Seite:Die Gartenlaube (1854) 624.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Kindern das erste Kind nur recht gut, dann wird dieses auf die Erziehung aller übrigen so vortheilhaft einwirken, daß dadurch den Aeltern das so schwierige Erziehungsgeschäft sehr erleichtert wird. Redselige Mütter, die munter und drollig mit ihrem Kinde sprechen, erweisen ihm, ohne es zu ahnen, eine große Wohlthat, denn ihre Töne wirken nicht nur auf sein Gehör und auf das Sprechen, sondern bewegen sein ganzen Wesen und erregen Sympathien. – Von einem Willen ist beim Kinde lange keine Rede, erst wenn es durch selbstständige Anstrengungen aufsitzen, sich stellen und laufen lernt (siehe vorher), beginnt die Entwickelung des Willens; dagegen bildet sich sehr leicht die entschiedenste Willkür aus, die zu Eigensinn und Trotz ausartet, sobald die Erzieher dem Kinde alles thun was es will, und wenn sie sich durch Schreien etwas abzwingen lassen. – Die Sinnesthätigkeiten, sind, da nur durch diese die Geistesthätigkeit zu erwecken ist, wohl zu üben, deshalb aber auch auf die Bewahrung der Sinnesorgane vor Schaden (siehe Gartenlaube Nr. 49 S. 597) die ängstlichste Sorgfalt zu verwenden. Durch Uebungen des Gesichts- und Tastsinnes, bestehend im Näher- und Fernerhalten zu beschauender und befühlender Gegenstände, soll das Kind nach und nach eine richtige Vorstellung vom Verhältniß der Größe und des Raumes bekommen; die Uebung des Gehörs trägt zur Schätzung des Raumes, der Richtung und Entfernung viel bei. Außerdem kann das Ohr aber auch noch durch Vorsingen oder Vorspielen reiner Töne und Melodien, so wie durch Vermeiden unreiner Töne an den Genuß des Wohlklanges gewöhnt werden. Allerdings sind diese Sinnesübungen im Säuglingsalter noch nicht so wichtig, wie im folgenden Lebensalter, aber ganz sollte man von denselben doch nicht absehen. Jedenfalls ist es von großem Vortheile, im Kinde wenigstens eine größere Aufmerksamkeit für Sinneserscheinungen zu erwecken, weil aus dieser später die Achtsamkeit und Wachsamkeit hervorgeht.

Schließlich mögen noch die wahren Worte Dr. Besser’s eine Erwähnung finden, welche derselbe in seinem Schriftchen: „die Benutzung der ersten Lebenstage des Säuglings zu dessen Eingewöhnung in eine naturgemäße Lebensordnung“ schreibt: Gerade die neueste Zeit liegt schwer krank daran nieder, daß sich kein kräftiger Wille, keine klare Ueberzeugung mehr in der Erziehungsweise der Aeltern findet. Es hängt diese Erscheinung tief mit dem Hochmuthe unserer Zeit zusammen, mit dem Meinen der Menschen, sie könnten doch was Rechtes erziehen. Ihre Kinder halten sie für tüchtig, weil sie sich und somit auch ihre Erziehungsweise für tüchtig halten. Es läßt sich das in ihrem Innern natürlich nicht trennen. So brauchen sie aber gegen ihre Kinder keinen Ernst, keine Strenge, weil sie gegen sich nicht streng sind, ja sie dürfen sich nicht einmal die Unarten ihrer Kinder gestehen, es sind ja ihre Kinder, Kinder tüchtiger, vortrefflicher Aeltern, die was Rechtes leisten. Und wie geschäftig und gewandt ist das schwache Mutter- und Vaterherz, sich die Charakterfehler des Kindes zu verbergen, sie mit den eigenen Schwächen zu entschuldigen oder mit einer ungewöhnlichen geistigen, meist nur angeblichen, Begabung zu bemänteln.

