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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Excellenz, können sich ja mit eigenen Augen von dem Gesagten überzeugen,“ entgegnete der auf diese Weise Angefahrene, indem er die Sache plausibler machend hinzufügte: „der Mann im Hemde ist genau bekannt im Stalle und das beweist zur Genüge, daß er sein Kunststück nicht nur dies eine Mal, sondern sehr oft gethan. Aller Wahrscheinlichkeit nach wiederholt er es denn auch.“

Dies einleuchtend findend und sich darauf verlassend, verbrachte der Gesandte einen unruhigen, in peinlicher Spannung hingehaltenen Tag, dessen Ende er kaum erwarten konnte. Schon mit dem Dunkelwerden begab er sich nach dem Stall, wo er sich mit dem Stallwärter, so gut es ging, nun so versteckte, daß er alles, was mit dem Rennpferde etwa vorgehen mochte, genau zu übersehen im Stande war.

Nachdem er so bis nach Mitternacht gewartet, sah er wirklich im Mondenschein einen Mann im Hemde leise zur Thür herein und auf den Grauschimmel zugehen. Das Thier streichelnd und hätschelnd, legte er ihm Zaumzeug und Sattel auf, schwang sich dann hinauf und ritt auf den Hof hinaus, wo er es die kunstvollsten Evolutionen machen ließ. Nach einer Stunde etwa kam er zurück, zäumte das Pferd ab, legte alles Geschirr an die ihm gehörige Stelle, liebkoste und küßte den Schimmel und ging geräuschlos davon.

Von dem seltsamen und wunderbaren Vorgange gefesselt, sah der Gesandte sich der Sprache beraubt und fast athemlos an seine Stelle gebannt, bis er, um das Weggehen des gespensterhaften Reiters zu verfolgen, ihm leise bis zur Stallthüre nachschlich, von wo aus der denn sah, daß dieser über eine Gartenmauer steigend, im Nachbarhause verschwand.

Sobald es Tag geworden, ließ er nun in diesem dem sonderbaren Reiter nachforschen, ohne indeß etwas Wesentliches zu erfahren. Alles, was sich ihm ergab, war die Vermuthung, daß ein einzelner junger Mann, Anatole Didot mit Namen darin wohnend, und der, eines tadellosen Rufes genießend, allenfalls der seltsame Nachtwandler sein könne.

Da der Zeitpunkt, an welchem das Rennen stattfinden sollte, nathe[WS 1] und der aus England verschriebene Jokey, welcher Blitz gut und sicher zu führen verstand, noch immer krank war, so verfiel der Eigenthümer desselben im Laufe des Tages auf einen, wie es ihm schien, sehr guten und klugen Einfall. Wie wäre es, dachte er bei sich selbst, wenn jener Reiter im Hemde, wenn auch freilich nicht in diesem mir jetzt noch nicht üblichen Braminenkostüm, doch in einem andern unverfänglicheren Anzuge das Pferd bei dem Rennen ritte! Daß er sich auf dessen Leitung und Behandlung versteht, beweist der Auftritt der Nacht. „Und wer weiß,“ fuhr er auf, „ob nicht etwa diese nächtliche Cavalcade in heimlicher Verabredung mit dem kranken Jokey vorgenommen wird, dem es ja ohnehin schwer ankommen dürfte, Blitz nicht bei dem diesjährigen Wettlauf als Sieger aufgeführt zu finden. Jedenfalls,“ schloß er sein Selbstgespräch, „will ich hören, wie es um die Sache steht und mich überzeugen, ob dieser Herr Anatole Didot der ist, den ich da so unerwartet und seltsam auf meinem Wettrenner seine Reitübung habe machen sehen!“

Gesagt, gethan. sich in die Nebenstraße und in das Nachbarhaus verfügend, stieg er, nachdem er beim Portier erfahren, daß der Gesuchte zu Haus sei, die Treppen zu Anatole Didot hinauf, in dem er beim Eintreten denn auch sofort seinen Mann erkannte.

„Entschuldigen Sie, mein Herr,“ sagte er zu diesem, „wenn ich Sie störe. Ich komme Sie zu fragen, ob Sie geneigt sind, bei dem diesjährigen Wettrennen meine Blitz zu reiten. Der Gewinn besteht, außer dem Triumphe des Sieges, in zwanzigtausend Francs, von denen Sie, im Fall uns jener zu Theil wird, die baare Hälfte erhalten sollen.“

„Sie erweisen mir eine große Ehre, Herr Graf,“ entgegnete hierauf der so Angeredete, indem er erröthete und dann mit seltsam verlegenem Stocken fortfuhr: „aber ich bin leider außer Stande, Ihren Wunsch zu erfüllen. Ich hege eine große Leidenschaft für schöne Pferde und habe Ihren Blitz schon oft bewundert; ja, ich bin, um es ehrlich zu gestehen, zum größesten Theil nur darum hier in diese Wohnung gezogen, um ihn mehr und öfter sehen zu können. Allein weder mein Stand noch meine Verhältnisse haben mir je erlaubt, die Kunst des Reitens zu erlernen und so ist es gekommen, daß ich noch nie ein Pferd bestiegen.“

„Sie haben noch nie ein Pferd bestiegen und können nicht reiten!“ lachte der Gesandte, sich des nächtlichen Rittes und der dabei bewiesenen Geschicklichkeit erinnernd.

