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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

vollendet – die ganze Erde ist dann mit einer weißen Decke überzogen. Hu, wie das treibt und wirbelt! Es ist kaum drei Uhr Nachmittags, und schon hat sich die Dämmerung eingestellt. Mag sein; wenn das liebe Weihnachtsfest kommt, dürfen Schnee und Frost nicht fehlen. Heute über acht Tage ist der heilige Abend.“

„Ich weiß es!“ sagte die Blinde. „Ach,“ fügte sie seufzend hinzu, „das Weihnachtsfest ist doch das schönste Fest im Jahre.“

„Und diesmal wird es in unserer Familie doppelt schön sein. Ich habe meinem Papa eine Ueberraschung vorbereitet, an die er sicher nicht denkt.“

„Könnte auch ich dem würdigen Manne eine Freude machen!“

„Sie können es, Cäcilie.“

„Aber wie?“

„O, es ist sehr leicht für Sie, wenn Sie nur meinem Rathe folgen wollen. Zugleich bereiten Sie auch Ihrer Mutter eine Ueberraschung, die sie unendlich glücklich machen wird. Darf ich Ihnen meinen Rath ertheilen?“

„Ich bitte darum.“

„Gut,“ sagte lebhaft Concordia, indem sie die Harfe bei Seite setzte und sich dann auf einem Kissen zu den Füßen der Blinden niederließ. „Sie sind von diesem Augenblicke an eben so vergnügt als ich, besuchen mit mir die Christmesse, die um sechs Uhr beginnt, und bleiben den Rest des Abends in unserm Hause, wo es recht heiter hergehen wird, ich habe dafür gesorgt. Sehen Sie, Cäcilie, darüber freut sich nicht nur mein Vater, sondern auch Ihre Mutter. Wollen Sie auf meinen Vorschlag eingehen?“

„Gewiß!“ sagte Cäcilie hastig. „Wir besuchen zusammen die Christmesse.“

„Und bei uns dürfen Sie auch nicht fehlen, denn Sie müssen meinen Bräutigam kennen lernen, den ich mir heimlich ausgesucht habe und nun meinem Vater zum Christfeste bescheeren werde.“

„Wer ist denn Ihr Bräutigam?“ fragte Cäcilie mit gewaltsam angeeigneter Ruhe.

„Nun, der Freundin darf ich mich wohl anvertrauen, sie wird nicht plaudern. Mein Bräutigam ist Karl, der Sohn des Amtmanns aus dem benachbarten G., das heißt des vor zwei Jahren verstorbenen Amtmanns, eines guten Freundes meines Vaters. Als der Amtmann starb, war Karl noch minderjährig, und nach der Bestimmung des Verstorbenen sollte die Stiefmutter, ein wahrer Drache, das schöne, reiche Gut bewirthschaften. Nun hat die Alte einen Heirathsplan: Karl soll nämlich die Tochter ihres Bruders heirathen, eines wohlhabenden Bauers in demselben Dorfe, damit der Amthof in der Familie bleibt, denn nach dem Testamente erhält die Stiefmutter nur eine Leibrente, mit der das habsüchtige Weib nicht zufrieden ist. Karl aber ist mit der Heirath nicht zufrieden, denn er will mich haben. Wir haben uns stets nur heimlich gesehen und gesprochen, um der bösen Wittwe keinen Anlaß zum Streite zu geben. Diese Woche nun wird Karl mündig und er hat keinem Menschen mehr Rechenschaft abzulegen. Am Christabende wird er bei dem Vater um meine Hand anhalten, Neujahr übernimmt er sein Gut, und Ostern wollen wir uns verheirathen. Das, liebe Freundin, ist mein ganzes Geheimniß.“

„Ach, wie glücklich sind Sie!“ seufzte die Blinde. „Sie können sich dem Manne anschließen, den Sie lieben!“

Dann versank sie in ein dumpfes Nachsinnen. Concordia erschrak über die plötzlich eingetretene Veränderung des bleichen Mädchens. Sie versuchte zu trösten und aufzuheitern, aber Cäcilie antwortete nur durch ein schmerzliches Lächeln. Plötzlich fuhr sie auf wie aus einem Traume.

„Concordia,“ flüsterte sie hastig, „es muß wohl ein köstliches Gefühl sein, sich als die Braut eines Mannes zu wissen, den man liebt und achtet. Nicht wahr, dann fühlt man sich nicht mehr einsam in der Welt, dann schweigt ein Gefühl der Angst und Sehnsucht, das die Brust mit unbeschreiblichen Qualen martert? Bei dem Klange seiner Stimme fühlt man sich leicht und froh – man weint nicht mehr vor Schmerz, sondern vor Freude und Glück – man gießt seine ganze Seele dem Bräutigam aus und empfängt dafür sein Herz voll inniger Liebe? Nicht wahr, das ist das Glück einer Braut? Nicht wahr, Concordia, habe ich Recht?“

Cäcilie brach in ein heftiges Weinen aus; sie umschlang mit beiden Armen den Hals der Freundin, und sank schluchzend an ihre Brust. Concordia konnte nicht länger mehr in Zweifel sein über den Seelenzustand der armen Freundin, und sie erklärte sich nun Alles, was ihr bisher ein Räthsel gewesen war.

