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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Die Industrie-Ausstellung ist der Friede und noch mehr!“

Es wird gefürchtet, daß sie neben dem Kriege Fiasco machen könne, so daß alle möglichen Anstrengungen gemacht werden, den brüllenden Mars vorher zum Schweigen zu bringen. In Paris, wo Gewerbe und Handel und alle ihre Lebensquellen der Luxus-Industrie bedeutend siechen, haben Alle ihre Hoffnungen auf die Industrie-Ausstellung gebaut: Zimmer zu vermiethen, Hotels, Proviant-Speculationen, ungeheuere Vorräthe von Ladenhütern, Tausende von Arbeit- und Brotlosen – alle trösten sich bis zur Eröffnung des großen Friedenstempels.

So knüpft sich ein ungewöhnliches Interesse an diesen neuen Tempel auf den elysäischen Feldern, wo er sich unter bedeutender, wenn auch nicht sehr laut gewordener Opposition erhob, da er einen der schönsten Plätze der Welt in seinen lachenden Aus- und Fernsichten unterbricht und zwar auf die Dauer. Man will ihn nicht wieder abtragen, sondern zu einer bleibenden Schau- und Kultusstätte machen. Auch dieser Nebenumstand ist von Wichtigkeit. Es hängt von dem Erfolge ab, ob die Pariser den Verlust ihrer schönsten Promenade verschmerzen. Ob das große Unternehmen neben dem Kriege oder gegen ihn siegen werde, läßt sich jetzt noch gar nicht mit irgend einer Wahrscheinlichkeit voraussehen. Jedenfalls ist ihm der glänzendste Erfolg zu gönnen, da es unter allen Umständen zur Entwaffnung des barbarischen Mars beitragen und weiter ausbilden wird, was das eigentliche Vaterland der Industrie-Ausstellungen und die erste kosmopolitische Exhibition in London anlegten und begründeten.

Paris, die graciöseste Königin aller schönen Industrie, ist auch die Geburtsstätte der Gewerbe-Ausstellungen. Die erste nationale Schau der Art fand vor mehr als anderthalb Jahrhunderten statt, im Schlosse St. Cloud unter Präsidentschaft und auf Veranlassung des Marquis d’Avèze[WS 1] und zwar mitten im Schrecken der ersten großen Revolution. Die Leute schrien nach Arbeit und Brot. Er sammelte die Prachtwerke der Gobelins von Sèvres und Savonneir in seinem Schlosse zur Ansicht und zum Verkaufe. Bald wimmelte das Schloß von froher Gesellschaft, die schaute und kaufte und die Wuth der Revolution in sich und Andern milderte. Die nächste Ausstellung fiel in das Jahr 1801, im Louvre, und hatte so glänzenden Erfolg, daß schon im nächsten Jahre eine dritte folgte. Die andern vertheilen sich auf die Jahre 1806 (nach der Schlacht bei Jena) 1819, 1823, 1827, 1834, 1839, 1844 und 1849. Die letzte galt auch als die erste und vollkommenste, als ein Triumph des Geschmacks in der französischen Kunst, Technik und Industrie. Man hatte für sie ebenfalls einen besondern Tempel auf den elysäischen Feldern errichtet. Die Zahl der Aussteller betrug 4494. Die Franzosen waren die Ersten, welche der Industrie Kulturtempel erbaueten. Bei ihnen gehört dieser Kultus gewissermaßen schon zu den nationalen Institutionen mit systematischen, regelmäßig wiederkehrenden Ausstellungsfestlichkeiten. Da dieser Kultus auch bei andern civilisirten Völkern bereits Bedürfniß geworden ist, läßt sich erwarten oder wollen wir wenigstens hoffen und wünschen, daß der geflügelte Merkur und die aus sich selbst bewaffnete, Städte und Civilisation schützende Pallas Athene (welche bekanntlich schon im trojanischen Kriege für die Civilisation Partei nahm) diesmal einen recht gründlichen Sieg über den confusen, ideenlosen, entweder blos barbarisch brüllenden oder feig diplomatisch lispelnden Kriegsgott Mars feiere. Paris, das so oft durch Umstürzen von Wagen und Verstopfung der Straßen sich selbst und andere Völker zu falschen Freiheitskämpfen verführte, ist der Welt Beispiele wahrer Freiheit doppelt schuldig. Der umgestürzte Wagen ist nicht die wahre Revolution, sondern der gehende, fliegende, ungehindert Völker zu Völkern bringende, Ideen und Waaren befördernde und austauschende.

