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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Wenden wir uns nun zu der Art, in welcher das Fest gefeiert wurde, so ist der Umzug in Götter verkleideter Menschen, dessen Reste wir in dem Ruprecht, dem Märten und Nicolaus, dem Klapperbock und der Habergais erblickten, schon erwähnt. Ein noch bedeutsamerer Zug aber war die grüne Tanne, die man mit Lichtern besteckte und mit den Köpfen der geschlachteten Opfer behing. Sie mag ein Symbol des ewig grünenden Baumes gewesen sein, als den unsre Vater sich die Welt vorstellten, dessen Zweige sie in der Milchstraße sahen, und dessen Früchte ihnen die Sterne gewesen sein mögen. Dieser heilige Weltbaum kommt auch in den Trümmern anderer deutsch-heidnischer Festlichkeiten vor.

In den Gegenden, wo man wie in Steiermark keine Weihnachtstanne im Zimmer anzündet, stellt man sie wenigstens vor das Haus, und die Maien, die man am ersten Tage des Maimonats oder zu Pfingsten vor die Bauernhäuser pflanzt, versinnlichen dieselbe Idee der nie ganz ersterbenden, immer treibenden, im Winter nur in sich zurückgezogenen, im Frühling lustig aufgrünenden Lebenskraft der Natur, ja in Geldern besteckt man diese Maibäume ganz wie bei uns die Weihnachtstanne mit Kerzen.

In gleicher Weise haben sich von den einst üblichen Opferschmäusen des Julfestes Spuren erhalten. Eine Hauptrolle spielten dabei die Schweine. Der Juleber wurde geschlachtet, Pferdeopfer fanden statt, und man buk Kuchen in Form von Ebern, Rossen und Rädern. Das Opferschwein wurde noch vor zweihundert Jahren am Rheine von manchen Dorfschaften gemeinschaftlich aufgefüttert, und das Thier für unverletzlich gehalten. In alter Zeit dem Froho geweiht, wurden sie später von der Kirche dem heiligen Antonius als Attribut beigegeben, und in verschiedenen alten Dörfern, z. B. in Herkenrath bei Bensberg. (welches seinen Namen von der Erdgöttin Herke hat) besteht noch heute der Gebrauch, daß am Antoninstage Schweinefleisch auf dem Altare geopfert wird. Gewöhnlich sind es geräucherte Rückenstücke und noch häufiger Köpfe, die dann nach dem Gottesdienste vom Pfarrer an die Armen vertheilt werden. Daß man vorzugsweise Schweinsköpfe als Opfer darbringt, mag jetzt allerdings der Sparsamkeit des Schenkenden zusagen, im Heidenthume aber war es Sitte, den Kopf als den edelsten Theil des Thierleibes der Gottheit zu widmen. Andere Erinnerungen an den Juleber sind der Gebrauch, nach welchem man in der Ukermark zu Weihnachten grünen Kohl mit Schweinskopf zu essen pflegt, nach welchem man ferner in England beim Weihnachtsschmause einen mit Lorbeer und Rosmarin angeputzten Eberkopf als Hauptgericht auf die Tafel stellt, und nach welchem man endlich in Oxford zum Christfeste einen solchen Kopf feierlich umherträgt und dazu singt:

„Caput apri defero
Reddens laudes domino,“

d. h.: „Ein Ebernhaupt trag’ ich umher und lobe Gott den Herrn,“ einen deutlichen Hinweis auf einen alten Opfergesang zu Ehren des Gottes, dem der Eber heilig war. Als Nachklang der Pferdeopfer sind die Rößchen und Reiter anzusehen, welche in verschiedenen deutschen Landschaften in der Weihnachtszeit als Honigkuchenteig gebacken werden, wobei nachzuholen ist, daß man in Schweden den Weihnachtsgebäcken gern die Gestalt eines Ebers giebt. Der Genuß der Roßfleisches wurde von der Kirche als heidnische Sitte streng untersagt. Das Volk gehorchte, behielt aber wenigstens die Form des einst heiligen Thieres bei. An die Kuchen in der Gestalt des Sonnenrades endlich erinnern unsre Bretzeln, deren Zeit zu Weihnachten beginnt, die ostfriesischen Nüjarskaukches, die rheinischen Neujährchen und die Neujahrringe, die man sich im badischen Unterlande zum Sylvesterabend schenkt. Außerdem aber hat fast jede Gegend in den zwölf Nächten ihre gewissen Speisen, an die sich die abergläubische Erwartung knüpft, daß ihr Genuß Segen bringe oder daß die Unterlassung dieses Genusses von den Gespenstern, in welche die Götter sich allmälig verwandelt haben, gestraft werde. In Leipzig muß am Christabend Häringssalat gegessen werden, weil das Glück bringt, in Dresden am Neujahrstage Hirse, weil dann das Jahr über das Geld nicht ausgeht. In Schwaben müssen am genannten Tage gelbe Rüben, in Steiermark Karpfen und Honigstrudel, bei Liegnitz und Hirschberg „schlesisches Himmelreich“, in der Lausitz Karpfen mit Hefenklößen, in Mähren Mohnknödel auf den Tisch kommen, und wehe dem saalfeldischen Bauer, der am Sylvesterabend nicht Klöße mit Häring gegessen hat; denn dann erscheint in der Nacht die Perchta, schneidet ihm den Leib auf, füllt Häckerling hinein und näht die Wunde mit Pflugschaar und Wagenkette wieder zu. Es sind dies alles Opferspeisen, und ein Theil davon mußte den Göttern hingestellt werden. Dies geschieht an manchen Orten noch jetzt. Ein Beispiel davon ist die oberkärnthnerische Sitte, am Dreikönigsabende (der einst der Perchta, Wodan’s Gemahlin, heilig war) Brot und gefüllte Nudeln auf dem Küchentische stehen zu lassen, damit die „Perchtel“, wenn sie durch’s Haus geht, davon koste. Dasselbe war früher in Steiermark Gebrauch, und in Schlesien bleibt während der Christnacht der Tisch gedeckt, damit die Engel (einst die Götter) sich von den Speisen nehmen können.

