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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

– Ich gestehe, die Wichtigkeit des Augenblicks – der Drang meines Herzens –“

„Nun, ich errathe es schon, es ist wieder die alte Geschichte.“

„Ja, freilich, ja, freilich, wenn Sie es so zu nennen belieben, Herr Gruner! Aber gebieten Sie einem Herzen Schweigen, wenn es, dem Strome seiner Gefühle folgend, von diesen überwallt.“

„Romanphrasen!“ brummelte der Alte vor sich hin, „Romanphrasen, die ich unter meinen Hirschen und wilden Säuen nicht gelernt habe.“

„Nichts als die Ergüsse eines treuen Herzens!“ sagte Freund Eduard sich verbeugend, „erlauben Sie, daß ich auf das Wohl von Fräulein Marie dieses Glas leere.“

„Von Herzen gern. Das Wohl meiner Tochter ist mir viel zu lieb, um nicht darauf Bescheid zu thun.“

„In der That, Fräulein Marie besitzt alle Eigenschaften einer guten Hausfrau.“

„Das Kind ist einfach und sittsam erzogen, die Natur hat mehr als die Kunst an ihr gethan,“ erwiederte nicht ohne einen Anstrich von Selbstbefriedigung der Förster.

„Ja, und sie würde sich gewiß als Bürgermeisterin sehr gut ausnehmen.“

„Wie so? Was wollen Sie damit sagen?“

Herrn Eduard brachte diese unerwartete Zwischenfrage ganz aus dem Conzept, so daß er seine Verlegenheit hinter einem langen Räuspern zu verbergen suchte.

„Sie fragen, was ich damit sagen will? – Ja, hm! – In der That. – Nun, Sie kennen ja wohl das Sprüchwort: tempora mutantur et nos mutamur in illis –

„Zum Kuckuck, was weiß ich von Ihren fremden Brocken, ich verstehe nur Jägerlatein.“

Der Gemeindeschreiber zupfte bei diesem etwas derben Einwande verlegen an seinem Halskragen, bevor er fortfuhr:

„Um mich also im verständlichen Deutsch auszudrücken, würde das Ebengesagte, mit Ihrer Erlaubniß, etwa folgendermaßen zu übersetzen sein:

„Die Zeiten ändern sich, und man kann nicht wissen, ob nicht ein gewisser Jemand, welcher in diesem Augenblick die Ehre hat, Ihnen gegenüber zu sitzen, durch den souveränen Willen seiner Mitbürger zu dem Posten eines Bürgermeisters berufen wird.“

„Hm! – Ist Alles möglich in dieser gesetzlosen Zeit. Aber wenn man Sie zum Bürgermeister macht, so folgt daraus noch nicht, daß es meine Marie auch werden muß, oder meinen Sie, Herr Eduard, daß bis dahin Ihre Volksbeglücker auch die Emancipation der Frauen durchgesetzt haben? Ho, ho! In der That, eine schöne Zukunft, der wir entgegengehen!“

„O, Sie verstehen mich nicht, ich meine nur, angenommen, ein gewisser Jemand würde Bürgermeister und Fräulein Marie fände sich nicht abgeneigt, diesem gewissen Jemand mit einer zarten Neigung entgegenzutreten, würden Sie dann wohl geneigt sein, die Hand dieses gewissen Jemand mit der Ihrer Fräulein Tochter für immer zusammenzufügen?“

So einfach auch der Charakter des alten Waidmanns war, so vermochte er doch nicht bei der sonderbaren Rhetorik, welche der Gemeindeschreiber entwickelte, ein lautes, etwas derbes Gelächter zurückzuhalten.

„Ha, ha! Sie sind doch in der That ein drolliger Kautz! – Für immer zusammenfügen? – Und mit einem gewissen Jemand? – Das ist ein ebenso ernsthaftes wie mysteriöses Ding, mein lieber Herr Eduard. Junge Mädchen haben ihre Launen, und man muß ihnen zu einem solchen Schritte Zeit lassen.“

„Diese Launen sind mitunter sehr sonderbar,“ sagte der Gemeindeschreiber, durch das Gelächter des Försters etwas gereizt, „und wenn die Wachsamkeit eines Vaters darüber einschläft –“

„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte der Alte sehr ernst.

