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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 3. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Die weiße Rose.
Von A. v. W.
(Fortsetzung)


Franz ließ den Kopf auf die Brust herabsinken und starrte auf einen Ring, den er am Goldfinger seiner linken Hand trug. Julius beobachtete ihn mit großer Aufmerksamkeit. Plötzlich, als ob er einen Entschluß gefaßt, zog er seine Uhr und sagte.

„Die Zeit vergeht, und jede Minute ist kostbar. Franz, Du wirst mich zu Deinem Vertheidiger wählen. Noch gebe ich die Hoffnung nicht auf, Dich zu retten. Seit der Einführung der Geschworenen-Gerichte ist unsere Gerechtigkeitspflege in ein neues Stadium getreten, man kann nicht mehr mit einem Federzuge vernichten oder schaffen. Dem Kriegsgerichte fällst Du nicht anheim, da Du nicht mehr Offizier warst, als Du Dich der Sache des Volks annahmst. Ich kenne Dein Leben bis zu der Flucht, und wenn man Dir nichts weiter zur Last legen kann –“

„Nichts, nichts weiter!“ flüsterte Franz.

„Verzage nicht, und nun lebe wohl! Von jetzt an komme ich nur als Dein Vertheidiger, wir dürfen uns ferner nicht mehr mit dem Herzen, sondern nur mit dem Verstande unterhalten. Also, Franz, hast Du dem Freunde noch etwas anzuvertrauen, so rede jetzt!“

Beide erhoben sich von dem Bette.

„Julius,“ sagte der Gefangene ernst und fast feierlich, „es gab eine Zeit, wo Du Dich um die Liebe meiner Helene bewarbst, denn Du wußtest nicht, daß der Freund schon das Glück ihrer innigen Zuneigung genoß. Du tratest zurück, Deinen Schmerz bekämpfend, aber Du bliebst mein Freund, und bewahrtest Helenen die Hochachtung, die sie Dir aufgelegt. Wie mußte ich Dich lieben und achten, Julius, als ich Deinen Kampf mit dem Geschicke sah –“

„Und ich bin aus diesem Kampfe siegreich hervorgegangen!“ rief mit strahlenden Blicken der junge Advokat. „Wie Du mir ein Freund, so ist jetzt mir Helene eine Freundin, deren Glück zu befördern, ich für Pflicht erachte, und ich weiß, daß sie in Deinem Besitze all ihr Glück findet. Ich sah im Voraus den Verlauf der politischen Dinge, deshalb trat ich damals zurück, als der Feuereifer zu den Waffen griff und blindlings eine gefährliche Bahn verfolgte. Aber ich habe meine Gesinnung deshalb nicht geändert, ich wirkte nach meiner Weise im Interesse der guten Sache. Es mußte eine Zeit kommen, wo man redlicher Advokaten bedurfte, Männer, denen es nicht an Muth und Geschicklichkeit fehlte, sich der Unterdrückten und Besiegten anzunehmen – für diese Zeit, Franz, habe ich mich vorbereitet, und jetzt ist sie da, aber auch ich stehe an meinem Platze, jetzt kämpfe ich für die, die mich damals mit scheelen, argwöhnischen Augen betrachteten. Nicht nur aus Ueberzeugung trete ich vor die Schranken des Gerichts, sondern auch weil es meine Ehre erfordert.“

„Der Himmel segne Dein Bemühen, wackerer Mann! Doch jetzt höre den letzten Wunsch des Freundes. Du kennst das Band, das mich an das Leben fesselt, prüfe es statt meiner, Julius, und findest Du, daß es zu schwach ist, mein Glück zu machen, so laß mich als ein Opfer meiner Gesinnung, unserer Freiheit fallen!“

„Ich verstehe Dich, armer, armer Freund! Doch hoffe, und sei guten Muthes, Helene kann Dir nicht untreu werden, denn sie besitzt ein muthiges Herz, das allen Gefahren trotzt.“

Die beiden Freunde konnten nicht weiter reden, sie mußten die aufsteigenden Gefühle in ihrer Brust verschließen. Ein Aufwärter trat mit dem Abendessen des Gefangenen ein. Schweigend reichte Julius dem bleichen Franz die Hand, und verließ rasch den Kerker.

„Ich esse nicht!“ sagte der Gefangene. „Aber wollen Sie mir eine Gefälligkeit erzeigen, so lassen Sie mir das Licht zurück,“

„Mit Freude würde ich Ihren Wunsch erfüllen, wenn es mir gestattet wäre!“ war die Antwort.

Franz winkte, und auch der Wärter entfernte sich. Rasselnd schloß sich die Thür - der Gefangene sank auf sein Lager.

V.

Zwischen Mutter und Sohn war seit jenem heftigen Auftritte ein eigenthümliches Verhältniß eingetreten. Die Commerzienräthin beobachtete eine erzwungene Freundlichkeit, sie war selbst zuvorkommender als sonst, und behandelte Helenen mit einer Art Leutseligkeit, als ob sie Mitleiden mit der gedrückten Gemüthsstimmung derselben fühle. Robert hingegen hatte seine Lebhaftigkeit verloren, und er vergaß zwar nie die Achtung gegen seine Mutter, aber er verfolgte jede ihrer Handlungen und Anordnungen mit einem Argwohne, den er kaum geheim zu halten im Stande war. Er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß seine Mutter, deren Ehrgeiz durch den Aufenthalt in der Residenz angestachelt war, aus Liebe zu ihm einen Plan aufgeben würde, der sie mit der höchsten Sphäre in eine so nahe Verbindung brachte; sie fügte sich, seiner Ansicht nach, entweder aus Furcht vor der ausgesprochenen Drohung, oder aus Klugheit. In beiden Fällen war er entschlossen, Alles aufzubieten, denn mit den Schwierigkeiten, sie sich seiner Ansicht entgegenstellten, erschien ihm Helene nicht nur reizender, auch seine Leidenschaft verlor völlig die Sinnlichkeit, von der sie bis dahin nicht frei gewesen war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_029.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)