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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

den aristokratischen Salons von England zuerst 1824. Da er aber nicht „von Geburt“ war, dankte man ihm für das hübsche Schauspiel und schickte ihn wieder in seine Werkstatt. Zwei Jahre später ließ sich der große Wellington herab, das Ding auch mal schießen zu sehen. Perkins machte ihm das Vergnügen, in noch nicht einer Minute 60 Kugeln 35 Yards weit durch eine Eisenplatte von 1/4 Zoll Dicke, dann 60 Kugeln durch 11 harte, je einen Zoll weit hinter einander aufgestellte Holzbretter zu schießen und endlich eine gerade Linie von mehreren hundert Löchern in ein anderes Brett zu machen. Der große Herzog dankte für das interessante Schauspiel und ließ die Armee in rothen Röcken, entsetzlichen Bärenmützen und mit dem alten Feuerschloßgewehre in dem Rufe, daß sie Waterloo allein gewonnen und alle Welt besiegen würden. Perkins ward in den Winkel geworfen, machte aber für die französische Regierung mehrere Dampf-Batterien, welche 60 Kugeln von je 5 Pfund in der Minute schossen. Was aus diesen Batterien geworden, ist nicht bekannt. Vor Sebastopol scheinen sie nicht mit zu arbeiten.

Perkins, der Sohn, vervollkommnete die Dampfflinte fortwährend und ließ sie dann in der Adelaide-Gallerie zu London öfter arbeiten. Wir geben im beifolgenden Bilde eine Vorstellung von ihr. Das Merkwürdige dabei ist zunächst die größere Wurfkraft des Dampfes gegen die des explodirenden Pulvers, obgleich ersterer nur einen Druck von 40 Atmosphären ausübt, das Pulver aber von 500 bis 1000. Perkins erklärte dies scheinbare Wunder durch die größere Ausdehnungskraft des Dampfes, so daß er auf die Kugel ungeschwächt wirke, bis sie den Lauf verlassen habe, während die plötzlich aus dem Pulver entwickelte Luft nur im ersten Entstehen den bedeutenden Druck ausübe, aber mit jedem Zoll Entfernung der Kugel in geometrischen Proportionen abnehme. Die Dampfflinte ist eine Dampfmaschine, wie jede andere, nur mit entsprechender Construction. Der Dampf wird unterm Fußgestelle entwickelt, das die ganze Maschine trägt und auf ein Paar Rädern von einem starken Manne gezogen werden kann. Ein Paar Ventile, mit der rechten und linken Hand bewegt, öffnen und schließen den Dampf, der die Kugeln treibt, so daß es von der Uebung des Mannes abhängt, die die Ventile regiert, wie schnell diese Bewegungen und Entladungen auf einander folgen; doch sind 60 Schüsse in der Minute schon nach ein Paar Stunden Uebung keine Kunst mehr. Die Vollkommenheit der Maschine besteht besonders darin, daß Explosionen oder nur Beschädigung des Feuerbehälters und Dampfkessels ganz unmöglich geworden sind. Construction und Einrichtung dieser innern Vorzüge gehören der Fachwissenschaft an, die wir hier ausschließen. Der Lauf oben kann während des Schießens horizontal gedreht werden, so daß ein ordentlicher Dampfschütze eine große Front von Soldaten in schnurgerader Linie, 60 per Minute, wegblasen könnte, ohne einen Mann dazwischen stehen zu lassen. Wenn der Lauf einmal gerichtet ist, bleibt er in der Linie, so daß man jeden Mann genau an derselben Stelle treffen würde. Zehn solche Apparate könnten in einer Stunde 36,000 Mann tödten, vielleicht auch mehr in gehöriger Nähe, von wo manche Kugel zwei Mann durchlöchern würde.

Daß man solche Dampfmaschinen verdicken und verstärken, also Dampfkanonen machen kann und will, läßt sich leicht denken, nachdem man sich einmal entschlossen hat, derartige Flinten construiren und nach der Krim bringen zu lassen, um so den Mangel an Mannschaft und Fremdenlegionen möglichst zu ersetzen. Wir bemerken nur noch, daß ein Querdurchschnitt des Haupttheiles der Dampfschießmaschine auf unserer Abbildung klar macht, wie die Kugeln aus dem obern Cylinder herunter in den Lauf fallen, von wo sie von dem Kampfkolben herausgeschleudert werden.

So viel von dem Dampfe als Kriegsmanne für unsere christlichen Brüder. – Wie kömmt’s, daß Schönbein’s Schießbaumwolle, die 1846 alle Welt entflammte, die viermal stärker und viel schneller explodirend ist als Schießpulver, abgesehen von unendlich größerer Wohlfeilheit, Sicherheit des Fabricirens und mancher Vortheile für Flinten und Kanonen, noch nicht unter die Soldaten gegangen? Nun, es sind wohl nützlichere und wichtigere Erfindungen länger vernachlässigt, verhöhnt, verfolgt und begraben worden, ehe man wieder daran dachte oder sie zum zweiten Male in’s Leben rief. Man sagt, die Russen hätten bereits bedeutend in Schießbaumwolle gemacht von Sebastopol aus. Außerdem läßt jetzt die österreichische Regierung 160 Kanonen für Schießbaumwolle gießen. Die Engländer, welche am Tiefsten in der Baumwolle und Tinte dazu sitzen, dachten erst an die Schießbaumwolle wieder, als ihnen nicht nur das Pulver, sondern die ganze Eroberung Sebastopols zu Wasser geworden war. Nun fangen sie auch an, die sanfte Baumwolle in Schwefelsäure zu tauchen, um wo möglich ihre Aristokratie noch zu retten.

