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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

geben vermochte. Da sie es mit zartem weiblichen Verständniß bald herausfühlte, daß ihr Vater sich über Bertram Vorwürfe machte, so hörte sie auch auf, seiner vor ihm zu erwähnen, aber es war als habe in diesem Schweigen sich sein Bild nur um so tiefer in ihr Herz gegraben. Sie errichtete ihm da einen stillen heiligen Altar, vor dem sie alle ihre Gebete verrichtete, und den sie nicht müde war, mit duftenden Blüthen und süßem Weihrauch ihrer Gefühle zu schmücken.

So war Mächthilde längst zur sinnigen Jungfrau erblüht. Als das einzige Kind eines der reichsten und angesehensten Rathsherren in Lübeck, würde sie zahlreiche Freier gefunden haben, auch wenn ihre Tugend und Schönheit geringer gewesen wäre als ihr Rang und Reichthum. Denn auch damals schon in der guten alten, fast kindlichen Zeit, fiel das Vermögen eines Mädchens gewichtig in die Waagschale ihrer Bewerber, und indeß oft das sittsamste und liebenswürdigste Mädchen einsam verblühte, weil es arm war, sah sich die reiche Erbin von zahlreichen Freiern umlagert, einerlei, welche Eigenschaften sie sonst besaß. Aber Mächthilde’s Reichthum war nicht größer als ihre Schönheit, nicht größer als ihre Tugend. Ihre blauen Augen strahlten nicht umsonst von lauter Liebe und Güte, sie bewährte diese durch ihr ganzes Wesen, durch alle ihre Handlungen. Um ihren Vater und durch das ganze Haus waltete sie wie ein Engel der Liebe. Kein Bittender ging unerhört von ihrer Thür, kein Unglücklicher nahte ihr, dem sie nicht Trost zu geben, kein Hülfesuchender, dem sie nicht Hülfe oder doch Rath zu schaffen wußte. Im Kreis ihrer Gespielinnen war sie diejenige, die Alle suchten und die gleichwohl Keine beneidete, weil eine jede von ihrem liebreichen, bescheidenen, oft hingebenden und aufopfernden Wesen gefesselt war und ihr willig alle die Vorzüge gönnte, welche sie besaß und doch niemals anders geltend machte als eben nur Anderen wieder dadurch Freude zu machen. Bei so vieler weiblicher Milde, zartem Sinn und Tiefe der Empfindung befremdete nur Eines: daß sie vierundzwanzig Jahr alt geworden und noch immer jeden Bewerber zurückgewiesen hatte. Und es war doch mancher edle Jüngling darunter, der sie wahrhaft liebte, den nicht allein ihre Schätze reizten, mancher, der schon selbst eine große Handlung und einen bekannten Handelsnamen besaß und nicht erst durch den Herrn Meßmann ein gutes Geschäft zu machen brauchte, mancher ehrsame Bürger, der mit zu Rath saß und dem Nichts fehlte zu seinem Glück als eine ehrsame Hausfrau, mancher stolze, stattliche Ritter, der sich weder daran stieß, daß sie kein Edelfräulein war, noch die Güter ihres Vaters verlangte, der allein sie selbst begehrte, um sie heimzuführen auf sein stattlich Schloß, zu seiner hochgeehrten Edelfrau sie zu erheben. Aber sie wieß Einen wie den Andern ab und sagte nie einen andern Grund für ihr Nein, als daß sie in ihrem Herzen nicht die Minne fühle, ohne welche sie die Hand des Bewerbers nicht annehmen könne.

Herr Meßmann ließ seiner Tochter wohl in allen Stücken ihren Willen – und wenn sie so schnell einem Freier mit dem gewohnten „Nein“ antwortete, so dachte er, ihre Stunde ist noch nicht gekommen. Aber wie sie es Jahre lang so forttrieb und Manchen abwieß, den er gern zum Schwiegersohn gehabt hätte, da ward er oft unwillig über die spröde Tochter und fragte sie ernstlich: ob sie denn eine alte Jungfer werden oder gar in ein Kloster gehen wolle? – Da legte sie die kleine freibewahrte Hand auf die hochklopfende Brust und sagte seufzend: „Wie der Himmel will!“ aber weiter sagte sie Nichts. Sie legte weder ein Gelübde ab, unvermählt zu bleiben, noch sprach sie davon, da ihr Herz eine Wahl getroffen – sie sagte nur, daß es noch für keinen dieser Bewerber gesprochen und daß sie so lange Nein sagen werde, bis ein sehnsüchtiges Klopfen ihres Herzens zuvor Ja gesagt. – Und dabei blieb sie, ob auch der Vater sie wohl gar im aufwallenden Zorn deshalb eine Närrin schalt, und die alte Martha, die es schon lange nicht erwarten konnte, ihre schöne Pflegbefohlene unter die Haube gebracht zu sehen, mißbilligend den Kopf schüttelt und meinte: das komme davon, daß Mächthilde Lesen und Schreiben gelernt und solch’ eine gelehrte Erziehung erhalten, da wolle sie nun anders sein als andere Mädchen und warte wohl gar auf irgend einen verzauberten Prinzen, von dem sie durch die Lieder der Minnesänger und Fidelspieler gehört.


