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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 10. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.


Drei Tage in Mittenwalde, im baierischen Alpengebirge.
Eine Reiseerinnerung aus dem Jahre 1852.
Von W. O. v. Horn.


Es war in den Junitagen des Jahres 1852, als ich von München herüber kam, um nach Insbruck hinab und weiter zu gehen. Der Marktflecken Mittenwalde machte durch seine Lage, tief im Schooße gewaltiger Berge, und durch sein sauberes, heiteres Aussehen einen so guten Eindruck auf mich, daß ich mich entschloß, einige Tage zu bleiben. Ueber meine Zeit stand mir die alleinige Verfügung zu, und da ich für meine Gesundheit reiste, so that ich gewiß wohl, da zu weilen, wo es mir gefiel. Ueberdies hatte ich des Stadtlebens in München gerade genug gekriegt und war von der Kunst wahrhaft übersättigt. Hier in dem schönen Bergorte, in der großartigen Bergwelt, im Schooße ländlicher Ruhe und Einfachheit wollte ich ausruhen, aufathmen, mich erfrischen und erholen. In dem Posthause war’s behaglich und ein alter, pensionirter Beamter, wie es mir schien, der mein Tischnachbar war, gefiel mir gut in seiner derben Einfachheit. Er hatte nichts zu thun und da half ich ihm in seinen Geschäften. Morgens gingen wir spazieren; Mittags saßen wir behaglich nach Tische zusammen, und gegen Abend liefen wir wieder hinaus in Gottes schöne Welt. Schon am ersten Tage waren wir so dicke Freunde, als hätten wir uns viele Jahre gekannt.

Dieser erste Tag meines Aufenthaltes in Mittenwalde war ein Sonntag. Schon um vier Uhr schlenderten wir nach der Scharnitz hinunter. Stämmige Bursche begegneten uns, beladen mit jungen Birken; blühende Mädchen mit Körben voll Blumen. Schon im Orte war eine ungewöhnliche Thätigkeit mit Putzen und Scheuern bemerklich gewesen.

„Was giebt’s denn morgen?“ fragte ich den Alten.

„Ei, wissen’s denn das nicht?“ fragte er. „Morgen ist hier die Frohnleichnamsprocession, die Sie in München freilich am Fasttage selbst viel herrlicher sahen.“

Nun war mir allerdings Alles erklärlich und ich freute mich auf den Anblick des ländlichen Festes nach dem großartigen Pompe in München. Der Alte führte mich auf einen Bergvorsprung, wo unter einer Lerchengruppe ein herrlich Plätzchen war. Man konnte das schöne Thal weit überschauen und hatte rechts Mittenwalde in seiner Berge Schooß vor sich. Da zog sich der mächtige Karwandelstock hinauf, um in seinen drei Thorspitzen sein Höchstes zu erreichen, besonders in der 10,000 Fuß hohen Zugspitze über Partenkirch, die das goldene, glänzende Kreuz trägt. Tiefer unten ragte der Franzosenstein empor. Zu dessen Füßen die Scharnitz liegt mit ihren Festungsresten, die an die Kämpfe mit Ney erinnern, und wo jetzt Oesterreich seine Mauthner stehen hat, die mit Luchsaugen nach Cigarren Jagd machen, und nur ihrer Fünfe frei passiren lassen; dort schließt der Wetterstein ab und gegenüber der stattliche Rechberg, allesammt des Karwandels ebenbürtige Gesellen und Nachbarn. Der Alte erzählte mir viel von den Kämpfen an der Scharnitz und manche interessante Episode aus dem Tyrolerkriege, und von dem Hasse der Baiern und Tyroler, der erst sehr allmälig sich mindere, obwohl er auch einmal wieder aufblitze, wo es dann freilich mitunter blutig ablaufe.

„Der Mensch hängt halt überall von seiner Umgebung ab,“ sagte er. „Auf der Ebene verläuft Alles einfach, stille, matt; aber in den wilden Bergen theilt sich auch dem Menschen etwas Wildes mit, Seine Leidenschaften sind stärker; sein Haß und seine Liebe sind tiefer, mächtiger, ich möchte sagen, gewaltig wie seine Berge, und sein Charakter ähnelt seinen Felsen. Glaubet mir, lieber Herr, wer hier lange gelebt, wie ich, der lernt das kennen aus vielfacher Erfahrung. Bös sind darum die Leute nicht; aber es ist nicht gut, den schlafenden Bären zu wecken. Ihr könnt das Morgen beobachten, wenn Ihr Lust tragt; denn nach dem Feste giebt’s einen Tanz. Kommen Tyroler aus dem Innthal herüber, von Zierl etwa, auf die’s die Mittenwalder Buab’n ohnehin aufgekreidet haben, dann fürcht’ ich schon, es wird sehr a’n harte Geschicht’n geben. Sie thun halt' immer gut z’samm’n und glei geht’s an’n Rauf’n.

„Hat denn dieser Lokalhaß eine besondere Quelle?“ fragte ich.

„Zwa für ani,“ sagte der Alte. „Schauen’s – er zeigte nach dem Rechbergstocke hin – dort liegen zwar viele Berge und Thäler zwischen der Martinswand, wo der alte Moxl ’mal gesess’n hat, und nit wieder abi konnt’, aber es ist ein Gebiet, wo die Gamsel’n noch z’haus sind in Rudeln. Hier z’Land hat der König das edle Thier gehegt und er that wohl dran, denn es wär’ bald aus mit ihm; aber drüben, auf der Tyrolerseit’n, darf sie der Jäger mit dem Stutz’n noch beschleichen. Nun, Jag’n is a Lust. Hob in mein’n jung’n Johr’n au manch’ Gamsthier drüben weg geputzt, und um die Schulter heim g’trog’n. Nun mögt Ihr denk’n, wie das lockt. Die drüben leiden’s nit, daß a’n Mittenwalder dort das Gamsel b’schleicht; thun’s aber doch. Da giebt’s harte Püffe und schon Mancher ist nit mehr heim komm’n, der Morgens frisch mit dem Stutz’n von Mittenwald hinaufstieg! Merkt’s, da liegt a’n Grund. Der andri sind die Dirndl’n.“ –

„Die Mädchen?“ fragte ich, mich wohl erinnernd, wie auch am Rheine alter Haß viele Generationen hindurch seine Wurzeln

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_125.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)