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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

wahren häuslichen Wohlbefindens und wahrer Zufriedenheit zwischen den Genüssen eines Familienkreises ist und welches auf diesen ganzen Kreis, namentlich aber auf das Haupt desselben, den Mann, so angenehm, anregend und zugleich beruhigend, ja, man kann sagen, bildend und veredelnd einwirkt. Wenn alle Frauen den ganzen Umfang des wohlthätigen und weitreichenden Einflusses, den sie auf diesem Wege zu üben vermögen, recht begriffen, so würde es keiner Frau je einfallen, sich dieser nächsten Pflichten wegen ihrer scheinbaren äußern Geringfügigkeit zu schämen, nach einem andern Wirkungskreis oder einer andern Lebensstellung zu trachten oder auf irgend etwas stolzer zu sein, als auf den Ruf und die Würde einer ächten Hausfrau. Und wenn in allen Männern das rechte lebendige Gefühl für jenes häusliche Behagen, jene Ordnung und Anmuth der täglichen Umgebungen von früh an geweckt und immerfort wach erhalten worden wäre (was eben hauptsächlich Sache der Frauen ist) – so würde es ungleich mehr Zufriedenheit und Glück in den Familien, ungleich mehr wahre Zufriedenheit und Glück in den Familien, ungleich mehr wahre Achtung und zarte Erkenntlichkeit gegen die Frauen auf Seiten der Männer, ungleich mehr Sinn für Häuslichkeit im Allgemeinen und in Folge dessen manches Uebel in unserer Gesellschaft weniger geben, welches aus dem Mangel solcher Gesinnung entspringt.

In der Gesellschaft ist die Frau die natürliche Vertreterin und Hüterin jener leichten und doch gemessenen Formen geselligen Verkehrs, deren Werth man mit Unrecht bisweilen unterschätzt. Sie hat darüber zu wachen, daß in Bezug auf diese äußern Formen immerfort die rechte Mitte gehalten werde zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig, zwischen einem läppischen Spiel mit gedanken- und bedeutungslosen Redensarten und Ceremonien (in welcher eine frühere Periode unserer Geselligkeit sich all zu sehr gefiel) und einer geflissentlichen Verachtung und Vernachlässigung aller Höflichkeitsrücksichten, besonders gegen das andere Geschlecht (wodurch jetzt bisweilen ein Theil der Männerwelt sich auszuzeichnen sucht), zwischen überzierlicher Kleinmeisterei und ungelenkem Pedantismus, zwischen zu großer Freiheit und zu ängstlicher Beschränkung im geselligen Umgange. Wenn heutzutage oft darüber geklagt wird, daß der eine Theil der Männer in einseitiger Abgeschlossenheit sich von dem schönen Geschlecht in der Gesellschaft zurückziehe und absondere, ein anderer aber durch süßliches, geistloses Wesen die Frauen und Mädchen, mit denen er verkehre, verderbe, für eine ernstere, gehaltvollere Unterhaltung unempfänglich mache, so liegt die Hauptschuld in beiden Fällen am Ende doch an den Frauen selbst. Die Frau hat von der Natur den Beruf und die Fähigkeit, das Scepter der Herrschaft im geselligen Umgange der beiden Geschlechter zu führen; ihr eigenes Verschulden oder die Folge mangelhafter Bildung ist es daher, wenn sie dieses Scepter sich entwinden läßt, oder es nicht auf die rechte Weise gebraucht. Das ächte Weib (gleichviel, ob Frau oder Mädchen) übt im geselligen Verkehr einen so großen Zauber über den Mann, daß ihr gegenüber, auch der Ernsteste und Verschlossenste mittheilsamer, auch der Schüchternste muthiger, auch der Keckste und Eingebildetste bescheidener wird.