Auch von den Tänzen, die beim Jubelfeste zu Ehren der Götter aufgeführt wurden, haben wir noch ein Ueberbleibsel, das sogenannte Perchtenspringen, eine Sitte, die durch alle Thäler der Alpen geht, wo Deutsche wohnen. Sie besteht darin, daß in den zwölf Nächten die jungen Bursche der dortigen Dörfer, häufig mehrere Hundert stark, unter Kuhglockenschall und Peitschenknall in eigenthümlicher Vermummung von Haus zu Haus, von Ort zu Ort ziehen, jauchzen und kreischen und sich an allerhand grotesken Sprüngen und Verrenkungen belustigen. In einigen Strichen Schwabens kommt der Gebrauch gleichfalls vor, wiewohl ohne jenen Namen. So viel die Dorfbuben sich Kuhschellen verschaffen können, reihen sie auf eine Schnur und hängen sie über die Brust. Hiermit klingelnd und rasselnd hüpfen sie den ganzen Tag im Orte umher. In manchen Gegenden mischt sich der Nikolaus unter sie und theilt Aepfel und Nüsse aus. Die Erklärung, das Läuten mit Kuhglocken solle an den Viehstall erinnern, in welchem Christus geboren worden, ist nur ein Versuch der Geistlichkeit, diesen Rest heidnischen Brauchs dem Christenthume einzuverleiben, und schon durch den Namen wird es mehr als wahrscheinlich, daß wir in diesem Perchtenspringen den in eine Posse verwandelten Reigen vor uns haben, welcher in der letzten Nacht des Julfestes der Gemahlin des Himmelsgottes zu Ehren aufgeführt wurde.

Zum Schlusse unserer Herausbeschwörung des halbversunkenen Mittwinterfestes unserer Väter mag noch eine kleine Sammlung bunt durch einander stehender Züge des Aberglaubens der zwölf Nächte einen Platz finden. Am zweiten Weihnachtsfeiertage reitet man in Schwaben die Pferde aus, indem dies vor Hexerei schützen soll. Der dritte Tag erinnert mit der Sitte rheinischer und schwäbischer Katholiken, sich in der Kirche vom Pfarrer ein Maß Wein weihen zu lassen (die sogenannte Johanniswiene oder der Johannissegen), das hernach zu Hause getrunken wird, an den einstigen Trunk zu Ehren Wodan’s. In Schwaben darf in den zwölf Nächten nicht gesponnen werden. Ist in Obersteiermark die Stube des Bauern am Christabend nicht gebührlich gefegt und gesäubert, so kommt die Perchtel, schneidet den trägen Mägden den Bauch auf und stopft den Kehricht hinein, weshalb sie einen Besen und, damit der Schnitt wieder zugenäht werden kann, Nadel und Scheere bei sich hat. Im Saterlande (einer oldenburgischen Landschaft) wird zu Neujahr guten Freunden oder geliebten Mädchen die Wepelrot (d. h. das Weifenrad) durch’s Fenster in die Stube geworfen. Dieselbe ist ein Rad aus Weidenruthen, dessen Nabe ein Goldblech schmückt, und dessen Speichen über die Felgen hinausragen und an den Enden mit Aepfeln besteckt sind. Der Werfende entflieht sofort nach dieser eigenthümlichen Huldigung. Wer sich in Schwaben in der Sylvesternacht auf einen Kreuzweg stellt, der sieht den Himmel offen und erfährt, was sich das Jahr über zutragen wird. Was man in derselben träumt, das trifft ein. Bäckt man in derselben Nacht so viele Kuchen als Leute im Hause sind, giebt jeden Kuchen den Namen eines Hausbewohners und drückt in alle ein Loch mit dem Finger, so wird das Loch dessen, der im Laufe des Jahres sterben soll, beim Backen zugehen. Sonnenschein am Neujahrstage bedeutet, daß das beginnende Jahr hindurch Ueberfluß an Fischen sein wird. Am Niederrhein herrschte noch vor einigen Jahrzehnten die Sitte, daß die Weiber sich am 1. Januar unter den zwölf Aposteln (in der Urzeit unter den zwölf obersten Göttern) einen Patron wählten, dem sie das Jahr über ihre besondere Andacht zuwendeten. Zwölf Birkenstäbchen (einst Runen) wurden mit den Namen der Apostel bezeichnet und darnach die Loose gezogen. Als einst eine Frau den Judas bekommen, warf sie das Loos weg. Da erschien ihr der Verschmähte in der nächsten Nacht und schlug sie, daß sie des Todes verblich. Wollen die Mädchen im Cölnischen den Stand ihres Zukünftigen wissen, so gießen sie in der Sylvesternacht geschmolzenes Blei

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_611.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)