Krankheiten im Säuglingsalter sind, obschon eigentlich nur wenige zu existiren brauchten, doch nicht nur sehr häufig, sondern auch gefährlich, meist tödtlich. Die größte Zahl der Menschen, die geboren werden, sinkt schon in der Kindheit wieder in’s Grab. Dies rührt aber ja nicht etwa von der Zartheit und geringen Lebensfähigkeit des kindlichen Organismus her, sondern es liegt in der falsch geleiteten physischen Erziehung. Unpassende Nahrungsmittel, kalte und unreine Luft für’s Athmen, Erkältungen, besonders des Bauches, erzeugen Blutarmuth und Abzehrung, Lungenentzündungen und Brechdurchfall, und dieses sind diejenigen Krankheiten, welche die meisten Säuglinge tödten, trotzdem daß eine richtige Behandlung bei ihrem Beginnen die Gefahr verscheuchen könnte. Ausführliches hierüber findet man in der Gartenlaube Nr. 17, S. 196 u. Nr. 43, S. 515 beim Neugebornen – Ungefährliche, aber Beschwerden erzeugende abnorme Zustände, sind: Verstopfungen (mit Leibschmerzen und Schmerzgeschrei), die stets nur durch Klystiere zu heben sind; Wundsein und Ausschläge, bei denen öftere Reinigung mit lauem Wasser und Bestreichen mit frischem Talge den besten Erfolg hat; das Zahnen (s. Gartenlaube Nr. 49, S. 597). – Was das Einimpfen der Kuhpocken anbelangt, was doch höchst wahrscheinlich eine Vergiftung des Blutes mit Pockenlymphe ist, so hält Verfasser dasselbe in Folge mehrerer Beobachtungen für nicht ganz so ungefährlich, als die meisten Aerzte glauben, und er möchte deshalb das Impfen nicht in den ersten Monaten des Lebens, sondern erst nach dem ersten Lebensjahre bei kräftigerer Körperbeschaffenheit des Kindes vornehmen, keinen Falles aber zur Zeit des Zahnens und Entwöhnens. Zeitiger zu impfen, dazu könnte ihn nur das Herrschen der Menschenblattern in der Nachbarschaft veranlassen.

(B.) 




Pariser Bilder und Geschichten.
Der Hüter des Kaisergrabes im Invalidendom zu Paris.

Der Mann, den ich Euch heute vorführen will, ist kein mit Orden überdeckter Staatsmann, kein berühmter Dichter, kein mit Blumen beworfener Sänger oder Schauspieler, es ist ein einfacher, gewöhnlicher Mensch, den nichts bekannt gemacht, als sein treues Herz und die Liebe für seinen Kaiser.

Der Mann, welcher jetzt das Grabmal des Kaisers Napoleon im Invalidendom zu Paris bewacht, ist eine der treuesten Seelen, die jemals einem Herren gedient haben, und er hat dieser Treue wegen ein so seltsam bewegtes Leben geführt, wie man es ähnlich kaum in einem Romane findet.

Santini, so heißt er, wurde von armen Aeltern 1790 in dem kleinen Dorfe Lama auf Corsika geboren und begeisterte sich schon als Knabe für seinen berühmten Landsmann so, daß er sich bereits in seinem vierzehnten Jahre bei der Rekrutirung stellte. Er wurde als Trommler angenommen und begleitete als solcher mehrere Jahre das Bataillon der corsischen Schützen, bis er selbst das Gewehr nahm, und mit demselben die Feldzüge und Schlachten in Deutschland mitmachte. In Königsberg, bei Beginn des russischen Feldzugs, kam er als Courier in das Hauptquartier. Als solcher sah er den Brand von Moskau, die Schrecken des Rückzugs, die Schlacht bei Leipzig und die Kämpfe in Frankreich. Aber alles dies war nur das Vorspiel zu dem, was er später thun und leiden und was ihm einen Namen in der Geschichte machen sollte.

Am Tage der Abdankung Napoleon’s in Fontainebleau sah ihn der General Ornano in seiner Courieruniform im Schloßhofe sitzen und sehnsüchtig nach den Fenstern des Kaisers blicken. Er hatte um die Gnade gebeten, seinen Kaiser nach Elba begleiten zu dürfen und wartete auf Antwort. Es sei kein Platz mehr zu besetzen, sagte ihm der General, der ihm indeß auf unablässiges Bitten gestattete, sich anzuschließen, wenn er selbst für seinen Unterhalt sorgen könne. Vielleicht finde sich später etwas, tröstete der General.

Auf dem Schiffe, das Napoleon nach Elba brachte, sah dieser den Corsen und sprach zum erstenmale mit ihm. Er fragte, wer er sei, was er auf dem Schiffe thue und auf Elba thun wolle. Bald gab er ihm einen Auftrag. Als das Schiff im Hafen angekommen war, sammelten sich die Bewohner der Insel an der Küste und ein Boot fuhr an das Schiff heran.

„Geh’ in diesem Boote mit an’s Land;“ sagte Napoleon zu Santini, „und erkundige Dich vorsichtig, was die Leute von mir, denken und von mir erwarten. Wenn Du wiederkommst, sagst Du mir die Wahrheit, die nackte Wahrheit, hörst Du?“

Santini richtete den Auftrag aus und Napoleon forderte ihn auf, sich am nächsten Tage bei ihm zu melden, da er einmal bei ihm bleiben wolle. Er fand sich pünktlich ein, aber man ließ ihn nicht zu dem Kaiser. Er wendete sich nach der Reihe an alle Großen, er intriguirte selbst unter den Kleinen länger als drei

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_624.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)