Die Frauen sind daher von jeher (wenigstens in der modernen Welt) die Bildnerinnen der Männer auf diesem Gebiete und die Tonangeberinnen geselliger Sitte gewesen. Zu der geselligen Unterhaltung bringt die Frau gerade dasjenige Element mit, welches hier recht eigentlich am Platze ist, das Talent geistiger Beweglichkeit, leichten Uebergehens von einem Stoffe zum andern, und dabei auch lebendiger Hingebung an jeden einzelnen, auch den unbedeutendsten, dadurch giebt sie dem Gespräche jene Mannigfaltigkeit, Leichtigkeit und Erregtheit, welche den Zweck, den alle Geselligkeit hat – dem Geiste durch Unterbrechung des gewohnten Gedankenganges und durch Ablenkung in eine leichtere und anregendere Beschäftigung Erholung zu gewähren, so wesentlich fördert. Die Frau mit ihrem regen Sinne und ihrem sichern Tacte für das Einzelne, Naheliegende, lockt den Mann gleichsam aus den Fernen und Tiefen seines Speculirens und Denkens herauf und heran an die unmittelbare Gegenwart, zwingt ihn, die reichen, aber oft schwerfälligen Schätze seines Wirkens und seiner Erfahrungen in die leichte gangbare Münze allgemeinverständlicher Umgangssprache zu verwandeln und hilft ihm so, Manches erst sich selbst recht klar zu machen, was ihm vorher und in allgemeinen unbestimmten Umrissen vor der Seele schwebte, Manches in seiner Anwendbarkeit für’s Leben zu erproben, was er bis dahin nur als ein erhabenes Ideal in seiner Phantasie hegte. Der bloße Umgang von Männern unter einander kann diesen anregenden und bildenden Einfluß der Frauen auf die Entwickelung und die Thätigkeit des männlichen Geistes niemals ganz ersetzen. Der Mann, dem Manne gegenüber, spricht und verhandelt fast immer nur als Vertreter irgend eines allgemeinen Standpunktes – des Berufs, des Standes einer politischen Partei oder einer wissenschaftlichen Richtung – selten giebt er sich rein als Mensch, nach seinem eigensten, innersten, individuellsten Wesen. Erst der Frau, ihr, deren Natur es mit sich bringt, in ihrem eigenen Sein wie in der Auffassung eines Fremden immer das persönliche Moment hervorzukehren, mag es wohl gelingen, auch an dem Manne jenes innerste, so zu sagen, menschlichste Gemüthsleben zu erschließen und in Thätigkeit zu versetzen, welches derselbe im Umgang mit seines Gleichen und im gewöhnlichen Lebensverkehr oft lange Zeit hindurch gänzlich unentwickelt und verschlossen in sich herumträgt. Ohne dieses ergänzende Element der Frauen würde daher der gesellige Verkehr eines wesentlichen Förderungsmittels entbehren und an einer Einseitigkeit leiden, welche selber auf die ernsteren Beschäftigungen der Männer nachtheilig zurückwirken müßte. Es ist kein geringer Vorzug, den die französischen und englischen Gelehrten, Dichter und Schriftsteller vor den Deutschen voraus haben, daß dort mehr als bei uns im Durchschnitt, eine entwickelte und besonders eine von den Frauen belebte Geselligkeit besteht, welche ihnen nicht nur Gelegenheit, Stoff und Anregung zu vielseitigerer Beobachtung des Lebens und der Charaktere bietet, sondern sie auch in der Abklärung und Durchbildung ihrer für die Oeffentlichkeit bestimmten Ideen wesentlich unterstützt.

Im praktischen Lebensverkehr, im Handel und Wandel, giebt es allerlei Geschäfte, wofür die Frauen, sei es wegen ihres leichtern Sichzurechtfindens in einem bunten und wechselnden Detail, sei es wegen ihres Talents persönlicher Verhandlung, sei es wegen der Feinheit ihres Geschmacks und der Geschicklichkeit ihrer Hände, vorzugsweise geeignet erscheinen. Manche dieser Geschäfte sind ihnen bereits durch Sitte und Herkommen eingeräumt; manche andere könnten ihnen vielleicht ebenso gut noch überlassen werden; man würde dadurch männliche Kräfte sparen, welche anderwärts besser zu verwenden wären, und man würde dem schwächeren Geschlechte Gelegenheiten zu nützlicher Beschäftigung und zu selbstständigem Lebenserwerbe eröffnen, welche besonders für die alleinstehenden Mitglieder desselben großen Werth hätten. So z. B. dürften für Beschäftigungen wie die der Barbiere, Friseurs, Conditoren, Kaffeewirthe, für die Fertigung von Kleidern und Putz aller Art für das weibliche Geschlecht, für Posamentirerei, Papparbeiten und selbst die meisten Theile der Buchbinderei, ferner für alle Zweige des Detailhandels Frauen recht wohl, ja besser, als die Männer sich eignen, und zwar nicht blos als Arbeiterinnen, sondern auch als selbstständige Geschäftsunternehmerinnen. Leider steht unsere bürgerliche und gewerbliche Gesetzgebung großentheils einer solchen Einrichtung hindernd oder doch erschwerend entgegen. In Frankreich, der Schweiz und andern Ländern ist man darin weiter als bei uns. Nicht nur finden sich dort weit häufiger Frauen als Arbeiterinnen, Geschäftsführerinnen oder Unternehmerinnen in allerhand Zweigen des Kleinhandels und der Gewerbe (in Paris wird ein großer Theil des Kleinhandels lediglich von Frauen besorgt, in der freien Schweiz findet man weibliche Barbiere u. s. w.), sondern sogar in manchen öffentlichen Stellungen hat man sie, und wie es scheint, mit gutem Erfolge verwendet. In den vereinigten Staaten von Nordamerika gab es im Jahre 1853 über hundert Postmeisterinnen, und in Frankreich befindet sich ebenfalls ein Theil dieser Geschäfte in weiblichen Händen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_183.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)