Der Ausstellungstempel ist, architektonisch genommen, eben so originell wie der kosmopolitische Krystalltempel im[WS 2] Hydepark zu London es war, eine Combination des Massiven und Substantiellen der Baukunst mit dem Luftigen und Leichten des Londoner Palastes. Die irdische Grundlage, die majestätische Hauptfront mit dem kolossalen Hauptthore in der Mitte sind eine edeler Körper für das große, gen Himmel gerichtete Auge des Daches, welches das Himmelslicht in voller Kraft herunter führt in die prächtigen und geschmackvoll decorirten einzelnen Gebiete der Nationen und der Kunst- und Industriezweige. Wir haben allen Grund anzunehmen, daß die innern Einrichtungen an Zweckmäßigkeit und Schönheit die des Londoner Tempels von 1851 bei Weitem übertreffen. Dafür bürgt schon der natürliche Formen- und der hochgebildete Kunstsinn der Franzosen. Was ihnen an politischer Freiheit, an Talent für staatliche Schönheit abgeht, hat sich um so vollkommener, graziöser in ihrer Industrie, in ihnen persönlich entwickelt. Der Engländer stolzirt mit seiner politischen Freiheit und ist dabei persönlich serviler als irgend eine unterdrückte Nation. Er mißbraucht seine Freiheit freiwillig zur Speichelleckerei gegen Lords, Banquiers, Bischöfe und sonstige Personen von Geld und Geltung. Der englische Arbeiter und Ladenbesitzer ist unangenehm höflich gegen Leute, die über ihm zu stehen scheinen. Der französische Arbeiter zeigt in seiner blauen Blouse im Vergleich zu dem englischen eben so viel persönliches Selbstgefühl, als höfliche, gebildete Formen, die dem Engländer bis in die höchsten Stände ziemlich abgehen. Der Engländer ist Sclave eines Mechanismus auch in staatlicher Beziehung, der Franzose hat immer etwas von der Noblesse, der Selbstbestimmung, dem Stolze des schaffenden und denkenden Künstlers, wenn er nicht durchweg einer sein sollte. Die Franzosen sind seit 1848 der Kulturgeschichte einen Beitrag schuldig. Jetzt wollen sie ihn liefern. Von Herzen wünschen wir, daß er sich als gelungen bethätige.




Ueber Frauenbestimmung.

Von Professor Biedermann.
II.
Die Frau im Hause, in der Gesellschaft, im praktischen Lebensverkehr.

Von allen Berufsarten der Frauen ist keine so entschieden durch die Natur ihrer Anlagen und ihres ganzen Wesens ihr vorgezeichnet, als der Beruf für’s Haus, für die Wirthschaft. Der den Frauen angeborne Trieb, mit dem Nächsten und Einzelnsten sich zu beschäftigen, ihre Gewandtheit und Beweglichkeit im persönlichen Verkehr, ihre Unermüdlichkeit und Elasticität im raschen Durchlaufen eines Kreises kleiner, scheinbar oft sogar kleinlicher, und doch nothwendiger Verrichtungen, macht sie vorzugsweise geschickt für die Uebernahme eines Berufs, auf welchen ohnehin ihre ganze Lebensstellung sie hinweist. Was den Mann ermüden, ja aufreiben würde, dieser stete Wechsel einzelner, kaum im Zusammenhange mit einander stehender Beschäftigungen, diese stete Unruhe des Anfangens, Abbrechens und Wiederanfangens an zehnerlei verschiedenen Punkten, diese Nothwendigkeit des raschen Abspringens von Einem auf’s Andere, der Mangel an stetiger, in einer Richtung ruhig fortschreitender Arbeit und die ewige Unruhe eines bunten Durcheinander – das ergötzt, fesselt, befriedigt die Frau, regt sie an zu immer frischer und immer am rechten Orte einschlagender Thätigkeit, versetzt ihr ganzes Wesen in jene für sie selbst angenehme, für ihre Umgebungen wohlthuende und dem Zwecke förderliche Erregung und Bewegung. Durch ihr sicheres persönliches Auftreten (ich spreche hier natürlich nur von der Frau, wie sie sein soll, der glücklich begabten und recht gebildeten) prägt sie der scheinbaren Regellosigkeit verschiedenartiger und wechselnder Vorkommnisse des Hauswesens eine feste Regel auf, bringt Ordnung und Plan hinein, ohne doch die Anmuth freien Behabens dem steifen Zwange eines pedantischen, ein für alle Male aufgestellten Systems aufzuopfern. Durch ihren feinen Sinn für Anordnung und Ausschmückung des Einzelnen, durch ihren Geschmack, durch ihr Gefallen an reizvoller Abwechselung weiß sie – die ächte Frau – auch im engsten Kreise und mit bescheidenen Mitteln überall jenes Behagen zu verbreiten, welches die erste Quelle

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Accent grave eingefügt
  2. Vorlage: in
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_182.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2023)