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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Schmarotzerpflanzen sind. Unser Humbug, unser Schwindel ist gemein, criminalistisch und reißt aus oder wird eingesteckt, der amerikanische ist Freiheitsübermuth, freie Kunst, Poesie und führt zur Million, auf der Menschheit Höhe, auf welchen bei uns blos Könige stehen. Barnum wurde viel betrogen, auch von einem deutschen Kompagnon, aber nie in seinem buntscheckigen Vagabundenleben kam jemals nur ein Gedanke an Betrug vor, wie ihn die Welt nicht haben will. Sein Leben ist reich an großen, edeln, humanen Zügen, an Generosität, an Beispielen, wie er Tausende von Dollars zur Thür hinauswirft, weil ihm die Annahme derselben gemein erscheint. Bekanntlich hatte er Jenny Lind für Amerika mit 800 Dollars für jedes Concert engagirt. In Havannah wurde Jenny Lind mit Zischen empfangen, weil den spanischen Granden das Entree zu hoch war. Sie endete mit einem südlich-glühenden Triumphe, und die Caballeros baten um mehr Concerte. Barnum wies die Herren ab. Ein Graf bot 25,000 Dollars. „Ganz Cuba hat nicht Geld genug, um meine Einwilligung zu erkaufen,“ sagt Barnum und weist den stolzen Spanier wieder ab. Das erste Concert der Jenny Lind fiel so erstaunlich glänzend aus, daß Barnum den Contract brach und ihr sofort für jedes Concert 1000 Dollars bot, statt der contractlich ausgemachten 800. Es war freilich nicht sein Schade, denn er verdiente dabei immer noch 535,486 Dollars, nachdem er der Sängerin 176,675 Dollars und alle Kosten ihrer glänzenden Unterhaltung und Reisen bezahlt hatte. Ein Wunder! Aber kein Wunder, wenn man bedenkt, daß die Billets verauctionirt und bis 225 Dollars pro Stück gekauft wurden.

„Ist Niemand hier, der so gefällig sein will, mich tüchtig durchzupeitschen?“ fragte zwar ein Mann, der bei einer solchen Auction auch zu hoch gegangen war, aber was half’s? Gegen Epidemien giebt’s keinen Schutz. Und der von Barnum meisterhaft präparirte Lind-Schwindel war eine Epidemie, welche ganze Städte dahinraffte.

„Da ist das Verdienst eines halben Monats,“ rief ein Fabrikmädchen, als sie das Billet zum Concert hingab.

Jenny Lind erfuhr dies zufällig, und schickte ihr einen goldenen Doppeladler (20 Thaler), wie sie denn überhaupt während ihrer 95 amerikanischen Concerte noch etwa 100,000 Thaler für Arme sang. Rührend ist die Geschichte von dem blinden Knaben, der nur von und für Musik lebte, und Meilen weit hergekommen war, um die Lind zu hören. Sie hörte davon und überschüttete ihn mit Zärtlichkeiten und Belohnungen.

Die Fackelzüge, die Vergötterungen, die Hunderte Equipagen vor ihrer Thür waren ihr zuwider und wies sie nicht selten ab. Aber den armen Vivalla und seinen Hund nahm sie an. Das ist eine rührende Idylle. Er hatte dem als Kunstreiter-Director herumziehenden Barnum früher als berühmter balancirender Teller-Dreher gedient. In der Concertzeit mit Jenny Lind fand er ihn nach vielen Jahren in Havannah wieder, abgerissen, auf der linken Seite vom Schlage gerührt, verstoßen von Allen, nur nicht von seinem Hunde, der noch sein Möglichstes that, ihn durch seine Kunststücke und Spinnen zu ernähren. Jenny Lind schickte ihm 500 Dollars von einem ihrer Wohlthätigkeits-Concerte, von dessen Ertrage 4000 Dollars an zwei Hospitale vertheilt wurden. Die Priester und Kinder derselben kamen dafür den folgenden Morgen mit Bannern und Fahnen in prächtiger Procession, zu danken. Sie ließ die Procession rund abweisen. Kurz darauf klingelt der arme Italiener, mit einem Körbchen gewählter Früchte und Thränen, daß er nun die Seinigen in der Heimath wieder sehen werde. Und wenn sie doch erlauben wollte, ihr seinen einzigen Freund zu zeigen – den Hund. Ach, er kann so wunderschön spinnen. Vielleicht freut sich die gute Dame, und dann habe ich ihr doch auch etwas gegeben.

„O, laßt den Mann kommen,“ ruft sie lebhaft, „er soll den Hund mitbringen. Armer Kerl, es wird ihn so glücklich machen!“

Vivalla wird zu einer bestimmten Stunde bestellt. Eine volle halbe Stunde vorher sitzt Jenny Lind am Fenster und wartet. Wie sie ihn ankommen sah, springt sie hinunter und öffnet ihm die Thüre selbst.

