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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

entschloß sich daher, ihn zum ersten Male zu besuchen. Ueber eine schmale Hausflur trat er in ein Vorzimmer, wo ihm ein Diener Hut und Stock abnahm. Dann öffnete er eine Thür, und der junge Mann befand sich in dem Spielsaale. Eine ängstliche Stille, nur von dem Klingen des Geldes, dem Rollen der Kugel und der ausdruckslosen Stimme des Banquiers unterbrochen, herrschte in dem weiten, glänzenden Raume, obgleich er mit vielleicht fünfzig Personen angefüllt war, die sich in Gruppen um zwei Spieltische drängten.

Albrecht trat zu dem Roulet. Die Mehrzahl der Spielenden bestand aus Damen. Er prüfte den bunten Kreis, der gespannt den grünen Tisch umstand, und wer beschreibt sein Erstaunen, als er unter den aufgeregten Gesichtern auch das ruhig lächelnde der reizenden Amalie bemerkte. Sie war ohne Hut, und Albrecht konnte jetzt, bei der hellen Beleuchtung, die wirklich blendende Schönheit in der Nähe betrachten. Die arme Amalie, die er vor einigen Stunden betend vor dem Gnadenbilde gesehen, stand jetzt ruhig lächelnd an dem Spieltische, und dabei lag so viel Ruhe in ihren schwarzen Augen, wenn der Croupier ihre verlorenen Goldstücke einzog, daß man hätte glauben mögen, sie habe an dem Verluste ein kindliches Wohlgefallen.

Der Anblick der spielenden jungen Dame versetzte den Edelmann in ein schmerzliches Entzücken, er vermochte nicht, sein Augen wieder von ihr abzuwenden. Wie rein, wie edel waren ihre jungfräulichen Züge! Und wenn selbst das Spiel zu einer Leidenschaft bei ihr geworden, man hätte nicht glauben können, daß sie auf ihrem Herzen laste, denn ihr ganzes Wesen drückte Anmuth und kindliche Unschuld aus. Eine natürliche Grazie verschönte alle ihre Bewegungen. Die kleine Alabasterhand spielte mit den Goldstücken, als ob sie den Werth derselben nicht kannte. Sie betrachtete mit demselben reizenden Lächeln den Verlust als den Gewinn. Welch eine stolze, von reichen Haaren umflossene Stirn sah der berauschte Albrecht; welch ein herrlicher Blick strahlte aus dem großen dunkeln Auge; wie zart und rosig war ihr Teint! Die Formen des schlanken, eleganten Körpers, eng von einem weißen Mousseline-Oberrocke eingeschlossen, waren bewunderungswürdig. Es lag Alles in diesem himmlischen Wesen, was einen Dichter zur Begeisterung, und einen Frauenhasser zur glühendsten Leidenschaft hinreißen kann. Aber in ihr lag auch das unbekannte Wesen des Weibes, die unter dieser trügerischen Hülle verborgene Seele, die Seele Eva’s, alle Schätze des Bösen und Guten, Anmaßung und Entsagung, kalte Bosheit und warme Liebe!

„Wenn sie mit dem Gelde des Herrn von Funcal spielte!“ dachte Albrecht, und ein kalter Schauer durchrieselte seinen heißen Körper.

Er ging leise durch den Saal, um den langen blassen Mann zu suchen, da ihm die Eifersucht zuflüsterte, er müsse in der Nähe Amaliens sein; aber die Argusblicke des berauschten Albrecht suchten ihn vergebens, Herr von Funcal war nirgends zu sehen. Mit einer Art Beruhigung kehrte der junge Mann zu dem Roulet zurück, und diesmal wies ihm der Zufall einen Platz dicht neben Amalie an. Er zitterte, als unwillkürlich seine Hand den üppigen Arm berührte, der wie rosig durch die weiße Hülle schimmerte. Hätte nicht das Spiel die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden, meist bejahrter Leute, in Anspruch genommen, man würde seine Verfassung auf seinem Gesichte gelesen haben.

Amalie hatte Unglück; ehe zehn Minuten verflossen, war die seidene Börse leer, die vor ihr auf dem Tische lag. Ein einziges Goldstück hielt sie noch zwischen den niedlichen Fingern. Die Kugel rollte; aber die schöne Spielerin, die bisher ohne zu wählen eine Farbe besetzt hatte, hielt diesmal an sich, und Albrecht glaubte in ihrem Gesichte die Unschlüssigkeit zu bemerken, ob sie den letzten Ducaten wagen sollte oder nicht. Die Kugel rollte wieder, mit leise zitternder Hand setzte Amalie auf schwarz, dann beobachtete sie starren Blicks das Rad, die kleine Kugel machte die letzten Sprünge – „roth!“ rief der Banquier, und das Goldstück verschwand in der Hand des Croupiers.

Mit wehmüthigem Lächeln sah Amalie auf die blinkenden Goldstücke, die von Neuem auf der grünen Fläche erschienen, und dabei drückte sie die schlaffe Börse in der niedlichen Hand, Albrecht fühlte das innigste Mitleiden mit dem reizenden Geschöpfe, als er eine Thräne in ihrem Auge erscheinen sah.

