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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Monate. Vergeblich. Er hatte längst gar kein Geld mehr und in einer Art Verzweiflung entschloß er sich endlich, Napoleon selbst auf dem Spaziergange anzureden, den derselbe täglich machte.

Das gelang. Napoleon ernannte ihn zum Aufseher seines Portefeuilles.

Die Wohnung Napoleons war noch nicht im Stande. Die Arbeiter mußten oft durch sein Arbeitszimmer gehen, in welchem auf dem Tische Papiere aller Art lagen und ein kostbares Schreibzeug stand.

Eines Tages, als Napoleon nicht da war, mußte Santini in irgend einer Dienstangelegenheit sich auf einige Augenblicke entfernen. Er wollte es recht gut machen und verhindern, daß Einer der Arbeiter etwas auf dem Tische berühre; er nahm also alles, was auf dem Tische lag, trug es in ein Cabinet, schloß dies zu, steckte den Schlüssel ein und ging. Unglücklicherweise erschien gleich darauf Napoleon und sah, daß sein Tisch abgeräumt war. Er gerieth in den heftigsten Zorn und riß in die Klingel, um nach Santini zu fragen, der in diesem Augenblicke selbst erschien.

„Wo ist Alles?“ donnerte ihn Napoleon an. „Habe ich Dir nicht gesagt, daß kein Blatt von den Papieren verrückt werden solle?“

„Ja, Sire; ich habe Alles in das Cabinet getragen.“

„Den Schlüssel!“

Zitternd reichte Santini den Schlüssel hin.

„Geh!“ fuhr Napoleon fort.

„Aber, Sire …“

„Geh auf der Stelle. Ich mag Dich nicht mehr sehen“

„Sire, verzeihen Sie.“

„Hinaus!“

Santini ging als trage er den Tod im Herzen. Er wußte nicht, was er beginnen sollte. Am zweiten Tage endlich entschloß er sich, dem Kammerdiener Marchand sich anzuvertrauen und durch diesen die Verzeihung des Kaisers erbitten zu lassen. Marchand versprach es und Santini wurde wirklich zu Napoleon berufen, der sich die Sache erklären ließ.

„Warum sagtest Du mir das nicht gleich?“ fragte er dann.

„Sire … Ihr Zorn.“

„Schon gut. Tritt Dein Amt nur wieder an.“

Santini.

Er blieb doch nicht lange in demselben. Es sollte ein Mordversuch gegen den Kaiser Napoleon gemacht worden, und die Thäter sollten von Corsica gekommen sein. Da nahm der Chef der Polizei auf Elba Santini bei Seite und sagte: „Das Attentat geht von dem neuen Gouverneur von Corsica aus; heute Nacht noch fahren Sie auf einer Feluke ab und landen ungesehen auf Corsica. Sie werden da Freunde und Verwandte haben; bereden Sie sich vorsichtig mit ihnen; lassen Sie eine geheime Polizei durch dieselben einrichten, welche den Gouverneur genau beobachtet; leiten Sie eine geheime Correspondenz zwischen Corsica und Elba ein, damit wir Alles erfahren und sorgen Sie namentlich, daß wir jedesmal Nachricht erhalten, wenn Jemand von Corsica nach Elba reiset.“

Um Mitternacht, bei Regenwetter, stieg Santini in einer versteckten Bucht, in Hirtentracht, an seiner heimatlichen Insel an’s Land. Er durchwanderte einen großen Theil derselben und gelangte endlich zu einem Oheim Voccheciampe, der zwar Napoleon, den Kaiser, haßte, weil er ihm einen Bruder als Verschwörer hatte erschießen lassen, aber, da er verbannt war, sein Leben für den unglücklichen Landsmann gegeben hätte. Von diesem Oheim erfuhr Santini so viel, daß er schon am nächsten Tage einen Vertrauten mit Nachrichten nach Elba schicken konnte, während er selbst mit der Ausführung der weitern Pläne beschäftigt blieb.

Der Polizei des Gouverneurs blieb es indeß auch nicht verborgen, daß ein Agent Napoleon’s auf der Insel sich aufhalte und sie bot Alles auf, um seiner habhaft zu werden. Santini wurde gewarnt, wagte sich aber sogar nach Bastia, in wechselnder Verkleidung, und verließ diese Stadt erst wieder, als er seinen Auftrag vollständig ausgeführt hatte. Er schiffte sich wiederum in der Nacht ein und gelangte glücklich nach Elba.

Santini war später mit thätig bei den Vorbereitungen zur Rückkehr Napoleon’s nach Frankreich; in den hundert Tagen übernahm er seinen Posten als Courier wieder und auf dem Northumberland, welcher Napoleon nach St. Helena führen sollte, treffen wir Santini ebenfalls. In der Nähe von Teneriffa, als es sehr heiß war, bat Cypriani seinen Landsmann Santini, ihm doch das Haar zu verschneiden. Es geschah dies auf dem Verdeck. Napoleon ging mit Gourgaud und Las Cases da auf und ab, und als er die Friseurarbeit Santini’s sah, blieb er stehen und sagte:

„Wenn Du fertig bist, schneide auch mir das Haar; aber wehe Dir, wenn Du es nicht recht machst!“

Er setzte sich in der That hin und Santini legte mit Zittern die Hand an das Haupt, das so glänzende Kronen getragen hatte. Er zitterte noch stärker, als der Kaiser nach dem ersten Scherenschnitte in sein Haar, freilich im Scherz, hinzusetzte:

„Haben Sie Acht, Gourgand; wenn der Corse einen Fehler macht, lasse ich ihn in das Meer werfen.“

Geschah es in Folge des Zitterns der Hand oder überließ sich Santini seinen Gedanken, genug, er schnitt den Kaiser leicht in das Ohr.

Er ließ vor Schreck die Scheere fallen, Napoleon aber parodirte lächelnd die bekannten Worte: „es schmerzt nicht“ und forderte den ungeschickten Friseur, der kein Friseur war, auf, fortzufahren.

Auf St. Helena war es Santini’s größter Kummer, daß es seinem Kaiser an geeigneten Speisen fehlte. Ob dies wirklich der Fall gewesen – es ist behauptet und bestritten worden – wollen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_625.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)