In dem Vorzimmer ließen sich Schritte vernehmen; Cäcilie erkannte sie als die ihrer Mutter. Gewaltsam bekämpfte sie ihren Schmerz, und bat die Freundin, der Mutter den Gegenstand des Gesprächs zu verschweigen. Die Hofräthin trat ein. Bestürzt sah sie das von Weinen geröthete Gesicht ihrer Tochter.

„Es ist nichts!“ rief die Tochter des Pfarrers. „Fräulein Cäcilie hatte einmal wieder eine Anwandlung übler Laune, aber sie hat mir dennoch versprochen, die Christmesse zu besuchen und den heiligen Abend recht vergnügt bei uns zuzubringen!“

„Ja, Mutter,“ rief Cäcilie, indem sie ihr beide Hände entgegenstreckte – „ich habe es versprochen und werde Wort halten. Du wirst mich begleiten und sehen, daß ich wieder heiter bin!“

Das Schneegestöber hatte nicht nachgelassen und die Nacht war früh angebrochen. Concordia rüstete sich zum Heimwege. Die Hofräthin gab Befehl, den Wagen anzuspannen.

„Ich komme bald wieder,“ flüsterte Concordia der Freundin zu, „dann sprechen wir mehr; aber um des Himmels willen verbannen Sie die Traurigkeit, Ihre gute Mutter grämt sich darüber!“

Concordia stattete noch einige Besuche ab, aber die Hofräthin ließ die beiden Mädchen nicht mehr allein, so daß ihnen die Gelegenheit fehlte, über das angeregte Thema zu sprechen. Man konnte nichts weiter verabreden, als die Zusammenkunft in der Kirche. Die letzten beiden Tage vor dem Feste hatte Concordia soviel zu thun, daß sie das Schloß nicht besuchen konnte. Es wurden Zimmer gescheuert, Kuchen gebacken und die Braten vorbereitet. Bei der Ankunft des Vetters sollte Alles vollendet sein. Das für ihn bestimmte Stübchen war prächtig eingerichtet, schneeweiße Gardinen schmückten die Fenster, eine wollene Decke lag auf dem Fußboden und in dem Ofen prasselte ein lustiges Feuer – der Freitag Abend kam, aber der Vetter blieb aus. Pastor Braun war wieder hergestellt, und um für den nächsten Abend auf alle Fälle gerüstet zu sein, bereitete er sich vor, die Christpredigt selbst zu halten. Auf Concordia’s Stirn las man den Mißmuth über diese Verzögerung.

„Das werde ich ihm gedenken!“ flüsterte sie, als der Vater bei dem schlechten Wetter die Ankunft des Gastes bezweifelte. „Man plagt sich seinetwegen ab, und nun wird man mit Undank belohnt!“

„Holla!“ dachte freudig der alte Pfarrer. „Das Mädchen ist ja Feuer und Flamme! Nun, Mütterchen,“ flüsterte er seiner alten Gattin zu, „hatte ich nicht Recht? Nächste Ostern ist Arnold Pastor und Concordia Frau Pastorin!“

„Wer weiß!“ war die lakonische Antwort.

„Arnold ist dem Mädchen gut, ich habe es bemerkt. Daß er nicht auf die Stunde eintrifft, ist kein Beweis –“

„Nun, es wird sich ja bald entscheiden!“

Den ganzen Sonnabend Vormittag herrschte eine gedrückte Stimmung in dem Pfarrhause. Pastor Braun saß in seinem Stübchen und studirte die Predigt, die er am Abend halten wollte, denn zu seinem großen Verdrusse bezweifelte auch er die Ankunft des Kandidaten. Mutter und Tochter richteten das große Zimmer her, um für den Abend die erwartete Gesellschaft zu empfangen. In dem Augenblicke, als die Familie das Mittagsessen einnehmen wollte, fuhr ein Schlitten vor die Thür. Concordia eilte an das Fenster.

„Der Vetter!“ rief sie.

Alles gerieth in frohe Bewegung. Concordia eilte auf die Hausflur hinaus, wo sie dem beschneiten und vor Kälte erstarrten Vetter entgegentrat, ihm dienstfertig Hut und Mantel abnahm, und ihn dann in das Zimmer brachte. Es ergab sich nun, daß der Schnee Weg und Steg versperrt und der arme Kandidat einen ganzen Tag länger auf der Reise zugebracht hatte. Dessen ungeachtet aber wollte er die Christpredigt halten. Gleich nach Tische betrat er sein erwärmtes Zimmer und bereitete sich vor.

„Vater,“ flüsterte Concordia, die nun wieder ihre heitere Laune erlangt hatte, „Vater, Du wirst nicht vergessen, morgen mit der Frau Hofräthin zu sprechen; sie geht diesen Abend mit Cäcilien zur Kirche, um den Kandidaten zu hören.“

„Ich setze voraus, mein Kind, daß die Predigt der Gemeinde gefällt –“

„Natürlich, Väterchen! Und auch außerdem bleibt es bei der Abrede: Du wirst bei Deinem künftigen Schwiegersohne wohnen?“

„Du hast mein Wort, Concordia!“

Das junge Mädchen eilte in die Küche, bereitete selbst einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_630.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2020)