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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

oder morgen, denn Ihr bleibt ja noch hier bis morgen, denn ich fürchte, heute kommen wir nicht dazu. Seht da die Buab’n!“ rief er und wandte sich zum Fenster.

Auch ich blickte hinaus.

Zwanzig bis vierundzwanzig junge Bursche schritten daher in militärischer Haltung, angeführt von einem Alten, der die Uniform eines Forstbeamten, die gestickte Mütze und den langen Schnurrbart trug.

Die Bursche trugen graue Jupen mit grasgrünem, stehendem Kragen, grüne, kokette Hütchen mit frischen Blumensträußern und Stutzen. Sie waren bestimmt, neben dem Himmel der Priesterschaft zu gehen und durch Salven die heilige Feier zu erhöhen.

Dafür hatten sie dann auf dem Schießstande heute Nachmittag ein Schießen, bei dem ganz hübsche Preise herausgeschossen wurden, zu deren Ankauf die Kirchen- und Ortskasse sich die Hand gereicht.

Das und Anderes berichtete mein Alter, der sich nun eine Pfeife anzündete und schon beim zweiten Seidel war. Ich rückte ihm mein zweites hin und folgte seinem Beispiel, indem ich eine Cigarre anbrannte.

Als meine Cigarre und mein Seidel zu Ende war, und auch das dritte ihm wohlgeschmeckt, sagte der Alte:

„Laßt uns hinabgehen und die zwei „Evangeli" betrachten, ehe die Prozession kommt!“

So wenig mich das auch anzog, so mußte ich folgen. Der Gang war kurz. Wir kehrten in meine Stube zurück, wohin er zwei neue Seidel sich bestellt hatte.

An die Geschichte aber brachte ich ihn nicht.

Ich will die Prozession nicht beschreiben, weil diese so ziemlich sich überall gleich ist. Ordnung im Aeußern, Andacht im Innern war unverkennbar, denn überall zeichnet sich das Gebirgsvolk durch Religiosität aus. Die Feier nahm den ganzen Morgen und selbst noch einen Theil des Nachmittags weg, denn erst um zwei Uhr gingen wir zu Tische, wo uns ein, wie man wenigstens sagte, auf Tyrolergebiet gewonnener „Gamselbrat’n," als große Seltenheit trefflich mundete. Er war von einem jungen, sehr zartem Thier. Nach Tisch gingen wir zum Schießen, das vor dem Orte stattfand und bis in die sinkende Nacht währte. Treffliche Schützen zeigten ihre Kunst und Fertigkeit, die wohl kaum den Tyrolerschützen, die ich später zu sehen Gelegenheit hatte, nachstanden.

Da das Raufen bei schwerer Strafe verboten ist, und Einer, der nur eine „Schildhahnfeder“ am „Hütl“ trägt (was freilich als Zeichen der Herausforderung zum Raufen gilt), sogleich von den wachsamen Gensd’armen „gefaßt" wird, wie mein Alter sagte, so ging der Tanz ruhig ab. Ich sah ihn nicht und zog es vor, die abendliche Kühle im Garten der Post zu genießen, statt meine Neugierde mit dem Einathmen des Staubes und dem Ertragen einer erstickenden Hitze abzufinden. Die Unterhaltung war lebhaft, und das Spielen einer Zither, begleitet von dem schönen Gesange einer jugendlich frischen Jünglingsstimme, machte mir große Freude, zumal die „Schnaderhupf’l’n,“ die der Zitherspieler sang, mitunter sehr ansprechend, sein „Jodeln“ aber unübertrefflich war, wie oft ich auch noch diesen eigenthümlichen, dem Alphorn nachgebildeten Gesang zu hören Gelegenheit hatte.

Früh am andern Morgen war ich auf den Beinen. Die Mittenwalder schliefen noch, nur meine schöne Nachbarin stand am Fenster mit dem bleichen Gesichte und den von Thränen gerötheten Augen. Sie erwiederte schwermüthig meinen Gruß. Das war das letzte Mal, daß ich sie sah, ihr Bild aber, das Bild tiefen, nagenden Schmerzes, hat sich mir unauslöschlich in die Seele geprägt. Ungestört in meinen Gedanken, machte ich einen herrlichen Spaziergang. Der Morgen war ungemein schön, der Himmel klar. Friede ruhte auf dem engen Thale. Von den Bergen her schallte der Gesang der Steindrossel in den mannigfaltigsten Modulationen. Lerchen trillerten, der Zeisig zwitscherte in den Erlen am Bache und der Ruf eines Schildhahns klang von ferne dazwischen. Auch das gehörte zu der fremden Landschaft und erhöhte ihren Reiz. Keine Menschenseele begegnete mir. Erst als ich zur gewöhnlichen Frühstückszeit zurückkehrte, war Mittenwalde lebendig geworden. Ich fand meinen Alten auf mich warten. Er hatte vom Wirthe gehört, daß noch ein einzig „Fäßle“ Bock übrig sei. Das hatte die anziehende Kraft bewährt.

Eine halbe Stunde später saßen wir in einer einsamen Laube des Gartens.

