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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

welche die in diesem Lebensalter allmälig freier werdende Selbstthätigkeit des Kindes verkünden. Anfangs zeigt sich in diesem Alter noch eine ziemlich bedeutende Gebrechlichkeit und nicht geringe Sterblichkeit, bald nimmt aber das Widerstandsvermögen gegen schädliche Einflüsse rasch zu und so das Krankheits- wie Sterblichkeitsverhältniß ab.

Bei der Erhaltung des Kindes in diesem Alter ist, wie beim Säugling, noch große Sorgfalt auf die Nahrung, Luft, Hautreinigung, Temperatur, das Schlafen und die Sinne zu verwenden. – Die Nahrung muß anfangs vorzugsweise noch aus Milch (reiner Kuhmilch mit etwas Milchzucker) bestehen und sonst nur allmälig von der flüssigen zur dünn- und dickbreiigen, endlich zur festen Form übergehen. Deshalb zuerst Fleischbrühe mit Ei und den verschiedenen Mehlwaaren (besonders Gries, Zwieback, Weißbrod u. s. w.), später sehr weiches und ganz klein geschnittenes Fleisch und Mehl- oder Milchspeisen; endlich die leichtverdaulichen und nahrhaften, reizlosen Nahrungsmittel des Erwachsenen. Zu warnen ist besonders vor dem Genusse von reizenden Speisen und Getränken (Gewürzen, Kaffee, Thee, Wein, Bier); auch müssen Kartoffeln und Kartoffelspeisen, so wie Schwarzbrod (Stoffe, zu denen das Kind gerade recht großen Appetit hat) nur äußerst mäßig genossen werden. Man thut gut, jetzt schon das Kind an Wassertrinken (bei oder nach dem Essen) zu gewöhnen, jedoch darf das Wasser nicht sehr kalt, sondern verschlagen gereicht werden. Es ist eine sehr schlechte Mode der Aeltern, kleinen Kindern von allen Speisen und Getränken, die sie selbst genießen, etwas abzugeben. Um dies zu umgehen, nehme man das Kind beim Essen lieber nicht mit an den Tisch. – Die Luft, in welcher das Kind, besonders während des Schlafens athmet, sei von mittlerer Wärme (+ 12 – 13° R.) und so rein als nur möglich; deshalb halte sich das Kind viel im Freien auf, natürlich mit der gehörigen Vermeidung von rauher, kalter, staubiger und Zugluft, weil diese sehr leicht Krankheiten im Athmungsapparate (Bräune, Keuchhusten, Lungenentzündung) veranlaßt (s. Gartenlaube, Jahrg. I. Nr. 17). – Die Reinigung der Haut ist noch täglich durch Baden oder Waschen des ganzen Körpers mit warmem Wasser zu besorgen und höchstens bei Unwohlsein des Kindes (bei Schnupfen) ein oder einigemal auszusetzen. – Die Temperatur, in welcher ein kleines Kind gehörig gedeihen kann, ist, trotzdem daß die Wärmeerzeugung im kindlichen Körper zunimmt und Kälte weniger nachtheilig als im Säuglingsalter auf denselben einwirkt, doch noch eine ziemlich warme. Vorzüglich sind Erkältungen des Bauches und der Füße ängstlich zu vermeiden, weil diese nicht selten Ursache gefährlicher Krankheiten werden. Nur allmälig gewöhne man das Kind, im 3ten oder 4ten Lebensjahre, an kältere Luft (dünnere Kleidung) und kaltes Wasser. Die Abhärtung der Kinder dieses Alters durch Kälte ist eine durchaus unnatürliche und hat in der Regel als zu reizend auf die Empfindungsnerven der Haut schlimmen Einfluß auf das Gehirn. – Das Schlafen ist für kleine Kinder, die doch ihre Muskeln eben erst gebrauchen lernen und deshalb ordentlich ausruhen müssen, auch bei Tage unentbehrlich. Man lege deshalb das Kind zur bestimmten Zeit (nach dem Essen um die Mittagszeit), entweder im Nachtkleide oder doch in ganz lockerer Kleidung in oder auf das Bett. Damit der Schlaf ruhig und nicht durch Träume gestört sei, vermeide man kurz vorher alle starken Sinnesreize und geistige Aufregungen (Spiele, Erzählungen). – Die Sinne verlangen beim Kinde die größte Schonung und sorgfältigste Behandlung, so wie eine passende Erziehung (s. später), vorzüglich müssen sie vor zu starken Reizungen geschützt werden. Vom Auge ist ebenso wohl zu starkes Licht, wie lange Dunkelheit abzuhalten, auch dürfen nicht kleine Gegenstände sehr nahe an das Auge gebracht werden. Dem Ohre können sehr starke, wie sehr scharfe und grelle Töne schaden, so wie auch starke Gerüche und scharf schmeckende Stoffe dem Geruchs- und Geschmackssinn Nachtheil bringen können.