III.

Eines Tages, da Herr Meßmann unter seinen Rechnungen und Briefen vergraben saß und eben diejenigen durchsah, welche ihm schon seit ein paar Jahren ein liefländischer Kaufmann, Namens Morgowitsch, über See mit vielen Waaren und großem Gut gesendet hatte, trat ein Fremder bei ihm ein, der eines geringen seefahrenden Mannes Kleidung trug. Er brachte ihm Briefe von Herrn Morgowitsch, zu den Waaren gehörig, welche er von diesem hierher geleitet und die eben im Hafen von Lübeck ausgeladen wurden. Der Ueberbringer meldete, daß sein Herr ihm bald selbst nachfolgen werde, um seinen Geschäftsfreund kennen zu lernen, und daß auch er selbst um Herberge bitte, da er zum ersten Male in Lübeck und daselbst fremd und unbekannt sei.

Herr Meßmann sagte ihm dies gerne zu und war hocherfreut, daß er Herrn Morgowitsch nun auch bald persönlich kennen lernen sollte, da er im Handelsverkehr mit ihm nicht nur durch ihn selbst beträchtlich gewonnen, sondern auch oft Gelegenheit gehabt hatte, von dem Geschick, den achtungswerthen Grundsätzen und der Großmuth dieses liefländischen Handelsherrn sich zu überzeugen, weshalb er sein liebster Geschäftsfreund geworden war.

In Meßmann’s Hause war immer offene Tafel und so waren auch an dem Abende, wo der fremde Bootsmann gekommen, eine Menge Gäste zugegen. Herr Meßmann nahm auch diesen mit an seine Tafel zu seinen andern Gästen, da er aber ärmlich und schlecht gekleidet war, setzte er ihn unten an. Mächthilde war auch zugegen, und es wollte Allen bedünken, sie hätten die herrliche Jungfrau nie schöner gesehen, als an diesem Abend. Sie trug ein schwarzes Sammetkleid mit weißer breiter Krause um Hals und Brust, das am Leibchen und um die Hüften glatt anliegend ihren hohen und vollen Wuchs abzeichnete. Ihr üppiges Haar, das sie im Nacken mit einem Pfeil aus purem Gold aufgesteckt, beschämte fast diesen noch an Glanz und ließ sich auch nicht ganz von ihm halten, sondern wallte widerstrebend auf die weißen Schultern hernieder.

Als der Bootsmann bald nach ihr eintrat, ließ er seine Blicke lange auf der herrlichen Erscheinung ruhen und senkte sie dann wie geblendet davon zu Boden – sie aber fuhr zusammen vor seinem Anblick, daß es alle bemerkten, die ihre Blicke wohlgefällig auf sie gerichtet hatten – und nun war sie noch einmal so schön durch dies Beben ihrer ganzen Gestalt, diesen strahlenderen Glanz ihrer Augen, diesen rosigen Verklärungsschauer, der über ihr liebliches Antlitz sich ergoß. Sie bezwang ihre Verwirrung und setzte sich still auf ihren Platz obenan. Der Bootsmann setzte sich bescheiden an das untere Ende der Tafel. Er war ein schöner, kräftiger Mann, aber das unordentliche Haar und der wirre Bart, obwohl auch von einer wunderbar goldenen Farbe, gaben ihm ein etwas rauhes Ansehen, das seine schlechte Seemannskleidung noch vermehrte. Um seines angesehenen Herrn Willen und da er weit her kam, überhäuften ihn die Gäste aber alle mit Fragen, die er so gut unterrichtet und in so wohlgesetzten Worten beantwortete, dabei noch so vieles Lehrreiche und Wunderbare erzählte, daß Alle meinten, sich lange nicht so gut unterhalten zu haben.

Bei solchen heitern Gastmählern war es Gewohnheit der damaligen Zeit, daß die Gäste den Wein selbst bezahlten. Einer von ihnen sammelte das Geld ein und sandte dann einen Diener damit in das Weinhaus. Da nun der Gewohnheit gemäß die silberne Schaale zum Einsammeln herumgereicht ward und auch an den Bootsmann kam, wollte dieser nicht der Geringste sein und legte so viel auf, als alle Andern zusammen. Darüber verwunderten sich Alle und fragten nach seinem Namen. Er bat aber, sie möchten warten bis morgen Mittag, da wolle er sagen, wer er sei.

Mächthilde, die sich sonst immer zeitig aus dem Kreis der Gäste zu entfernen pflegte, blieb diesmal viel länger als sonst bei der Tafel und hörte den Reden des Bootsmanns mit strahlenden Augen zu, aber selbst sprach sie viel weniger als sonst, und wenn Jemand sie etwas fragte, vermochte sie nur mit gepreßter Stimme zu antworten. Da es endlich spät geworden, ging sie in ihr Kämmerlein, fiel auf ihre Knie und betete:

„Vater im Himmel, o laß es keinen Traum, keine Täuschung sein!“

Dann warf sie ihre Kleider ab, denn es war ihr, als sei Alles zu eng und ihr Herz habe nicht mehr Raum zu seinem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_072.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)