„Ich weiß wohl, was ich Euch versprochen habe,“ sagte er, „und will’s ehrlich halten. Die Zeit ist sehr gelegen dazu. Paßt mal auf:

„Sternhuber’s Caritas, so heißt das Dirnd’l, das Ihr die Krone und Perle Mittenwalde’s genannt habt, und das Ihr verglichen habt mit der früh geknickten Lilie, Sternhuber’s Caritas, sag’ ich, war wohl eine Perle! Herr, Ihr habt des Dirnd’ls Schönheit gestern bewundert, aber Ihr hättet die Caritas vor vier Jahren sehen sollen! Damals hat das Auge noch gelacht, das jetzt weint, damals hat’s noch gestrahlt, das jetzt so matt und trübe blickt, damals waren ihre Wangen noch, wie dort die eben aufgehende Moosrose – damals – ja damals gab’s auf Gottes Erde nichts Schöneres als sie. Sie war sechzehn Jahre alt, Herr! Da mögt Ihr’s Euch vorstellen, wie die Augen der Knaben nach ihr ausschauten. Nehm’s ihnen nicht übel!

„Aber es war ein „Jokrisch" Dirnd’l. Die hatt’ es Allen gethan, aber Keinen hat’s vorgezogen. Nur einmal ist’s ihm doch gegangen, wie allen Mädchen. Ihr kennt ja die Klaus droben am Karwandel? Seid ja vorübergefahren, als Ihr von Partenkirch hierher kamt? Dort ist eine Wallfahrt bei der Kapelle, und die ist besonders berühmt, weil das Muttergottesbild in der Kapelle ein wunderthätig Gnadenbild ist und schon Manchem sein Weh weggenommen hat. Wenn da der Jahrestag kommt, dann halten Ketten und Banden keinen Mittenwalder zurück, und was Leben und Athem hat zwischen dem Sternbergersee, dem Ammersee und dem Inn, so von München her, das kommt zum Feste und zur heiligen Bittfahrt.

„Die Klaus liegt so schön in dem grünen Thälchen, gegen Wind und Wetter geschützt, und der Klausbauer hat eine sehr gute Wirthschaft, und wo der liebe Herrgott eine Kapelle hat, da baut der Teufel einen Tanzplatz darzu. Das ist einmal so in der Welt,

„Dazumal strömte wieder alle Welt nach der Klaus, denn das Wetter war gar lustig. Bin auch dagewesen. Als die Bittfahrt vorbei war, hat das Jungvolk einen Tanz gehalten und waren Himmel und Leute da. Auch die Zierler Buab’n waren da, und leicht hätt’s kommen mögen, daß der Nazi und der Aegidi mit ihrem Anhang hätten Trutzliedl’n angestimmt zum Raufen, wenn nicht der gestrenge Herr Landrichter einen Riegel vorgeschoben hätte durch acht Haltfeste, nämlich Gensd’armen, und die waren stämmige Kerle, wie des Königs Hartschiere in München, die Ihr müßt ja gesehen haben, und in der neuen Uniform?

„Die hielten die Buab’n im Respekt.

„Aber Ihr werdet fragen: Wer der Nazi und der Aegidi seien? Das will ich Euch erst sagen.

„Ihr kennt das Haus da neben der Post, mit dem Erker, daran Ihr gestern die Inschrift gelesen, den Hausspruch mein’ ich, als wir spazieren gingen? – Nun, das gehörte damals des Arnold Krazenleitner’s Wittib, die Caritas hieß, und war des schönen Dirnd’ls Gothen und Baas von der Mutterseiten her. Sie war eine Frau schlicht und recht, nicht arm und nicht reich, mußte sich aber herum thun und drehen und wenden. Die hatte einen Sohn, den Nazi, der war zwei Jahr älter, als drüben das schöne Göthel. Ein Buab war’s, Herr, wie Milch und Blut, und dabei gewachsen wie eine Lerche, und wenn er Morgens jodelte und einen Juchzer that, so hörte man’s an der Scharnitz. Immer lustig, flink, fleißig und treu, wie Gold, war er, und hatte schwarze Augen, die fackelten. Wer wollt’s ihm verargen, daß ihm die schöne Caritas gefiel? Er war’s ja nicht allein, dem’s so ging. Aber es war nicht so ein flüchtig Wohlgefallen, sondern es war, wie’s im Schnaderhupf’l heißt:

Du herzig’s schön’s Dirnd’l,
Du liegst mir im Sinn;
Du liegst mir im Herzen
Sieben Klafter tief d’rin.

Und wo einmal die Lieb sieben Klafter tief sitzt, da weht sie der Karwandelwind nicht mehr ’raus, und nicht der Sirokko, der aus Italien ’rauf pfeift.

„Die Caritas wußt’s auch und war ihm freundlicher als allen Andern, und ich glaub’ fest, sie hatte ihn lieb, nicht von wegen der Verwandtschaft und Nachbarschaft, sondern vom Herzen ’raus von wegen seiner Schönheit, und weil er so gut war gegen seine Frau Mutter und überhaupt so brav. Er war auch gewiß eine gute Seel’, aber Pulver hatt’ er auf der Pfann’. Hui, wenn ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_127.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)