„Nun, das Wohl von Fräulein Marien liegt mir am Herzen, und ich habe heute eine Entdeckung gemacht, welche hiermit in einem sehr engen Zusammenhange stehen dürfte.“

„So? – Bedenken Sie wohl, was Sie sagen!“

„Ich werde schweigen, wenn ich Gefahr laufen sollte, durch meine Worte Ihr Mißfallen zu erregen.“

„Zum Teufel, keine Winkelzüge! Ich bin ein alter gerader Mann, der die krummen Wege nicht liebt. Also heraus mit der Sprache, Herr! Was haben Sie für eine Entdeckung gemacht?“

Der Gemeindeschreiber räusperte sich von Neuem, that einen langen Zug aus seinem Glase und sagte dann mit einer Miene, in welcher sich die Erwartung über den Erfolg seiner Worte abspiegelte:

„Nun, meine Eröffnungen beziehen sich auf einen Herrn, welcher hier schon seit längerer Zeit damit beschäftigt ist, seine Malermappe zu füllen und dem das Glück zu Theil wurde, auch Fräulein Marie mitunter einige seiner Zeichnungen darlegen zu dürfen.“

„Wie, Ihre Mittheilungen betreffen Herrn Müller?“

„Herr Müller? – ja, da eben sitzt der Haken –“

„Wie so?“

Unser Freund faßte wieder nach seinem Halskragen und sagte, den Kopf in den Nacken werfend:

„Man hat im Interesse der Sicherheitspolizei sich veranlaßt gefunden, Nachforschungen über besagtes Individuum anzustellen, und ist dabei zu einer sehr wichtigen Entdeckung gelangt."

„Am Ende auch so ein verkappter Demokrat," murmelte der Förster.

„Keineswegs! – Ein ganz anderes Factum hat sich dabei ergeben."

„Wie?"

„Ja!"

„Nun?"

„Ein Factum, welches auf nichts Geringeres hinausläuft, als daß besagter Herr Müller keineswegs Müller, sondern Baron von Wildenhaupt heißt."

Der gute Eduard glaubte durch diese Mittheilung den Förster in große Verlegenheit zu sehen, und freute sich schon im Voraus des Triumphes, welchen er dadurch über denselben zu feiern Gelegenheit haben würde, aber er ward bitter enttäuscht. Die Züge des alten Mannes hatten sich krampfhaft zusammengezogen, sein Auge heftete sich zornglühend auf den armen Gemeindeschreiber. Seine breite Hand legte sich fest wie ein eiserner Ring um die seines Gesellschafters, und mit einer Stimme, deren Eiseskälte diesem eine Gänsehaut über den Rücken jagte, fragte er in einem dumpfen Tone:

„Baron von Wildenhaupt heißt der Fremde? – Nicht so? – Antworten Sie! Sagten Sie nicht Baron von Wildenhaupt?"

„Es thut mir leid," erwiederte der eitle, junge Mann, den leisen, jedoch vergeblichen Versuch machend, seine Hand der des Försters zu entziehen, „es thut mir leid, daß dieser Name über meine Lippen gekommen ist, denn, wie es scheint, habe ich Ihnen dadurch einen schlechten Dienst erwiesen.“

„Im Gegentheil. Ich bin Ihnen unendlich dankbar dafür und Marie wird es noch mehr sein.“

Diese Aeußerung fachte den entschwundenen Muth und das verlorene Selbstvertrauen des Gemeindeschreibers vom Frischen an und seine Eitelkeit baute einen neuen Plan auf bereits halb vernichtete Hoffnungen.

„Sie sprechen von Fräulein Marien’s Dankbarkeit," sagte er. „Hat mich denn etwas Anderes als die Besorgniß um deren Wohl veranlaßt, Ihnen diese vertrauliche Mittheilung zu machen?"

„Aber, wie kamen Sie hinter das Geheimniß?“

„Wie ich dahinter kam?“ sagte Eduard, die Augen verlegen zu Boden schlagend. „Nun, man hat so seine Mittelchen, die ein guter Polizeibeamter nicht außer Acht lassen darf. – Etwas spioniren, Freundchen, etwas spioniren – das wird nach unserem Katechismus als keine Sünde angesehen. Unsereins hat große Pflichten gegen den Staat und gegen die Gesellschaft zu erfüllen: beide wollen geschützt sein.“

„Weiter! Weiter!" sagte der Förster mit sichtbarer Ungeduld.

„Nun, sehen Sie, um das Wohl von Fräulein Marie besorgt, hatte ich schon längst beschlossen, diesen sogenannten Herrn Müller auf’s Korn zu nehmen."

„Daran haben Sie Recht gethan,“ sagte der Alte, indem sein Auge von Neuem zornig aufblitzte. „Der Verräther! – Ha, wenn meine Ahnung wahr wäre!“

„Wie gesagt also, einzig um das Wohl von Fräulein Marie zu wahren, die sonderbarer Weise eine auffallende Vorliebe für diesen Pseudo-Müller zu hegen scheint, begab ich mich heute in der Dämmerstunde, als ich besagtes polizeiverdächtiges Individuum abwesend wußte, nach seiner einsam gelegenen Wohnung, und nachdem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_102.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2019)