„In Wahrheit, Herr Graf,“ betheuerte Anatole Didot auf’s Neue und heftiger als vorher erröthend, „in Wahrheit, Herr Graf, ich habe noch nie ein Pferd bestiegen und verstehe mich ganz und gar nicht auf die Kunst des Reitens.“

„Darauf will ich es ankommen lassen,“ entgegnete hierauf der Gesandte. „Ich habe Vertrauen zu Ihnen und wenn Sie mir nur versprechen mögen, das Thier beim Rennen zu reiten, so bin ich überzeugt, daß wir den Sieg davon tragen werden.“

„Ich habe wohl Lust einmal einen Versuch zu wagen,“ sagte Anatole Didot mit Zögern. „Wenn Sie mir erlauben, das Pferd einmal zur Probe zu besteigen …“

„Zur Probe, zur Probe!“ lachte der Graf. „Warum nicht gar. Ich bin des Gelingens gewiß. Uebermorgen ist der Renntag. Nehmen Sie die beiden Nächte noch wahr, und Alles wird gehen!“

So sprechend empfahl er sich, den verdutzten Anatole Didot sich selbst und seinen Zweifeln überlassend. „Nehmen Sie die beiden Nächte noch wahr, und Alles wird gehen!“ Diese geheimnißvoll klingenden Worte bei sich selbst wiederholend, grübelte er vergebens darüber nach, was sie zu bedeuten haben könnten. Halb außer sich vor Vergnügen, daß er das Glück haben solle, den Blitz zu besteigen, und halb in Todesangst, sich vor der ganzen Welt durch ein Herabfallen von demselben zu blamiren, brachte er die beiden Tage zu.

Der Gesandte dagegen, fest überzeugt, daß die Sache eine mit dem englischen Jokey verabredete und vor der Zeit von ihm errathene oder vielmehr entdeckte sei, gab sich schon ganz der Siegesgewißheit anheim und um so mehr, als er hörte, daß sein Nachbar seinem Rathe folgte, und nach wie vor seine nächtliche Reitübung ausführte.

So war denn endlich der Tag des Rennens gekommen. Tausende von Zuschauern hatten sich dazu eingefunden. Der Eigenthümer des Blitzes meldete, daß sein Jokey erkrankt, und sein Pferd also ein Jokeypreisrennen nicht mitmachen könne, zahlte das festgesetzte Renngeld und rangirte sein Thier in ein Herrenreiten, wozu er, wie er sagte, den geeigneten Mann gefunden.

Dieser geeignete Mann war natürlich Niemand anders, als Anatole Didot, der zitternd und zagend in der Menge stand, und sich angelegentlich um den Grauschimmel zu thun machte. Bald streichelte er ihm die Mähne, bald strich er ihm die Flanken, bald besah er das Riemzeug. Es war ihm Alles, wie wenn er es schon gesehen und gebraucht, nur wußte er nicht, wie er damit umgehen sollte. Den Groom schämte er sich zu fragen und der Graf, dem er seine Angst sowohl wie seine Unkenntniß über den Gebrauch und die Anwendung aller dieser Dinge mittheilte, lachte ihn aus, klopfte ihn auf die Schulter und rief ihm zu:

„Sie spielen Ihre Rolle zum Verwundern, Herr! Sie müßten, wenn Sie kein so ausgezeichneter Reiter wären, ein Schauspieler werden.“

Anatole Didot wußte nicht, was er von sich, noch weniger aber, was er von den Aeußerungen des Gesandten halten sollte. Er stand wie im Traum, betrachtete um sich das bunte Renngetreibe, die Wagen, Reiter, das Her- und Hingelaufe der Jokey’s, die ab- und zugeführten Pferde, die mit den elegantesten Damen und Herren besetzten Tribünen und fragte sich dann erschrocken und erstaunt, wie und zu welchem Zweck er selbst habe dazwischen gerathen können. Noch mitten in diesem dumpfen Gegrüble hörte er plötzlich den Ruf: „Herr Anatole Dido mit dem Blitz!“ Und im Nu sah er sich das schöne, herrliche Thier vorgeführt und den Stallknecht mit dem Rufe: „Nun zeigen Sie Ihre Kunst!“ sich zur Seite. Ueberrascht, verblendet, wie sich selbst entrückt, klammert er sich an den Bug des Pferdes fest, zieht sich daran in die Höhe und klettert mehr als er sich schwingt, in den Sattel hinein.

Der Graf, der während dessen seinen Freunden das Abenteuer mit seinem Reiter erzählt, steht mit allen diesen um ihn herum und ruft ihm Muth zu. Er achtet nicht auf die Ungeschicklichkeit, mit der er sich aufgeschwungen, ja, er sieht in dem unrichtigen und verkehrten Besteigen des Rosses nur eine neue, feine Finte Didot’s und ruft mit Lachen: „Nur zu, nur zu! Wir werden bald Anderes sehen!“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nahe
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_139.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2023)