischem Aberglauben die Eigenschaft, daß sie nur an zwei Tagen im Jahre wieder zum Blühen gebracht werden kann, in der Christ- und in der Neujahrsnacht. Man stellt sie dann in geweihtes Wasser, worauf die versammelten Freunde so lange beten, bis die Pflanze sich ausdehnt und die Rose blüht. Sie sieht dann, vor’s Licht gehalten, roth wie Granaten aus, und man weissagt aus der Gestalt, welche die Blume angenommen hat, welche Art von den Feldfrüchten im nächsten Jahre besonders gerathen wird. Dehnen sich alle zusammengeschlungenen Aestchen wieder aus, so steht ein besonders fruchtbares Jahr zu erwarten. Soll es ein gutes Weinjahr werden, so hört man in Tübingen in der Christnacht ein Klopfen in der Kelter. Spinnt in Derendingen eine Frau ihren Flachs vor Weihnachten nicht rein vom Rocken, so fault ihr der kleine Finger ab. Will Jemand im schwäbischen Dorfe Grantschen wissen, welche von den Weibern in der Gemeinde Hexen sind, so nimmt er einen durchlöcherten Pfahl und schnitzt aus demselben einen Rührlöffel. An demselben muß in den drei dem Weihnachtsfeste zunächst vorhergehenden Donnerstagsnächten geschnitzt werden, welche „Knöpflinsnächte“ heißen. Zugleich muß man an jedem dieser drei Abende mit jenem Löffel den Mehlbrei zu „Knöpflen“, d. h. einer Art kleinen Klößen anrühren, darf den Löffel aber nicht abspülen, so daß von allen drei Malen etwas Teig hängen bleibt. Mit einem solchen Löffel geht man schließlich am Christtage in die Kirche und blickt durch das Loch in demselben, so sieht man die Hexen. Sie kehren dem Prediger den Rücken zu und haben jede einen Melkkübel auf dem Kopfe. Wer sie aber erkannt hat, muß, ehe der Geistliche Amen gesagt hat, aus der Kirche und wieder zu Hause sein, sonst zerreißen ihn die Unholdinnen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_610.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)