„O, das ist sehr schön von Ihnen, daß Sie kommen und den Hund mitbringen. Folgen Sie mir. Ich will das Spinnrad tragen, und so nimmt sie das Spinnrad und führt den glücklichen invaliden Balancir-Teller-Dreher in ihr Putzzimmer, ruft ihre Umgebung zusammen und läßt den Hund spinnen und Kunststücke machen, die er diesmal mit seltener Präcision ausführt. Jenny kniet nieder, nimmt den vierbeinigen Kollegen auf den Schooß und liebkost ihn mit freudigster Herzlichkeit. Der Hund ist ganz glücklich und versucht ihr alle Augenblicke in’s Gesicht zu lecken. Vivalla steht daneben mit der Mütze in der einen Hand und mit der andern die Freudenthränen abwischend, während er mit dem Munde von einem Ohr bis zum andern lacht. Nun singt sie für ihn und spielt für ihn und fragt nach seinen Lieben in der weiten Heimath und nötigt ihn, Erfrischungen zu nehmen, die er kaum dem Namen nach kennt und trägt ihm dann das Spinnrad wieder hinunter und schickt’s ihm nach mit einem Bedienten und giebt ihm die Hand und dem spinnenden Künstler einen allerliebsten Patsch auf den klugen Kopf.

„Armer Vivalla!“ setzt Barnum hinzu. Wahrscheinlich war er nie in seinem Leben so glücklich gewesen, aber seine Freude war nicht größer, als die von Jenny Lind. Diese Scene allein würde mich für alle meine Mühen während der musikalischen Campagne belohnt haben.

Das ist kein Humbug. Das verstehen wir gemüthlichen Deutschen vollkommen. Es war dem Schwindel-König hier um’s Herz, wie so oft in seinem Buche, und er hat es gefühlt und sehr hübsch in Holz schneiden lassen.

Das Buch Barnum ist nicht arm an treu-menschlichen und humanen Zügen, aber reich an That, Witz und Abenteuer der originellsten Art und als solches schon allein eine der lebenslustigsten Bereicherungen aller komischen Literatur. Als solches ist es ein Schatz, gleichviel ob wir Barnum als unmoralischen Glücksritter über die Achsel ansehen oder in ihm den Menschen und Millionär verehren,

Phineas Taylor Barnum ward gleich nach dem großen amerikanischen Freiheitsfeste, am 5. Juli 1810, dem Capitain, Schneider, Schenkwirth, Dorfrichter und Spaßvogel Ephraim Barnum in Bethel als Enkel und dem Sohne desselben, Philo, als Sohn geboren. Er hatte vierzehn Tanten und Onkels, lauter Spaßvögel. Unter ihnen und listigen, lustigen Jugendgespielen wuchs er auf, Kühe hütend, Holz tragend, pflügend, Heu, aber noch viel lieber Humbug machend. Bald, d. h. schon vor dem zwölften Jahre, handelte er Sonntags mit Näschereien und half im zwölften Jahre Schweine nach New-York treiben. Sein Vater legte auch einen Kramladen an, worin er Bursche und Diener ward. Hier kauften die Leute oft für Waaren. Zucker für ein Paar Felle, Kaffee für Käse, wobei es Grundsatz war, falsche oder zu wenig Waare für falsche und zu wenig zu geben, so daß der gegenseitige Betrug sich aufhob und gleich Ehrlichkeit war. Man hätte von beiden Seiten direkt ehrlich sein können, aber das war zu nüchtern ohne Spaß und Humor im Geschäft. Auf dem Lande in Amerika ziehen große Heerden von „Hausirern“ mit Einspännern herum, die Tauschhandel treiben. So hält auch einmal einer vor Barnum’s Laden an und bietet Streichriemen an.

„Wie viel soll einer kosten?“ fragt Barnum, der Großvater.

„Ein Dollar per Stück,“ antwortet der wandernde Kaufmann.

Großvater: „Ein Dollar? Ich wette, die werden für die Hälfte, 50 Cents, verkauft, ehe das Jahr herum ist.“

Kaufmann: „Wenn das der Fall sein sollte, schenke ich Ihnen einen Streichriemen.“

Großvater: „Gut, unter dieser Bedingung kauf’ ich einen. Die Wette gilt?“

Kaufmann: „Versteht sich, ein Wort, ein Mann!“

Großvater: „Na denn mal her mit ’nen Streichriemen für’n Dollar.“

Er nimmt den Streichriemen, steckt ihn in die Tasche, besinnt sich aber, zieht ihn heraus und sagt zu seinem Nachbar mit dem gottlosesten Angenzwickern:

„Ben, ich brauche eigentlich den Streichriemen gar nicht. Was giebst Du mir dafür?“

„I nu,“ sagt Ben, 50 Cents, weil Sie’s sind.“

„Na denn fort mit Schaden.“ sagt der Großvater und giebt ihn für 50 Cents und guckt den Streichriemen-Trödler so aufgeklärt an, daß diesem sofort ein Seifensieder aufgeht.

„Schon gut,“ sagt der Gehumbugte, „was hab’ ich zu bezahlen?“

„Halt uns frei, mein Junge, und gestehe, daß wir Witz haben.“

„Ich gestehe nichts und halte Niemanden frei, aber hier ist ein Streichriemen für Euern Witz.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_111.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)