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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

um zu begreifen, in welcher Absicht Sie mich aufgesucht haben. Ich bin allerdings der Vormund der liebenswürdigen Amalie, und wenn es Ihnen möglich ist, der frommen Benedicta eine Antwort zu bringen, so sagen Sie ihr, daß ich nicht nur bisher meine Pflicht streng erfüllt hätte, daß ich auch gesonnen sei, mich durch keine Rücksicht bestimmen zu lassen, um ein Haar davon abzuweichen. Uebrigens bin ich nur meinem Gewissen Rechenschaft schuldig, denn mein verstorbener Freund hat mich mit voller Gewalt ausgerüstet – –“

„Amalie entweder in ein Kloster zu schicken oder sie an einen Funcal zu verheirathen, der lüstern nach ihrem Vermögen ist!“ fiel Albrecht ein. „Billigt Ihr Gewissen, Herr Graf, daß Sie einem lebensfrohen Mädchen eine solche Wahl stellen?“

„Mein Herr!“ rief der Greis mit funkelnden Augen und in einem drohenden Tone.

„Verzeihung, Herr Graf, ich bin ja nur ein Bote, und Sie werden mir erlauben, daß ich meine Botschaft vollende. Nicht der Vater allein, auch die Mutter hat ein Recht an das Kind, und wie Sie jenes, so gedenke ich dieses geltend zu machen. Die arme Nonne ist gestorben, aber auch sie hat ein Testament hinterlassen, das sich in meinen Händen befindet.“

Der Graf antwortete ironisch lächelnd:

„So genügen Sie als Testamentsvollstrecker Ihrer Pflicht, mein Herr; und da ich nicht glaube, daß wir collidiren, so ist jede weitere Rücksprache überflüssig.“

Er verneigte sich, als Zeichen, daß der Besuch sich entfernen möge. Albrecht stellte sich, als ob er die Andeutung nicht verstände.

„Das kostbare Dokument,“ fuhr er ruhig fort, „verfügt allerdings nicht über ein Vermögen, aber es enthält eine Geschichte, die für Sie nicht ohne Interesse ist. Die Nonne erzählt nämlich, daß ein gewisser Arzt den Tod des Freiherrn auf wissenschaftlichem Wege herbeigeführt habe, um den von Gewissensbissen gefolterten Mann zu hindern, die als blödsinnig in ein Kloster geschaffte Melanie, die Mutter seines Kindes, als seine Gattin anzuerkennen. Daß er Amalie adoptirte, war leider nicht zu verhindern, auch das nicht, daß sie sammt ihrem Vermögen unter die Willkür dessen gestellt ward, der nichts weniger als ihr Glück beabsichtigte. Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr, wir kommen jetzt zu dem Interessantesten. Sie wollen mich ohne Zweifel fragen, wodurch die verbrecherische Absicht des Vormundes bewiesen wird? Benedicta liefert ihn durch ein Liebesbekenntniß, das ihr der getreue Freund des Herrn von Paulowski übersandte, und sie zweifelt nicht einen Augenblick daran, daß sie auch die Erbin des Vermögens geworden, wenn sie sich hätte entschließen können, dem unbegüterten Grafen von Funcal die Hand zu reichen. Sie weigerte sich, und nun wurde das alte Experiment mit untergeschobenen Briefen gemacht, welche die Untreue der armen Melanie darthaten, und dazu bezeichnet man einen Baron von Beck, dessen Güter an die des Freiherrn grenzen. Der Baron hatte damals seine Gattin durch den Tod verloren, und es wäre wahrlich kein Wunder gewesen, wenn er seine Blicke auf die liebenswürdige Melanie gerichtet hätte, um seinem einzigen Sohne wieder eine Mutter zu geben. Diese Briefe, die noch vorhanden sind, machten den Freiherrn fast wahnsinnig, aber der Freund verfolgte ruhig seinen Plan. Melanie verschmähte es, die Hand des Erbschleichers anzunehmen, sie ertrug geduldig ihr Schicksal. Sie starb zehn Jahre später als der Vater ihres Kindes. Der Verwalter des freiherrlichen Vermögens wollte sich nun auch in den Besitz desselben setzen, und zu diesem Zwecke mußte die Erbin entweder gewonnen oder bei Seite geschafft werden. Da erschien der fromme Neffe des Erbschleichers und warb um die arme Amalie, von der er genau wußte, wieviel Vermögen sie ihm zubringen würde. Zugleich aber erschien auch der Sohn des mystificirten Herrn von Beck, er sah Amalie, liebte sie und ward wieder geliebt. Dieser gefährliche Mann mußte aus der Welt geschafft werden, und dazu ward ein Duell contrahirt, dessen Ausgang Sie ohne Zweifel kennen. Amalie, durch den Tod des jungen Barons erschreckt und betrübt, verließ Spaa, theils um ihrem Bewerber zu entgehen, theils um die Zusammenkunft mit ihrem Vormunde nicht zu versäumen. Sie sehen, daß der Faden in dem künstlich erschaffenen Labyrinthe gefunden ist. Genügen diese Andeutungen nicht, Sie zu bewegen, der volljährigen Amalie ihr väterliches Erbe zu übergeben, so werden die vorhandenen Documente der Behörde überliefert.“

Der alte Graf verlor scheinbar seine Ruhe nicht. Die großen Augen seines feinen, mit Runzeln durchzogenen Gesichts warfen spöttische Blicke auf den jungen Mann, der erwartungsvoll vor ihm stand.