„Sie haben Unglück gehabt!“ flüsterte er.

Schmerzlich lächelnd sah sie ihn an und zuckte mit den Achseln, als ob sie sagen wollte:

„Wer kann dafür? Es läßt sich nicht ändern!“

Einige Personen verließen den Saal, und Albrecht, der fürchtete, auch Amalie würde folgen, suchte das angeknüpfte Gespräch fortzusetzen, um sie zu fesseln.

„Das Glück wird Ihnen nicht immer abhold sein!“ sagte er leise. „Man muß der blinden Dame Beharrlichkeit entgegensetzen.“

Amalie sah ihren Nachbar mit einem unbeschreiblichen Blicke an. Dann antwortete sie lächelnd:

„Wollen Sie nicht den Versuch wagen, mein Herr, ob sich diese Regel bewährt?“

„Ich bin nicht disponirt zum Spielen; wenn sie aber statt meiner die Prüfung unternehmen wollen, so biete ich Ihnen meine Börse an. Wir theilen Gewinn und Verlust!“ fügte er hinzu, indem er seine volle Börse auf den Tisch legte.

Ein Freudenstrahl, der aus dem dunkeln Auge blitzte, verklärte das Gesicht der jungen Dame. Es lag in dem Antrage Albrecht’s so wenig Verletzendes, da sie auch den Verlust theilen sollte, daß sie ohne Bedenken antwortete:

„Gut, mein Herr, ich gehe den Pact ein, und gebe der Himmel, daß ich Ihnen Glück bringe!“

Mit einer wahrhaft kindlichen Freude schickte sie sich wieder zum Spielen an. Aber trotz des Scharfsinnes, den Albrecht anwendete, um einen Begriff von ihrem Charakter zu erhalten, vermochte er dennoch nicht zu errathen, ob sie vor Vergnügen oder Beschämung erröthete, als sie die Börse öffnete und die Goldstücke auf den Tisch schüttete; er konnte sich vielmehr einer Anwandlung von Entzücken nicht erwehren, als er seine Börse unter ihren reizenden Händen sah. Mit einer liebenswürdigen Ungezwungenheit machte sie nun die Sätze. Sie gewann. Leuchtend vor Vergnügen schob sie die geliehene Börse bei Seite, und spielte von dem gewonnenen Gelde.

„Verdoppeln Sie!“ flüsterte Albrecht.

„Sie wollen es?“

„Ich bitte darum!“

„Hier sechs Louisd’or!“ sagte sie, und ihre kleine Hand warf die Goldstücke auf roth.

„Schwarz!“ rief der Banquier.

Der Einsatz ging verloren. Amalie hatte anhaltendes Unglück – nach einer Viertelstunde war die Börse leer, und die junge Dame sah ihren Nachbar mit betrübten Mienen an.

„Ich bin Ihre Schuldnerin!“ sagte sie mit bewegter Stimme. „Nennen Sie mir die Summe, die Ihre Börse enthielt.“

„In diesem Augenblicke kann ich sie nicht angeben,“ antwortete Albrecht verlegen; „ich werde aber morgen genau meine Kasse berechnen – –“

Beide traten von dem Spieltische zurück. Albrecht bot ihr seine Begleitung an.

„Ich werde sie annehmen,“ antwortete sie erröthend, „denn Sie müssen wissen, wo Ihre Schuldnerin wohnt.“

„Unter dieser Bedingung würde ich auf das Glück Verzicht leisten –“

„Sie werden mich nie wieder beim Spiele treffen!“ fügte sie, ihn unterbrechend, mit einem Seufzer hinzu.

„Um so mehr Grund, daß ich mich heute so spät als möglich von Ihnen trenne.“

Sie betraten das Vorzimmer. Amalie empfing von dem Diener Hut und Shawl, nahm Albrecht’s Arm an und verließ mit ihm das Spielhaus. Schweigend durchgingen sie die einsamen Alleen. Der junge Mann fühlte, wie der Arm seiner Begleiterin leicht erbebte. Ein Meer von Gedanken wogte in ihm, und er faßte den Beschluß, das Geheimniß der unbekannten Schönen zu ergründen, es möge kosten was es wolle. Vor dem ersten Hause der beginnenden Straße blieb Amalie stehen.

Hôtel à la Couronne!“ sagte sie. „Nr. 10 ist mein Zimmer.“

Nach diesen Worten flog sie die Stufen hinan und zog die Glocke. Die Thür öffnete sich und Amalie verschwand. Zwei Minuten später erhellten sich zwei Fenster des ersten Stocks. Albrecht trat so weit von dem Hotel zurück, daß er beobachten konnte. Noch zehn Minuten bewegten sich die Schatten zweier Frauen in dem Zimmer, dann erlosch das Licht, und Albrecht, das Bild des reizenden Mädchens tief im Herzen tragend, ging nach seiner Wohnung.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_179.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)