Nachdem die Engländer nun auch für 18 Millionen Pfund Sterling und 25,000 Leben die Erfahrung erkauft haben, daß man nicht von dem Fleische leben kann, welches man in der Hand hat, sondern es auch einen Weg aus der Hand zum Munde geben muß, d. h. von Balaklava nach dem Lager, nahmen sie plötzlich eine doppelte Eisenbahn auf den Rücken und trugen sie direkt nach der Krim. Das ist eine der originellsten Kriegs-Expeditionen, über die wir ein Wort sagen müssen. Die großen Schienen- und Maschinengießereien von Peto und Brassey, welche ganz England mit einem dichten Labyrinthe von Doppeleisenbahnen überstrickt haben, bekamen auf einmal Auftrag, für die Regierung über Hals und Kopf eine Krim-Eisenbahn zu machen. Sie übernahmen den Auftrag mit dem Versprechen, ihn ohne Profit, aus Vaterlandliebe auszuführen, und riefen in den Zeitungen Maurer, Zimmerleute, Tischler, Schmiede, Maschinisten u. s. w. auf, sich für hohen Lohn bei ihnen einzufinden. Die Hauptarbeiter wurden auf sechs Monate fest mit 10 bis 20 Thaler wöchentlich engagirt. So wurde die doppelte Krim-Eisenbahn hier in etwa drei Wochen fertig und braucht nun blos noch 3000 englische Meilen weit verschifft und dort durch Moräste und über Felsen gelegt zu werden. Die ersten Eisenbahn-Schiffe gingen am 21. December von London, Liverpool, Hull und Sunderland ab, die andern folgten kurze Zeit darauf, im Ganzen zehn Schiffe mit allen Materialien und Mannschaften, die zu 15 englischen Meilen Eisenbahn gehören: 500 Mann des Eisenbahn-Regiments, 36,000 Centner Schienen, 6000 eiserne Querbalken, 60,000 Centner Maschinen, 600 Fuder Bauholz, Krahne, Wagen, Karren, Aexte, Spitzhacken, Sägemaschinen, Schmieden, Zimmermanns-Werkzeuge, Barren, mehrere tausend Yards dicken Eisendraht, Häuser und Buden, Vorräthe für den Magen, ölgetränkte Oberkleider, Kohlen, Oefen, Küchen, Backöfen, Aerzte, Bratpfannen, Krankenwärterinnen, Medicin, Geistliche, Schulmeister und am Ende wohl auch noch guten Rath. Die Sache ist aber, daß die auf 20,000 Leichen ohne Profit gebaute Eisenbahn von einem Fünfzigstel der in Unverstand und Aristokratie Hingeopferten für ein Hundertstel des jetzigen Preises hätte von bloßem Holz gleich im Anfange gebaut werden können, so daß die jetzige englische Krim-Armee, von der nur noch 10,000 Mann halb auf den Beinen sind, 20,000 Mann stärker auf derselben sich Lebensmittel holen könnte, statt sie zur Unterlage zu verwenden. Schrecklich sind die neuen, kriegerischen Zerstörungs-Instrumente, aber Lämmer gegen Einbildung, Privilegium, „Geburt“ und ererbten und durch höhere Erziehung ausgebildeten Unverstand. –

Die Krim-Eisenbahn wird durch stehende Maschinen ihre Lasten an Drähten ziehen, so daß es zuletzt wie am Schnürchen gehen mag, in einer Zeit, wo die Wagen vielleicht auch ohne Eisenbahn ganz gut fortkämen; denn die englische Regierung hat’s im Ganzen so weise angefangen mit ihren sieben Kriegsministerien und ihrer „Erbweisheit“, daß sie mit den Vorbereitungen zum Winter so ziemlich fertig sein wird, wenn der letzte Nachtfrost unter der Frühlingssonne geschmolzen ist. Kossuth, der jetzt in der „Sonntags-Times“ jeden Sonntag die giftigsten Geschosse gegen die englische Regierung schleudert (wie es alle andern Zeitungen auch thun, nur nicht so effectvoll) rechnete ihr neulich vor, daß der ganze ungarische Krieg, in einem Lande ohne Geld, ohne Maschinen, ohne Fabriken, in drei Monaten für mehr als 150,000 Mann mit allem Zubehör fix und fertig gewesen und kaum ein Drittel der einzigen jetzigen, englischen Expedition gekostet habe.[1]

Und wie betheiligte sich bisher die Electricität am Kriege? Sehr oft durch falsche Colophoniums-Theaterblitze, sogar schon einmal durch völlige, totale Eroberung Sebastopols zu Gunsten einiger Geldkönige, welche dies vorher so bestellt hatten. Als sie ihr Geld aus diesem glücklichen Ereigniß gezogen, stellten sie Sebastopol wieder fix und fertig hin und sogar fester als vorher. Die Electricität beschäftigte sich dann sehr lange damit, alle Tage zu melden, daß außer Cholera und zunehmender Sterblichkeit im englischen Lager nicht vorgefallen wäre und über den „vier Punkten“

  1. Beiläufig, daß Kossuth für jeden Artikel 50 Pfund Sterling (über 300 Thaler) Honorar bekömmt, und damit umgeht, selbst eine Zeitung in London herauszugeben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_146.jpg&oldid=- (Version vom 14.3.2023)