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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

der russischen Infanterie, Aide-de-Camp-General, erstes Mitglied des Regierungs-Senates für politische Oekonomie, General-Gouverneur von Neu-Rußland und Bessarabien, Chef-Commandeur von Georgien, Armenien und dem russischen Kaukasus und Chef-Commandeur aller kaukasischen Armeen. Im Jahre 1845 ward er zum Lohne für seine Einnahme der Festung Dargo in den Fürstenstand erhoben. Man sieht daraus, daß Fürst Woronzow die eigentliche Seele des ganzen Theiles von Rußland ist, welches um das schwarze Meer herum nach der Türkei vordrängt, also die wichtigste Persönlichkeit in dem früher oder später sich entscheidenden Kampfe um das schwarze Meer und die „orientalische Frage.“ Irren wir nicht sehr, so hält sich der Fürst augenblicklich in Dresden auf, nachdem er im vorigen Jahre einen längeren Urlaub erhalten.

Die Krim-Küsten-Gegenden und Alupka glänzen noch von einigen andern Palästen russischer Großen, der vielfensterigen Sommer-Residenz der Kaiserin, Orimeda, Nuschor, Gallitzin, und den kleinen Städten Yalta, Urzuff u. s. w. Dazwischen zerstreuen sich eine Menge kleine Tatarendörfer, halb versteckt in Felsen und unter Bäumen. Man findet jetzt aber größtentheils nur Weiber und Kinder darin. Die Männer arbeiten mit mehr als 2000 Karren und Wagen zwischen Perekop und Sebastopol auf einem fast ununterbrochenen Strome von Lebensmitteln und Soldaten für Sebastopol. So grausame Dinge man auch von der Behandlung russischer Soldaten gehört hat, man läßt sie wenigstens nicht muthwillig verhungern, erfrieren, thatsächlich in Schmutz und Ungeziefer umkommen, wie die englische Aristokratie ihre Söldner.

Aus den Krim-Palästen der russischen Großen nach den Zelten oder Hütten der Alliirten ist jetzt nur ein kleiner Sprung. Ich lege Ihnen eine Abbildung der letzteren bei. Männer, die sich, was Reichthum anlangt, wohl mit dem Fürsten Woronzow messen können, sehen den Besitz einer solchen Hütte jetzt für einen Hochgenuß an, den sie nicht um Tausende hingeben würden. Die Kälte erreicht Nachts nicht selten 10–15 Grad, der Frost packt und zerbröckelt die Glieder auf die furchtbarste Weise und die Nichtswürdigkeit der englischen Verpflegungsbeamten hat dafür gesorgt, daß Offiziere und Gemeine unter gleichen Martern des Hungers und Frostes zusammenstürzen und wie das Vieh auf dem Felde verenden. Aus den Laufgräben zurückkehrend, nur noch in Lumpen gehüllt, nichts auf, nichts in dem Leibe, fanden die von Frost Erstarrten bis jetzt nicht einmal eine Stätte, wo sie sich wärmen und dem müden Leibe eine erquickende Ruhe gönnen konnten. Leichte Zeugzelte, die jeder Windstoß bewegte oder Erdlöcher, über die nothdürftig eine Decke gespannt lag, empfing die Heimkehrenden, die dem gewissen Untergang entgegensahen. Es bedurfte erst des qualvollsten Sterbens von Tausenden und des energischen Aufschreis der Presse, ehe man Anstalten traf, den Kindern des Landes gerecht zu werden. Jetzt endlich soll’s besser werden. Von Frankreich sowohl – (denn auch aus dem französischen Lager könnten haarsträubende Liederlichkeiten berichtet werden, wenn die französische Presse nicht geknebelt wäre) wie aus England sind hölzerne Baracken abgeschickt worden, wovon bereits einige Ladungen ankamen und unendliche Freude bei den armen Leuten anrichteten. Sie sind zweckmäßig und meist auf zwanzig Mann eingerichtet, einige zwanzig Fuß lang und fast eben so breit. Eine Art Pritsche giebt dem Schlafenden ein ziemlich bequemes Lager, wobei ihm der Tornister als Kissen dient. Die Franzosen besitzen außer den hölzernen Baracken auch noch Zelte aus Weidengeflecht, die sie mit einer Art Theer bestrichen und dadurch luftdicht und warm machen. Der Himmel gebe den Armen dort recht bald warme Sonne und ein besseres Quartier, denn auch jetzt noch sind sie so vielen Qualen und Martern ausgesetzt, daß mehr als menschliche Geduld und Soldatendisciplin dazu gehört, um das Alles ruhig zu ertragen.




Etwas Naturgeschichte.
Nr. 5. Der Condor.