Auf die Erziehung im ersten Kindesalter müssen die Aeltern ihr ganz besonderes Augenmerk richten, weil jetzt schon der Grund ebenso zum Guten wie zum Bösen gelegt wird. Ja, es lassen sich die ersten drei Lebensjahre als den wichtigsten Abschnitt in der Erziehung betrachten. Leider sehen gerade in dieser Zeit die meisten Aeltern bei der ersten geistigen und körperlichen Entwickelung ihres Kindes ruhig zu und überlassen sie größtentheils dem Zufalle, anstatt dieselbe durch zweckmäßiges Eingreifen richtig zu leiten. Wenn sie nur wenigstens durch gutes Beispiel die Kinder erzögen, da der Nachahmungstrieb im Kinde ein mächtiger Hebel für die Erziehung ist. Allein die wenigsten Aeltern wollen glauben, daß der Bug, den die Seele früh annimmt, mit ihr wächst und unaustilgbar bleibt. – Die körperliche Erziehung sei auf den Nahrungsgenuß, den Schlaf, die Bewegungen und die Reinlichkeit gerichtet. Die Nahrung werde zu fest bestimmten Zeiten gereicht, und dabei gewöhne man das Kind, dieselbe nicht zu hastig, sondern ruhig und reinlich zu sich zu nehmen. Sitzt das Kind dabei am Familientische, so gewöhne man dasselbe ja nicht an das Naschen von dieser und jener Speise der Erwachsenen, sondern halte streng an der kindlichen Nahrung. – Schlafen darf das Kind nur in seinem eigenen Bettchen, und zwar ohne daß besondere Hülfsmittel (wie Einsingen, Erzählen u. s. w.) zum Einschlafen angewendet werden. – Hinsichtlich der Bewegungen ist die Hauptregel, dem Kinde so wenig als möglich Hülfe dabei zu leisten, damit es bei Zeiten durch selbstständige Anstrengungen seinen Willen übe und Geschicklichkeit erlange. Wohl aber veranlasse man dasselbe zum Nachahmen gewisser Bewegungen mit Händen und Füßen, wie zum Ergreifen und Führen des Löffels und Bechers zum Munde, zum Fassen und ruhigen Tragen von Gegenständen, zum Werfen und Auffangen, zum Hüpfen und Springen, zum Gerade- und Auswärtsgehen und Stehen. Man vermeide alle zu lange anhaltenden, einförmigen und sehr anstrengenden Bewegungen (besonders das Treppensteigen, Weitgehen), sowie langdauerndes Aufrechtsitzen, zumal bei schwächlichen Kindern, die sich bald hier, bad da anlehnen oder zusammensinken. Richtige Abwechselung im Bewegen (der rechten und linken Seite, der obern und untern Körperhälfte), im Sitzen und Liegen (am Besten auf dem Rücken und auf einer Matratze) ist einem Kinde am heilsamsten. Allerdings scheint die beständige Beweglichkeit und der Thätigkeitstrieb beim Kinde, wie das Springen und Herumjagen junger Thiere, die Gesundheit (vielleicht durch Bethätigung der Ernährungsprocesse und Abarbeiten des Nervensystems) dienlich zu sein. Beim Führen des Kindes an der Hand wechsele man öfters mit der rechten und linken Hand ab, weil sonst dem Kinde leicht eine schiefe Körperhaltung angewöhnt wird. Eben deshalb muß auch beim Tragen des Kindes auf dem Arme öfters zwischen dem rechten und linken Arme gewechselt werden. Die Ausbildung der Sprache unterstütze man durch deutliches Vorsprechen und gleichzeitiges Vorzeigen von Gegenständen, um Laut und Vorstellung in inniger Verbindung mit einander im Gehirne einzuprägen. – An Reinlichkeit, in Bezug auf die Ausleerungen, den Körper und die Kleider, das Essen und Trinken, muß ein Kind schon vom Anfange dieses Lebensalters an gewöhnt werden. Es muß seine natürlichen Bedürfnisse durch bestimmte Ausdrücke zu bezeichen und später selbst ordentlich zu verrichten lernen; es werde angeleitet, seine Zähne gehörig zu reinigen, beim Essen und Trinken reinlich zu sein und die Kleidung nicht muthwillig zu beschmutzen. Freilich artet dieses letztere Reinlichsein manchmal (bei Müttern, die aus ihren Kindern Staatspüppchen machen wollen) auch bis zum Ungehörigen aus. – Was die Kleidung betrifft, so ist Kopf und Hals, bei Tag und Nacht, bloß zu lassen und nur beim Aufenthalt im Freien gegen Sonne und Kälte gehörig zu schützen. Die Kleiderchen seien kurz und locker, damit das Kind seine Glieder so gut als möglich bewegen könne; die Unterkleider und Hosen dürfen nicht durch Binden an den Körper befestigt, sondern durch Schulter- oder Tragbänder gehalten oder an ein langtailliges Leibchen angeknöpft werden. Das Gewicht der Kleider muß überhaupt ganz und gar auf den Schultern ruhen. Zur Fußbekleidung sind einbällige, genau passende Stiefelchen am zweckmäßigsten, indem sie nicht nur die gute Bildung des Fußes, sondern auch das Laufen am besten unterstützen. Natürlich muß die Kleidung nach der Jahreszeit und Lufttemperatur eine wärmere oder eine dünnere sein. Zarte Kinder und solche, die sehr zum Schnupfen geneigt sind, lasse man den Winter hindurch weiche wollene Strümpfe tragen.

Die geistige Erziehung im ersten Kindesalter hat es hauptsächlich mit Uebung der Sinne (durch welche erst die geistige Thätigkeit des Gehirns erregt wird) und mit dem Gewöhnen an Gehorsam zu thun. Auch hier ist übrigens Hauptgesetz: man halte Alles vom Kinde ab, an was es sich nicht gewöhnen soll und wiederhole dagegen beharrlich Das, was ihm zur andern Natur werden soll; natürlich stets mit der gehörigen Abwechselung zwischen Thätigsein und Ruhen, sowie mit ganz allmäliger Steigerung der Thätigkeit. Leider überlassen es die meisten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_120.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2023)