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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

sättigt. Diese Periode muß ein Kleidungsstück bei der Familie Verdurst durchmachen. Der Name Verdurst ist nicht etwa von einem Pariser erfunden worden, der begreiflicherweise Meurt-de-Soif spricht – sondern diese Familie und ihr Name existirt wirklich; sie wohnt im sechsten Arrondissement; sie beschäftigt sich ausschließlich mit dem Aufkaufe alter Kleider nach ganzen Hunderten, nach Centnern; flickt sie aus und verkauft sie wieder an den Barrieren.

Du lieber Himmel, was wissen Sie von wohlfeilen Sachen! Die Gebrüder Verdurst verkaufen ihre Kleider Abends beim Fackelschein, licitando an den ersten besten Meistbietenden … „mit Verlust,“ wie sie sagen. Da können Sie einen vollständigen Anzug aus Human’s, Blanc’s oder Morbach’s Werkstatt um 3 Francs bekommen und haben überdies noch Gelegenheit, einige Proben von Geist, Witz und Gelehrsamkeit der Gebrüder Verdurst in den Kauf zu nehmen. Es giebt nichts Komischeres als ihre Anpreisungen; ich kann Ihnen ein Muster davon geben:

„Sehen Sie, meine Herrn! Dieser Frack gehörte einem russischen Fürsten, der darin die Eroberung einer Tänzerin der Grande-Chaumière gemacht hat. Später war er der Gegenstand der Bewunderung aller Stammgäste der Closerie-des-lilas auf dem Rücken eines sehr berühmten Hühneraugen-Doctors. Mit demselben Fracke hat später der Kammerdiener eines Mylord eine Statistin der Delassements entführt, weil sie ihn darin für seinen Herrn hielt. Der Frack kam in unsere Hände, weil der Kammerdiener sich zu Grunde richtete dadurch, daß er seiner Geliebten zu oft eingemachte Pflaumen kaufte. Nun sehen Sie! Trotz aller dieser glorreichen Andenken, trotz aller der darin gemachten Eroberungen, gebe ich Ihnen diesen meisterhaften Frack für 3 Francs. Die Herren, welche ihr gutes Glück gern versuchen, mögen es sich gesagt sein lassen.“

Der Frack wird mit 3 Francs ausgerufen; nach und nach fällt er auf 30 Sous herunter. Die Hose wird zu einem Frank losgeschlagen und die Weste für 10 Sous. Uebrigens sind die Gebrüder Verdurst eben so oft die Käufer als Verkäufer eines Kleidungsstückes. Wenn man sich diese Fetzen ankauft, so geschieht es nur auf wenige Tage. Am Montage verkauft man oft wieder, was man am Samstage gekauft hat. So kommt ein Kleid wohl 20 Mal zu den Verdurst’s zurück, die sich immer wieder ein kleines Geschäftchen und einen Profit daraus machen.




Aus der Mappe eines Malers.

Der letzte Ritt St. Arnaud’s.

Von meiner pariser Kunsthandlung aufgefordert, hatte ich mich mit nach der Krim eingeschifft, wo endlich Aussicht war die Mappe zu füllen, nachdem man so lange in Varna brach gelegen hatte. Wenn es drüben nichts als faule Zeit gegeben hatte, so hatte der Stift dafür hier desto größere Auswahl, Bilder im Großen und im Kleinen. Ich greife auf Geradewohl in meine Mappe, um Ihnen Etwas zugehen zu lassen.

Mein erstes Bild zeigt den Marschall St. Arnaud bei seinem letzten Ritte. Die Krankheit St. Arnaud’s hatte schon bedeutende Fortschritte gemacht, als er in der Krim anlangte. Trotz heftigem Fieber stieg der Marschall am Tage der Schlacht an der Alma zu Pferde, hielt sich dreizehn Stunden auf demselben und verheimlichte seinen schmerzensreichen Kampf mit der Krankheit, die ihn aufrieb, mit einer an’s Unglaubliche grenzenden Willenskraft. Erst als die Kräfte seines Körpers mehr und mehr schwanden, ließ er sich durch zwei Reiter auf dem Pferde halten. Er wollte, wie es scheint, den Tod auf dem Schlachtfelde um jeden Preis suchen und er soll sogar mehrmals ausgerufen haben: „Giebt es denn keine Kugel heute für mich?“ Bekanntlich erbarmte sich seiner keine russische Kugel; er erlag der Krankheit, mit der er gerungen. Ich sah ihn eines Tages, wie er matt und kraftlos, von zwei Reitern gehalten seiner Wohnung zuritt, wo er todtkrank vom Pferde gehoben und auf sein Feldbett getragen werden mußte. Er war kein großer Feldherr, aber ein tüchtiger Soldat.

In dem Drastischen eines großen Kampfes finden sich immer auch komische Parthien, und ein Maler möchte sich wirklich hundert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_052.jpg&oldid=- (Version vom 23.1.2023)