So groß auch der Nutzen der Menagerien ist, indem sie dem wißbegierigen Forscher die Thiere vor Augen führen, welche er außerdem blos aus Büchern oder aus ihren in Museen aufbewahrten Ueberresten kennen lernen würde, so muß man doch gestehen, daß sie der Romantik verderblich geworden sind. Die übertriebenen Körperdimensionen, welche Reisende gewissen Vögeln und vierfüßigen Thieren, ja sogar Menschen zugeschrieben haben – theils weil sie die betreffenden Gegenstände selbst nur aus der Ferne sahen, theils weil sie sich auf die lügenhaften oder auch nicht richtig verstandenen Aussagen der Eingeborenen verließen – schrumpfen zusammen, wenn das lebende Geschöpf vor die Augen des Beschauers tritt.

Wie Viele, die von der fabelhaften Größe des Condor gelesen, haben sich bei dem ersten Anblick dieser Vögel, die schon so lange im Garten der zoologischen Gesellschaft zu London gehegt werden, sehr enttäuscht gefühlt. Gewöhnlich liest man in Naturgeschichten, nicht blos für Kinder, sondern auch für große Leute, daß der gewaltige Geier der Andes mit ausgebreiteten Flügeln achtzehn Fuß messe. Der der zoologischen Gesellschaft angehörende männliche Condor, ein sehr schönes Exemplar, mißt aber von einer Flügelspitze zur andern nicht mehr als eilf Fuß, und seine Länge beträgt nicht über vier Fuß neun Zoll.

Im Naturzustande liegen die Eier des Condors, wie man behauptet, auf dem nackten Felsen ohne Reiser oder Stroh und nicht einmal durch einen Rand geschützt. Hier in einer Höhe von zehn bis fünfzehntausend Fuß über der Meeresfläche athmet der junge Vogel zuerst die reine, dünne Luft. Es vergeht über ein Jahr, ehe er hinreichend flügge ist, um die Mutter verlassen zu können. Gegen das Ende des zweiten Jahres ist die Farbe ein gelbliches Braun, und erst dann beginnt die Halskrause hervorzutreten. Der völlig ausgewachsene Condor sieht schwarz. Höher fliegend als irgend ein anderer Vogel, so daß sie von der Erde aus oft nur noch wie ein schwacher Punkt erscheinen, kreisen sie über den Thälern und lauern mit ihren teleskopischen Augen auf den Sturz eines alten schwachen Pferdes, einer Kuh oder eines angeschossenen Wildes. Dann schießen die Condors herab zum Schmause. Bei ihrer Leckerhaftigkeit fangen sie gewöhnlich mit der Zunge und den Augen des gefallenen Thieres an, die Wuth eines durch langes Fasten in der hohen frischen Luft geschärften Hungers läßt sich aber nicht so leicht beschwichtigen. Der Vogel verschlingt, schwelgend an der reichbesetzten Tafel, welche der Tod ihm in der Wüste gedeckt, nachdem er das Fell des Thieres mit seinem scharfen Schnabel aufgerissen, ein Stück Eingeweide und Fleisch nach dem andern, bis er sich so vollgefressen hat, daß er nicht sogleich wieder auffliegen kann.

Dies wissen die Indianer recht wohl, und wenn sie Lust zu einer Hetzjagd haben, so werfen sie ein todtes Pferd oder ein Kuh an eine geeignete Stelle und warten ruhig den Schmaus ab, der von den Condors, von denen einige fast stets auf der Lauer schweben, ganz gewiß besucht wird. Wenn sie sich tüchtig vollgefressen haben und einander mit gefräßigem Ernste anschauen, kommen die Indianer mit dem todtbringenden Lasso herbei. Nun findet ein wild anregendes Schauspiel Statt, welches das Herz des Jägers kaum weniger erfreut, als ein Stiergefecht. Die Lasso’s werden mit mehr oder weniger Glück geworfen. Einige der Vögel fangen sich in der Schlinge, andern gelingt es noch mit Mühe und Noth davon zu kommen; wenn aber ein Condor gefangen wird, so findet noch ein Kampf Statt, und zwar ein heftiger, ehe er erlegt wird, und die Geschichten, die man sich von der Zähigkeit seines Lebens erzählt, wären geradezu unglaublich, wenn sie nicht durch glaubwürdige Augenzeugen bestätigt würden.

Humboldt war einmal zugegen, als die Indianer die Lebenskraft eines lebendig gefangenen Condors zu besiegen suchten. Nachdem sie ihm einen Lasso um den Hals geschlungen, hingen sie ihn an einen Baum und zerrten ihn mehrere Minuten lang aus Leibeskräften an den Beinen, auf eine Weise, die dem geübtesten Henker Ehre gemacht haben würde. Nachdem die Execution anscheinend vorüber war, ward der Lasso abgenommen, und siehe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_098.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2023)