„Ich glaube annehmen zu dürfen,“ sagte er lächelnd, „daß kein anderer als der junge Baron von Beck sich die Freiheit nimmt, Drohungen mir gegenüber auszusprechen?“

„Sie irren nicht, mein Herr, ich bin der Baron von Beck.“

„Also der Liebhaber der schönen Amalie? Nicht übel! Ihre Familie ist mir bekannt, und daher weiß ich, daß der letzte Sprosse, Albrecht, bereits daran gedacht hat, sein Geschlecht fortzupflanzen. Man bezeichnet die Tochter eines Försters als die glückliche Gattin des Edelmanns. Die christliche Religion verbietet die Bigamie, mein Herr, und der Staat hat eine strenge Strafe darauf gesetzt.“

„Ich bitte, Herr Graf, betrachten Sie mich nicht als den Liebhaber Amaliens, sondern als den Boten der unglücklichen Benedicta, der Sie an die Pflichten erinnert, die Sie Ihrem Gewissen und der Ehre des Edelmanns schulden. Sie sehen, man durchschaut Ihre eigennützigen Pläne und tritt Ihnen energisch entgegen. Weigern Sie sich, als ein Mann von Ehre zu handeln, so wird man Sie zu zwingen wissen.“

Der Graf bat in höhnender Weise, die Unterredung abzukürzen, da er durchaus nicht geneigt sei, irgend eine Antwort zu ertheilen. Er fürchte, fügte er hinzu, eben so wenig die Angriffe eines verblendeten Thoren, als das Urtheil eines Gerichtshofes. Albrecht verließ das Zimmer und suchte Amalie auf. Vergebens durchstreifte er den Garten. Endlich traf er Barchon.

„Wo ist das Fräulein?“

„Auf meine Nachricht von Ihrer Ankunft hat sie sich sogleich in ihr Zimmer begeben.“

„So wird sie jetzt den Ausgang meiner Unterredung wissen!“ dachte der Baron.

In dem Zimmer des pensionirten Küsters schrieb er einige Zeilen an die Geliebte; Barchon versprach sie zu befördern. Noch stand Albrecht sinnend am Fenster, er konnte sich nicht entschließen, das arme Mädchen in den Händen des Peinigers zurückzulassen, der ohne Zweifel andere Zwangsmittel ersinnen würde, um seinen Plan durchzusetzen. In dem Briefe hatte er ihr vorgeschlagen, zu entfliehen. Sei sie seine Gattin, so könne er immer noch einen Prozeß gegen den Vormund einleiten.

„Ich werde Sie nicht weniger lieben, auch wenn Sie arm und verlassen meine Gattin werden!“ schloß das Billet.

Da fuhr der Reisewagen vor das Haus. Ein Diener sprang vom Bocke und öffnete den Schlag. Herr von Funcal, der in Spaa verwundete, stieg aus. Sein Gesicht war todtbleich, er stützte sich auf den Diener, der ihn langsam und vorsichtig die Treppe hinanführte.

„Kennen Sie ihn?“ fragte Albrecht, in dem die Eifersucht mit neuer Gewalt erwachte, obgleich sein Nebenbuhler einen Anblick bot, der ein junges Mädchen wenig reizen konnte.

„Das ist der Fremde, der schon vor vierzehn Tagen dem Grafen einen Besuch abstattete,“ murmelte Barchon. „Er kam Abends an und reis’te den folgenden Morgen wieder ab.“

„Weiter wissen Sie nicht von ihm?“

„Nein!“ versicherte der Küster.

Albrecht glaubte sich jetzt die Abwesenheit Funcal’s von Spaa erklären zu können. Der fromme Mann war in Aachen gewesen, hatte von dem Grafen die Notizen über Albrecht’s erste Verbindung mit Katharina und wahrscheinlich auch die Anweisungen erhalten, sich des gefährlichen Nebenbuhlers zu entledigen. Wie aber war das verhängnißvolle Papier in das Portefeuille gekomen? Wenn die Tochter des Försters, deren Schriftzüge er genau wieder erkannt hatte, wirklich noch am Leben war? Dann unterlag es keinem Zweifel, daß sie mit dem Grafen in Verbindung stand. Aber, fragte er sich weiter, wie konnte der verrätherische Vormund voraussehen, daß ich je Amalie kennen lernen würde?

„Herr Barchon,“ fuhr er plötzlich aus seinem tiefen Sinnen auf, „rechnen Sie auf eine glänzende Belohnung, wenn Sie auf der Stelle den Brief in Amaliens Hände bringen, wenn Sie den Grafen genau beobachten und mir von jedem Vorgange Bericht erstatten. Sorgen Sie dafür, daß die junge Dame nicht abreis’t, ohne vorher eine Unterredung mit mir gehabt zu haben. Vergessen Sie nicht, daß ich reich, sehr reich bin!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_208.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)